mit Büchern von Simon Reynolds, David Mitchell, Werner Gruber, Heinz Oberhummer, Martin Puntigam, César Aira und Giovanni Tizian.
// Alle jene, die sich vor einigen Jahren an dem Punkrock-Interview-Mash-Up „Verschwende deine Jugend“ erfreuten, sollten sich mal an das gefeierte „Rip It Up And Start Again“ von Simon Reynolds heranwagen. Der Autor, welcher uns im vergangenen Jahr seine Musik-Bibel „Retromania“ (in diesem Jahr auf Deutsch erschienen und unbedingt empfehlenswert!) vor den Latz geknallt hat, sorgte bereits im Jahr 2005 mit der Erstveröffentlichung seines Post-Punk-Klassikers „Rip It Up And Start Again“ für Aufsehen. Wie er auf gelungene Art und Weise über 100 geführte Interviews miteinander verknüpft, ist bemerkenswert.
Inhaltlich hat er sich dabei die großen Jahre des Post Punk zwischen 1978 und 1984 vorgenommen, die er allesamt äußerst differenziert auf die wichtigsten Ereignisse abklopft. Weil dabei die unterschiedlichsten Protagonisten zu Wort kommen, bekommt man als Leser einen guten Eindruck davon, was wirklich in den einzelnen Jahren passiert ist. Dass sich dabei so manche Einzelmeinung nicht mit den Aussagen der Mehrheit vereinbaren lässt, ist nicht weiter schlimm, bietet dieser Ansatz doch einen guten Ausgangspunkt für intensive Diskussionen. Wer sich also schon immer mal gefragt hat, wie es damals so war, als Joy Division plötzlich aus einem Kellerloch krochen, um die Welt mit zahllosen Anti-Hymnen wie „Shadowplay“ oder „Isolation“ zu beglücken. Wer zahllose Hintergrundinformationen über Bands wie Gang Of Four, The Fall oder Magazine vor den Latz geknallt bekommen möchte, der sollte mal in diesen Standartwerk in Sachen Post Punk-Geschichte reinschnuppern. In „Rip It Up And Start Again“ steckt nämlich nicht nur ein immenser Schatz an musikalischen Fachwissen, man bekommt auch eine ganze Menge interessanter Acts präsentiert, die man ohne das Lesen dieses Buches wohl niemals kennen- (und lieben-)gelernt hätte.
// Während im Kino gerade der (angeblich) unverfilmbare „Wolkenatlas“ zu sehen ist, erscheint parallel dazu auch noch ein aktueller Roman des Schöpfers David Mitchell. Der britische Autor gilt nicht nur als eines der größten Talente seiner Zunft und hat sich zum Ziel gesetzt, die Welt mit seinen literarischen Schriften aus den Angeln zu heben. Sein neues Buch „Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“ bringt es abermals auf eine Gesamtlänge von über 700 Seiten und setzt sich mit einem interessanten gedanklichen Konstrukt auseinander. Was wäre, wenn man einen Teil der Welt plötzlich vom Rest der Erde abkapseln würde. Wie würde sich das auf die Anwesenden auswirken und was wäre, wenn man nur einen Blick durch ein schmales Fenster werfen müsste, um dem Treiben dort beizuwohnen. Was bekäme man zu Gesicht? Wie würden sich die Menschen durch die gegeben Umstände verändern? David Mitchell folgt im Rahmen des Romans einem jungen Handelsreisenden namens Jacob de Zoet. Der befindet sich auf der Insek Dejima in Japan und ist gerade dabei, sich in der Welt zurechtzufinden – eines Tages verliebt er sich in eine junge Frau namens Orito. Dann aber verschwindet Selbige wie aus dem Nichts, nachdem ihr Vater das Zeitliche segnet. Ein schreckliches Gerücht macht dir Runde: Wurde Orito an einen Sklavenhändler verkauft? Im Rahmen seiner Nachforschungen stößt der unermüdliche Jacob auf ein Geflecht aus Korruption und Verrat. Was das Ganze am Ende mit einer groß angelegten Seeschlacht zu tun, findest du am besten selbst heraus. Dem Autor gelingt es seine Leser dermaßen zu fesseln, dass die 700 Seiten wie im Flug vergehen. Stellt sich eigentlich nur die Frage, wer sich diesmal an die Verfilmung dieses epischen Stoffes wagt. Einfach wird das sicher nicht… funktioniert aber in literarischer Form ganz hervorragend.
//Wissenschaftliche Erkenntnisse einem Durchschnittsbürger zu präsentieren, ist wesentlich schwerer als man erwarten dürfte. Schon seit Jahren bemühen sich zahllose Vertreter der forschenden Zunft die passenden Worte für die eigenen folgenschweren Forschungsergebnisse zu finden. Die sogenannte „Science Boygroup“, bestehend aus dem Experimental- und Neurophysiker Werner Gruber, dem Kern- und Astrophysiker Heinz Oberhummer und dem Ex-Medizin-Studenten Martin Puntigam, welcher anschließend eine Karriere als Kabarettist hinlegte, versucht sich in ihrem Werk „Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln – Was wir von Tieren über Physik lernen können“ nun an dem ambitioniertem Unterfangen, schwer-verdauliches, leicht-verdaulich zu präsentieren. Als ausgewiesene Physik-Nieten stellt sich dabei auch bei uns persönlich schnell ein hoher Erkenntnisgewinn ein. Dem Trio gelingt es ganz vorzüglich jede noch so schwere wissenschaftliche Hürde in einen amüsanten Aufsatz zu quetschen und so kommen wir in den Genuss von solch wunderbaren Kapiteln wie „Das kalte Herz der Schildkröten“, „Rinks und Lechts“ oder „Ein Quantum Frosch“. Darin erfahren wir dann die wichtigsten Dinge über neuronale Verbindungen oder Halluzinogene. Wenn du dich also schon immer mal gefragt hast, was Koffein, LSD und Marihuana mit dem menschlichen Körper anrichten, bist du bei der „Science Boygroup“ an der richtigen Adresse.
// Und wir waren ja nahezu enthusiastisch, als uns vor kurzem „Der Litertaturkongress“ des argentinischen Schriftstellers César Aira ins Haus flatterte. Da möchten wir uns natürlich nicht nachsagen lassen, die Leser unserer Rubrik nicht auch auf sein bereits vor geraumer Zeit veröffentlichtes Werk „Gespenster“ aufmerksam zu machen. In dem Buch, das mit knapp 170 Seiten ebenfalls sehr kompakt und reduziert anmutet, dreht sich alles um einen Rohbau in Buenos Aires (übrigens auch die Wahlheimat des Autors). Kurz vor dem Jahreswechsel treffen sich dort zahlreiche Handwerker und Bewohner und informieren sich über den Fortschritt der Baumaßnahmen. Als es dunkel wird, beschließen die Familie eines Nachtwächters und ihre Gäste auf dem Dach des Hauses zu bleiben und von dort aus das neue Jahr zu begießen. Dann aber macht die Story (wie schon im „Litertaturkongress“, wo sich plötzlich ein paar monströse Wesen über den Ort des Geschehens hermachen) eine Kehrtwende und die Anwesenden sehen sich mit einer gehörigen Portion an Gespenstern konfrontiert, wodurch sich zunehmend die Grenzen zwischen Traum und Realität verschieben. César Aira gelingt es auch diesmal, einen Drahtseilakt zwischen dem Alltäglichen und den Zwischenräumen unseres Seins zu vollziehen, ohne dass er dabei den Kern der Geschichte aus den Augen verliert. Alles in allem: eine etwas andere, aber dennoch äußerst lesenswerte „Gespenster“-Geschichte.
// Giovanni Tizian (Jahrgang 1982) ist der Saviano (Autor von „Gomorrha“) Norditaliens. Selbst in Kalabrien geboren, musste er im Alter von zwölf Jahren seine Heimat verlassen (unter anderem wurde die Fabrik seines Großvaters niedergebrannt und sein Vater umgebracht). In Modena will seine Familie anschließend ein vermeintlich ungestörtes Leben abseits des Treibens der Mafia führen. Leider erweist sich das als schwieriger als gedacht. In seinem ersten Buch „Mafia AG – Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta erobern Norditalien“ zeigt er auf, dass die Mafia keinesfalls nur das Problem des strukturschwachen Süditaliens ist. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Nur im Norden können mit Hilfe lukrativer Immobiliengeschäfte Geld gewaschen und Gewinne reinvestiert werden. Darüber hinaus finden sich lediglich in Norditalien zahlungskräftige Kunden für Drogengeschäfte. Der Autor erzählt in allen Einzelheiten, wie die Clans von Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta in den reichen Regionen des nördlichen Italiens agieren und wie heimisch sich die Bosse zwischen Mailand, Florenz und Venedig fühlen. Womit wir dann auch schon wieder am Ende wäre für heute. Bis zur nächsten Leserunde. (verfasst von K. Reschke)
UND WAS NUN?