// Donnerstagnachmittag… Während draußen die Schneeflocken vom Himmel purzeln, scheint die Welt drum herum in ein magisches Licht getaut. Einfach mal durchatmen, heißt die Devise und so bahnt man sich seinen Weg durch Würzburgs Straßen in Richtung Cinemaxx, wo gerade der erste Streifen des Internationalen Filmwochenendes zu sehen ist. Der norwegische Film „Kompani Orheim“ (5/6) übererfüllt die Erwartungen dann gleich zu Beginn dermaßen, dass man nach 104 Minuten gar nicht glauben möchte, dass diese „Coming Of Age“-Geschichte schon wieder vorbei ist. Nach dem Tod seines Vaters reflektiert der junge Jarle Klepp noch einmal seine bewegte Jugend, die er im linken Milieu verlebt. Lange Zeit ist sein Vater alkohol-krank gewesen und reißt die Familie auf diese Weise zusehendes auseinander. Auf einer Bergtour eskaliert die Situation… wobei wir hier natürlich noch nicht allzu viel verraten möchten. Diesen Film sollte man sich am liebsten selbst zu Gemüte führen.
Anschließend steht dann ein betörendes Kammerspiel auf dem Programm. Was mit einer bis ins kleinste Detail ausgeleuchteten Sex-Szene beginnt, entwickelt sich schließlich zu einem einzigen Rausch der Emotionen. Die beiden Protagonisten von Anne Èmonds Film „Nuit #1“ (4,5/6) knallen sich im Laufe der 91 Minuten allerlei Befindlichkeiten vor den Latz, ohne dabei die gängigen Klischees zu bedienen. Auf diese Weise nimmt der kanadische Film ordentlich Fahrt auf und endet in einem Tal der Tränen. „Dernière Séance“ (3,5/6) wiederum lebt zwar von seinen betörenden Aufnahmen, reißt einen aber dennoch nur phasenweise vom Hocker. Das Finale des Films ist gelungen: keine Frage. Und man muss Regisseur Laurent Achard auch zu Gute halten, dass er auf explizite Gewalt-Darstellungen verzichtet (was gar nicht so einfach ist, wenn man bedenkt, dass sich der Film um einen mordenden Kinovorführer dreht). Trotzdem muss man immer wieder an „Psycho“ denken, während der 81-minütige Streifen voranschreitet. Und eine zusätzliche Straffung der Ereignisse hätte den Gänsehaut-Faktor sicher auch noch ein wenig erhöht. (was außerdem unglaublich nervt, ist die stetige Einblendung der Zeit rechts oben am Bildrand, die auch noch im Hundertstel-Bereich vor sich hin rattert – wofür die Vorführer aber wahrscheinlich nicht wirklich viel können).
// Am Freitag stellt sich bei mir zunehmend die Frage, ob die Qualität der Filme in diesem Jahr wirklich so außerordentlich ist, oder ich nur verdammt viel Glück mit meiner persönlichen Auswahl gehabt habe. Auch nach dem Abspann des irischen Streifens „Jump“ (3,5/6) findet sich kein echter Ausfall auf meinem Zettel der gesichteten Filme und da bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass das auch in den folgenden Tagen so weitergeht. Das irische Werk von Regisseur Kieron J. Walsh jedenfalls erinnert von der Machart ein bisschen an „Trainspotting“, dann aber entspinnt sich ein vielschichtiges Episoden-Drama um vier Personen, das darüber hinaus auch noch sehr rasant inszeniert ist. In der Silvesternacht kommt es in diesem Zusammenhang nicht nur zu einigen tragischen Begegnungen, sondern auch zu einem Bruch im Raum-Zeit-Gefüge, der sich für den Zuschauer aber erst nach einer gewissen Lauflänge offenbart. Zuvor gab es ebenfalls zwei sehenswerte Filme zu begutachten. Der amerikanische Streifen „Electrick Children“ (4,5/6) mutet an wie eine Mischung aus dem vielschichtigen HBO-Mormonen-Drama „Big Love“ mit jeder Menge „Coming Of Age“-Passagen. Nachdem ein junges Mädchen schwanger wird (ihrer Meinung nach ist ein Tonband dafür verantwortlich, bzw. der Sänger darauf), flieht sie aus der Mormonen-Gemeinde und trifft auf eine Gruppe Jugendliche, die ihr beibringen, was es bedeutet, wirklich zu leben. Auf der Suche nach dem Sänger auf dem Band kommt es außerdem zu einer weiteren schicksalhaften Begegnung. Anschließend biegt dann zur besten Sendezeit noch die norwegisch-deutsche Co-Produktion „Zwei Leben“ (4,5/6) um die Ecke, die am vergangenen Freitag auch das Festival eröffnet hat. Darin dreht sich alles um eine Frau namens Katrine, die in Norwegen ein scheinbar unbeschwertes Leben mit ihrer Familie führt. Als dann aber ein Anwalt Nachforschungen über verschwundene Kinder in Deutschland anstellt, wird sie mit ihrer dunklen Vergangenheit konfrontiert, die schließlich ihre gesamte Familie auseinanderzureißen droht. Mit seinem Film zeigt Regisseur Georg Maas, was auch hierzulande möglich ist, wenn man bereit ist, seine Figur mit einer großen Portion Tiefgang auszustatten. In „To Liv“ ist nichts, wie es scheint und eben das macht diese Geschichte so fantastisch. Das dramatische Ende kann man unter Umstände ein bisschen überzogen finden, das wirkt sich aber kaum auf den positiven Gesamteindruck aus. Ganz im Gegenteil: man würde sich hierzulande mehr Filme wünschen, die dieses Niveau erreichen, damit wir in Zukunft nicht weiter mit solch plumpen Mist, wie er oft in TV und Kino zu sehen ist, abgespeist werden.
// Am Wochenende selbst kommen dann auch die Fans des fantastischen Kinos auf ihre Kosten. Unter dem Titel „Sein Nui Yau Wan“ (3/6) steht ein Update des Klassikers „A Chinese Ghost Story“ auf dem Programm und das reicht zwar nicht ganz an das Original heran, bezaubert einen aber dennoch mit seiner effekt-beladenen Kulisse und einer Story, welche die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischt. Am Sonntagabend wird man dann von einem echten Leckerbissen aus den USA in die dunkle Nacht entlassen. „Lawless“ (3,5/6) von John Hillcoat kann zwar in Sachen Intensität nicht mit der großartigen TV-Reihe „Boardwalk Empire“ mithalten, sorgt aber trotzdem über die volle Distanz von 105 Minuten für spannende Unterhaltung bei all jenen, die sich gerne mal in die Vereinigten Staaten der 30er Jahre zurückversetzen lassen.
// Womit wir auch schon wieder fast am Ende des diesjährigen Filmwochenendes angekommen sind. Fehlt eigentlich nur noch ein kurzes Fazit, das in diesem Jahr rundum positiv ausfällt. Neben der Qualität der gezeigten Filme wurden auch die Gesprächsrunden mit den einzelnen Gästen sehr gekonnt in Szene gesetzt. Zudem wurde mit dem Schwerpunkt „Flucht. Asyl. Immigration.“ ein äußerst dringliches Thema aufgegriffen, über welches unbedingt geredet werden muss. Somit leistete das 39. Internationale Filmwochenende auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht einen wichtigen Beitrag. Stellt sich am Ende eigentlich nur noch die Frage, wer eigentlich die diesjährigen Preise bekommen hat? Als bester Film wurde ausgezeichnet: der italienische Streifen „Io sono Li“, gefolgt von „Zwei Leben“ und „Jump“. Alle weiteren Gewinner findet ihr unter www.filmwochenende.de. Und wir sagen jetzt schon tschüss bis zum nächsten Jahr, in welchem uns die Macher hoffentlich wieder so viele, packende Streifen präsentieren.
// Fotos: Internationales Filmwochenende & Anhaa
// verfasst von Anhaa
UND WAS NUN?