mit Büchern von Kevin Smith, Jonathan Lethem, David Simon, Inger-Maria Mahlke und Douglas Coupland.
// Kevin Smith hat sich in den vergangenen Jahren vom Underground-Filmemacher zum Hollywood-Starregisseur gemausert. Begonnen hat für den US-Amerikaner alles im Jahre 1994. Da kommt nämlich sein zweiter Streifen „Clerks“ in die Kinos und entwickelt sich zum absoluten Kult-Movie. Die Geschichte des Low-Budget-Streifens dreht sich um einen gelangweilten Quick Stop-Besitzer, der sich jeden Tag mit seinem Kumpel von der Videothek nebenan trifft und irgendwie die Zeit totzuschlagen versucht. Die Gespräche, die sich daraus ergeben, gehören zu den verrücktesten der Filmgeschichte, noch dazu wurde der Streifen komplett in schwarz/weiß gedreht, was einen netten A-Ha-Effekt bei den Zuschauern erzeugt und sicher als fetter Stinkefinger in Richtung Bombast gewertet werden darf.
Anschließend dreht Smith weitere New Jersey Filme: „Mallrats“, „Chasing Amy“, Jay und Silent Bob schlagen zurück“ und vor allem „Dogma“ gehören in jede gute Filmbibliothek und waren damals das Sprungbrett für zahlreiche Stars von Matt Damon bis Ben Affleck. Nun erscheint endlich die entsprechende Biografie zum bewegten Leben des Regisseurs, Comic-Autors und Schauspielers. In „Tough Sh*t“ erzählt er von seinen Erlebnissen im Showgeschäft und wie er zu dem wurde, der er ist. Er berichtet von netten Erlebnissen mit Quentin Tarantino und weniger erfreulichen mit Bruce Willis. Er plaudert außerdem über seine Beweggründe zum Filmemachen und über seine Liebe zu dem was er tut (und natürlich auch zu seiner Frau). Vielleicht liegt es auch an seinem nimmermüden Enthusiasmus, dass unter seinen Streifen zwar einige kommerzielle Flops, aber in qualitativer Hinsicht nur wenige echte Fehlschläge zu finden sind. Wenn du jetzt neugierig geworden bist und dich ebenfalls fragst: „Wie hat der Fettsack das bloß geschafft?“ Dann schnupper mal rein in dieses Werk. Es macht einfach nur verdammt viel Spaß.
// Nachdem die New York Times sein Werk „Die Festung der Einsamkeit“ vor zehn Jahren zum „Buch des Jahres“ gekürt hat, war Jonathan Lethem auch hierzulande plötzlich in aller Munde. In seinem Werk „Bekenntnisse eines Tiefstaplers – Memoiren in Fragmenten“ (im Original: „The Ecstasy of Influence“) dreht sich alles um den Einfluss des Autors auf die gegenwärtige Kulturszene und umgekehrt. Lethem spricht von den Wechselwirkungen im Literatur-Geschäft und outet sich immer wieder selbst als innbrünstiger Fan von zahlreichen Literaten und Filmen, die ihn selbst und sein Arbeit beeinflusst haben. So erzählt er nicht nur von renommierten Personen wie Bob Dylan oder James Brown, er setzt sich auch mit zahlreichen Underground-Phänomenen auseinander und führt einem dabei immer wieder im übertragenen Sinn vor Augen, was es bedeutet, sich seiner Leidenschaft voll und ganz zu verschreiben. Es gibt also viel zu entdecken in diesem Buch. Dabei widersteht der Autor allerdings immer wieder der Versuchung, sich als Kritiker in Szene zu setzen, sondern beschränkt sich stattdessen auf die Dinge, die ihm wirklich am Herzen liegen. So vergeht die Zeit mit diesem Werk nicht nur wie im Flug, sie legt auch offen, wo Lethem die Inspiration für seine Romane hernimmt. Es lohnt sich also mal reinzuschnuppern in diese etwas andere Art von Memoiren.
// Die Polizeiserie „The Wire“ wird von zahlreichen renommierten Kritikern zu den besten Serien aller Zeiten gezählt. In den fünf Staffeln wird das Leben auf Baltimores Straßen umrissen, wobei es durchaus bemerkenswert ist, dass jede Staffel sich diesbezüglich einer anderen Hierarchie-Ebene des Gang- und Polizeilebens widmet. So bekommt man als Zuschauer ein detailliertes und äußert differenziertes Bild davon vermittelt, wie in dieser Stadt das Polizeileben organisiert ist und welche Rolle das organisierte Verbrechen und die Politik dabei einnehmen. Nun erscheint bei „Heyne Hardcore“ eines der beiden Bücher, die dafür herhalten mussten, Baltimores Geschichte auf die Leinwand zu transferieren. „Homicide – Ein Jahr auf mörderischen Straßen“ umreißt das Leben in einer Stadt, in welcher pro Jahr über 200 Morde begangen werden. Autor David Simon gelingt es in diesem Zusammenhang nicht nur den Slang der Straße aufs Papier zu bringen, sondern auch die sozialpolitischen Aspekte in den Vordergrund zu rücken. Bemerkenswert daran ist vor allem die augenscheinliche Hoffnungslosigkeit, die sich bei allen Protagonisten einzuschleichen scheint. In einer Welt, in welcher die Moral schon lange kein Bezugspunkt mehr ist, verschwimmen auf diese Weise die Grenzen zwischen Gut und Böse. David Simon, von Beruf wegen Journalist und ehemaliger Polizeireporter der „Baltimore Sun“, hätte es sich in diesem Zusammenhang durchaus leicht machen können: der Autor widersteht aber der Versuchung zweidimensionale Charaktere zu kreieren. Stattdessen werden die Nöte und Zwänge der Protagonisten glaubwürdig überliefert, was auch daran liegen dürfte, dass Simon zu Recherchezwecken ein Jahr lang ganz eng mit den öffentlichen Behörden zusammenarbeitete. Am Ende lässt er sich trotzdem nicht dazu verleiten, den Blickwinkel der Ermittler zu übernehmen. Er spielt sich nicht als Richter auf, sondern möchte die unterschiedlichen Facetten und Zusammenhänge des „Tatorts Baltimore“ aufzeigen. Mit „Homicide“ gelingt David Simon die glaubwürdige Darstellung eines fragwürdigen Systems, welches jeglichen Funken Hoffnung im Keim zu ersticken scheint.
// Die Hamburger Autorin Inger-Maria Mahlke war nicht nur Preisträgerin beim 17. „Open Mike“ vor vier Jahren, sondern hat auch schon den einen oder anderen Literatur-Preis für ihr 2010er Debüt „Silberfischchen“ eingeheimst. Nun steht das neue Werk der Wahl-Berlinerin in den Regalen und dreht sich um eine Generation in der Abwärtsspirale. Claas Jansen zum Beispiel, welcher sich seit Jahren in einem Kaufrausch befindet und dieser Sucht nur geringfügig Herr wird, sieht sich plötzlich dazu gezwungen, im eigenen Mietshaus Unterschlupf zu finden. Seine Geschichte ist aber nur eine von vielen, welche die Autorin hier stellvertretend für eine ganze Generation in den Mittelpunkt rückt. Ihr Buch berichtet im weiteren Verlauf auch von Hochstaplern und Drogendealern. Dabei gelingt es der Schriftstellerin immer wieder, das Lebensgefühl einer ganzen Generation nach dem großen Aufschwung treffsicher in Szene zu setzen – ihr Werk regt einen aber auch zum Nachdenken an. Wie konnte es nur soweit kommen, dass sich immer mehr Menschen in solch prekären Situationen wiederfinden? Sind das wirklich alles Einzelschicksale oder befinden wir uns bereits in einem tiefgreifenden Umbruch hinsichtlich unseres gesellschaftlichen Systems? Inger-Maria Wahlke widmet sich dieser Frage mit einem Lächeln auf den Lippen und es macht über die volle Distanz von knapp 300 Seiten verdammt viel Spaß, den einzelnen Charakteren beim Scheitern und Wiederauferstehen beizuwohnen. Wer also auf Geschichten aus dem Leben steht, sollte unbedingt mal reinschnuppern. Es lohnt sich.
// Das neueste Baby von Douglas Coupland hört auf den Namen „JPod“ und ist aber eigentlich schon mehr als fünf Jahre alt. Die Geschichte dreht sich um sechs Angestellte einer Computerspiel-Entwicklungsfirma, die es satt haben, dass ihnen ihr Arbeitgeber vorgeben möchte, was für Gimmicks sie in ihre Spiele einbauen sollen. Darüber hinaus müssen sich die werten Kollegen aber auch noch mit illegalen Einwanderern in den heimischen vier Wänden, fremdgehenden Vätern und ein Haschisch-Plantagen herumschlagen. Mal abgesehen von der abgefahrenen Geschichte, die exakt den Nerv einer ruhelosen Generation trifft, ist dem „Heyne“-Verlag auch eine grafische Meisterleistung geglückt. Das ganze Buch ist ein gefundenes Fressen für Typographen. Die chaotischen Aspekte der Geschichte spiegeln sich famos in dem sich ständig verändernden Schriftbild wieder. Das belebt nicht nur die Phantasie, das schafft auch völlig neue Möglichkeiten, wenn plötzlich bestimmte Schlagworte in bester Pop Art-Manier auf den Leser einprasseln. So manche Kalorientabelle zu Tortilla-Snacks hätte man in diesem Zusammenhang vielleicht auch außen vor lassen können und dennoch beeindruckt es einen immer wieder, wie Douglas Coupland mit gängigen Schemata bricht, ohne dass sein Roman dadurch irgendwie auseinander zu fleddern beginnen würde. Alles in allem ist „JPod“ ein beeindruckendes Buch über die rasante Flut an Informationen, welche tagtäglich über uns Menschen herein bricht. Und damit verabschieden wir uns für heute. Bis zur nächsten Leserunde.
UND WAS NUN?