mit neuen Büchern von Marlon James, Julya Rabinowich, Markus Binder, Anke Stelling und Tim Mohr.
// Über Bob Marley wurden schon zahllose Werke veröffentlicht, aber kaum eines erreicht die Qualität des nun erscheinenden, fast 900-seitigen Mammut-Buchs „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“. Marlon James, der als Sohn zweier Polizeibeamter im Jahre 1970 das Licht der Welt erblickte, richtet seinen Blick darin auf das Jamaika des Jahres 1976. Damals drangen sieben bewaffnete Männer in das Haus der Reggae-Legende ein und begannen zu feuern. Marleys Manager wirft sich noch dem Kugelhagel entgegen, um seinen Klienten zu schützen und auch Marleys Frau erleidet schwere Verletzungen. Ausgehend von diesem Attentat macht sich der Werbetexter und Grafikdesigner daran noch einmal die Hintergründe aufzudecken und dabei ein konkretes Stimmungsbild der damaligen Zeit zu entwerfen. Selten hat ein Autor die Verhältnisse in Jamaika in den 70er und 80er Jahren so bildgewaltig, detailliert und nachvollziehbar ins Literarische überführt und so sind wir auch nicht allzu verwundert, dass James für seinen Roman mit dem „Man Booker Price 2015“ ausgezeichnet wurde. Worauf also wartet ihr noch. Schnappt euch dieses epische Werk. Es lohnt sich.
// Hochaktuell ist auch der tolle neue Roman von Julya Rabinowich. In „Dazwischen Ich“ erzählt sie die Geschichte von Madina, die als Flüchtling nach Deutschland kommt. Ihre neue Heimat verspricht ihr auf den ersten Blick vor allem Sicherheit. Alles fühlt sich nach einem neuen Lebensabschnitt an, doch ihre Familie tut sich zunehmend schwer, in Deutschland Anschluss zu finden. Der Vater von Madina zieht sich dabei zunehmend zurück und ihre Mutter hüllt sich in Schweigen. Also liegt es an Madina, die Initiative zu ergreifen und die Dinge zu regeln, die es zu regeln gibt. Sie wird dabei immer mehr zu einer Art Vermittlerin zwischen den Welten. Dass das nicht besonders einfach ist für eine junge Frau im Teenager-Alter, erklärt sich von selbst und doch findet Madina schnell Anschluss und auch in Laura eine beste Freundin, die für sie zum Rettungsanker in einer für sie noch neuen Welt wird. Wer sich gerne in poetischer Sprache verliert, der ist bei dem Roman von Julya Rabinowich an der richtigen Adresse. Sie leuchtet auf spannende Weise das Innenleben ihrer Protagonistin aus und wirft einen Blick auf den Alltag all jener, die vor Terror und Gewalt flüchten mussten und dabei ihre Heimat hinter sich lassen mussten.
// Im „Verbrecher“-Verlag erscheint derweil ein wirklich lesenswertes Werk von Markus Binder, der vielen von euch vielleicht aufgrund seiner Involvierung bei dem österreichischen Duo Attwenger ein Begriff sein sollte. Mit ihnen hat er nicht nur zahlreiche spannende Volksmusik-Alben veröffentlicht, die jegliche Stilgrenzen überschreiten, er hat sich im Jahre 2005 bereits erstmals als Autor versucht und damals das Werk „Testsiegerstraße“ aus dem Ärmel geschüttelt. Nun also steht der Nachfolger namens „Teilzeitrevue“ in den Regalen und das Buch wendet sich einem Paar und dessen Beobachtungen zu. 36 Stunden folgen wir ihnen, wie sie sich auf einem Langstreckenflug befinden, die Klubs der City unsicher machen und anschließend mit dem Zug von Stadt zu Stadt düsen. Es ist ein ruheloser Text, der nur so strotzt vor spannenden Dialogen und Zitaten. Die Geschichte schreitet dabei nicht klassisch voran, sondern erscheint bisweilen bruchstückhaft. Man könnte sagen: chaotisch und ist damit ein exaktes Abbild der Welt, in welcher wir alle leben. Wenn du also mal wieder auf Entdeckungsreise gehen möchtest, dann hol dir das Werk.
// Grenzen überschritten werden derweil im neuen Roman von Anke Stelling, die bereits im Jahre 2015 mit ihrem Roman „Bodentiefe Fenster“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand. Nun steht mit „Fürsorge“ ein Buch in den Startlöchern, das die Leser spalten dürfte. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Tänzerin Nadja, die nach einer Karriere auf der Bühne nun als Dozentin in einer Ballettschule anheuert. Irgendwie existiert die Protagonistin dabei allerdings zwischen den Welten und findet nicht so recht Zugang zu den Menschen um sich herum. Eines Tages beschließt sie ihre Mutter zu besuchen, die auf ihren sechzehnjährigen Sohn Mario aufpasst. Schnell entspinnt sich zwischen Mutter und Sohn dabei ein enges Verhältnis, im Rahmen dessen beide schon bald jegliche Hemmung ablegen. Ihr Umfeld wiederum scheint davon nichts mitzubekommen oder will es ignorieren. Lediglich die namenlose Erzählerin des Werkes ist entsetzt und so bekommt man als Leser ein verstörendes Werk präsentiert, in dem sich auch die Einsamkeit unserer Gesellschaft widerspiegelt.
// Über die Punkszene in Ostdeutschland wurden bis dato noch nicht wirklich allzu viele Bücher veröffentlicht. Tim Mohr hat sich nun daran gemacht diese Lücke zu schließen und veröffentlicht mit „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft – Die ostdeutschen Punks und der Fall der Mauer“ einen spannenden Rundumschlag, der auf 50 verschiedenen Interviews mit den Protagonisten der Szene fußt. Man bekommt auf diese Weise nicht nur ein differenziertes Bild von der damaligen Zeit und den Geschehnissen vor Ort präsentiert, es werden auch immer wieder schöne Erinnerungen an das Standartwerk „Verschwende deine Jugend“ wach. Das Werk allerdings belässt es nicht bei den Erzählungen von Augenzeugen, sondern Tim Mohr hat bei seinen Recherchen auch auf die Akten der Stasi zugegriffen und damit ein bis dato kaum beleuchtetes Thema aufgegriffen. Sein Buch wiederum reißt einen in einen regelrechten Sog der Emotionen, es kommen die britischen Militärsender zur Sprache, die von West-Berlin gen Osten drangen und von Menschen, die sich schon rein optisch mit Löchern in den Jeans und Ohrlöchern von der breiten Masse abhoben. Wenn du also näheres erfahren willst über eine bewegte Zeit, die auch von der stetigen Angst vor Repressionen geprägt war, dann lass dir diese Geschichte nicht entgehen.
UND WAS NUN?