Vorabankündigungen waren gestern, im Sommer 2008 schreibt man Nachbesprechungen. Die zuckerkick-Rock-am-Ring-Review, präsentiert von Coca-Cola und Marek Lieberberg.
Wir fangen mit dem an, was man auf einem Festival immer als erstes sieht: Dem Zeltplatz. Ihn beherrschten Die Kassierer, und sie waren die unangefochtenen Könige über jeden Kubikzentimeter Luft zwischen Dixitür (dahinter herrschte Flatus, der Bitte-lass-das-auf-dem-Boden-nur-Matsch-sein-Dämon) und Horizont. Dass jenseits des Horizonts, nämlich auf dem eigentlichen Festivalgelände, andere Bands das Sagen hatten, bedeutete im Umkehrschluss aber leider auch, dass zwischen Zelt und dem hinteren Ende der vor der Bühne stehenden Menge eine halbe Stunde Fußmarsch lag. So verbrachten wir am Freitag über elf Stunden am Stück auf dem Gelände, weil jeder Besuch daheim eine volle Stunde Weg in Anspruch genommen hätte. Elf Stunden Gelände – Körper und Geldbörse können sich streiten, wer mehr gelitten hat.
Für die Ausdauer aber mit vordersten Plätzen belohnt wurden wir bei den musikalischen Götterfeuern des Wochenendes, Serj Tankian und Rage Against the Machine, wobei man besonders bei letzteren nie so recht wusste, ob man jetzt besser extasisch springe und schubse oder lieber mit offenem Mund dastehe und sich freue, eines von nur drei in Deutschland stattfindenden Konzerten der erst 2007 wiedervereinten Kommunikationsguerilla miterleben zu können (die meisten entschieden sich fürs Springen und Schubsen). Beide warteten außerdem mit politischen Botschaften auf und hoben sich damit krass vom zeitlich zwischen ihnen liegenden Act Incubus ab. Die Show von deren Frontman Brandon Boyd bestand nämlich im Wesentlichen aus dem Abspulen von offensichtlich eintrainierten, vor der Kamera besonders schön aussehenden Bewegungsabläufen, das nur durch das traditionelle Ausbuhen der neben der Centerstage gelegenen Tribüne („scheeeeiiß Tribüüüne!“) unterbrochen wurde.
Dieser medienkommerzorientierte Auftritt fügte sich gut in das Gesamtkonzept von Rock am Ring, welches nämlich, ich möchte das nicht unter den Tisch fallen lassen, VON COCA-COLA UND MAREK LIEBERBERG PRÄSENTIERT wurde. Und wenn ein Festival das teuerste in Deutschland ist und die Sponsoren größer geschrieben werden als die Bands, dann zieht es auch eine besondere Klientel an. So durften sich die Ordner im vorderen Wellenbrecher der tatkräftigen Unterstützung unmusikalischer und mit der allgemeinen Solidarität auf anderen Festivals nicht vertrauter, aber dem deutschen Prinzip von Zucht und Ordnung verbundener Denunzianten erfreuen: Die Kessen, die es schafften, sich über den Wellenbrecher nach vorne zu mogeln, wurden unverzüglich angezeigt und zurückgeschleift. Das war, neben Metallica, der bleibende Eindruck vom Samstag.
Am Sonntag abend schließlich bekamen die Emos, die sich das ganze Wochenende über nicht getraut hatten zu pogen, plötzlich Torschlusspanik und organisierten zum koffeinhaltigen Kuschelrock von Jimmy Eat World ein Moschpit nach dem anderen, während die Menge vor der Bühne gegenüber der Deutschen Nationalelf beim Siegen zusah. Danach ging es auf der Centerstage sportlich, aber harmlos mit dem Kind einer Menschenfrau und Oliver Kahn zuende; die Rede ist von Campino von den Toten Hosen, der sich elanvoll in die Menge warf und auf ihr herum surfte, bis der letzte Freiluftton des Festivals verklungen war.
3 Tage Beschallung und 18 Bands später bleibt ein Tinnitus und das fade Gefühl, die gesehenen musikalischen Größen bedingt durch ihre reichhaltige Anwesenheit nur als Einträge auf der Lineup-To-Do-Liste abgehakt haben zu können, umgeben von 95.000 anderen Livelebenslaufpimpern, die es genauso gemacht haben. Zu groß, zu kommerziell, zu proletig – Coca-Cola und Marek Lieberberg können bleiben, ich gehe nächstes Jahr wieder woander hin. 4/10 zuckerli.
// text von dirk böhler
UND WAS NUN?