Beim dritten Album kommt eine Band ja meistens an den Punkt, wo sie sich etwas einfallen lassen muss, um die Sache spannend zu halten. Deshalb entpuppen sich die Platten meistens als besonderer Spaß für denjenigen, dem die Mucke bisher herzlich egal war. Schließlich kann er nur gewinnen… und sich spitzbübisch darüber freuen, dass sich die alten Fans reihenweise die Haare raufen. Die Kaiser Chiefs scheinen nun genau so ein Fall zu sein. Ihre Songs – inzwischen zum „Bierzeltindie“ degradiert- sind gekennzeichnet durch diesen stadiontauglichen, hymnischen Moment, zu dem man sich nachts um halb drei das letzte Bierchen hinter die Binde kippt. Nun allerdings haben sie beschlossen, sich dem einfach zu verweigern. „Off With Their Heads“ ist zwar immer noch um Meilen eingängiger und plakativer, als Bloc Party & Konsorten. Aber die raditaugliche Berieselung a la „Ruby“ ist verschwunden. Stattdessen gibt’s Songs, wie „Half The Truth“, aus dessen unmelodischer Schale sich nach und nach eine astreine Hymne schält. Oder das sagenhafte „Never Miss A Beat“, das so gar nicht nach den charttauglich produzierten Bläserhymnen Marke(e) Ronson klingt – der das Album mitproduziert hat-. Stattdessen setzt die Band auf ein gewisses Understatement, bei dem man sich immer wieder fragt, ob das jetzt Absicht ist, oder ob ihnen einfach die Melodien ausgegangen sind. Eine Antwort darauf wird man wohl erst auf dem nächsten Album bekommen. Das hier jedenfalls ist für Kaiser Chiefsche Verhältnisse sehr mutig geraten – und dürfte sich als wesentlich langlebiger erweisen, als der glatte Vorläufer. Wer es derweil etwas subtiler mag, sollte sich aber dennoch an den hervorragenden Sampler aus dem Hause Compost halten. Auf „Compost 300 – Freshly Composted Vol. 3“ finden sich zahlreiche elektro-jazzige Entwürfe, die man nur zu gerne zur vorabendlichen Einstimmung auf den nächtlichen Bar-Trip einschmeißt. Besonders hervor stechen dabei Marbert Rocel (mit unveröffentlichtem Track) und Beanfield. Getoppt werden sie allerdings noch von Blumentopfs DJ Sepalot, der mit „Go Get It“ eine funkelnde Soul-Rakete abfeuert. Äußerst eindrucksvoll gestaltet sich auch das treibende, technoide „Beach Towel“ von Karma. Man muss lange zurückdenken, wann man sich von einem elektronischen Entwurf dermaßen in den Bann gezogen fühlte. Trotz der vorhanden Stilvielfalt verliert die Platte in keinem Moment ihr großes Ziel vor Augen: gute Musik zu präsentieren. Das machen Compost nun bereits seit 14 Jahren. Und sie hätten sich selbst kaum ein schöneres Geschenk machen können, als dieses Sammelsurium aus bezaubernden Klängen und Sounds. Es dürfte also durchaus spannend bleiben, was das Label demnächst noch für musikalische Knallbonbons zündet. Bis dahin wandeln wir in geisterhafter Atmosphäre hinab zum Fluss. Der dichte Nebel hüllt uns ein. Irgendwo jauchzen melancholisch verzerrte Textfetzen a la The Cure mit Gitarrenklängen der Marke Interpol um die Wette. Und schon ist man gefangen in der Welt von Miyagi – einer zugegeben ziemlich charmanten Post-Wave-Kapelle aus Münster. Ihr Album „Hydraulic Son“ versprüht diesen hinterhältigen Reiz, der einen überkommt, wenn man nachts im Keller ein Geräusch vernimmt, das man nicht so recht zuzuordnen vermag. Da schnallt auf der Stelle dieser Drang in einem hoch, der ganzen Sache auf den Grund zu gehen. Das Herz fängt an zu pochen. Ein Hauch von Gefahr liegt in der Luft. Und schon zieht einen die Musik mit ihrer geheimnisvollen Ästhetik in einen Bann – fesselt einen mit schmissigen Melodien, wie bei „Whatever 2.0“ und umschmeichelt einen sanft mit ihrer kargen, trockenen Atmosphäre, die einen nicht mehr loslässt. Miyagi werden mit diesem Album sicher nicht für schweißüberströmte Häupter sorgen, nein, sie verletzen dich lieber leicht am Arm. Das vor Blut triefende Cover spiegelt die Atmosphäre der Songs treffend wieder – und wirft eigentlich nur die Frage auf, wann sie das passende Comic dazu raus hauen. Womit wir uns dann mal wieder dem deutschen Rapgeschäft zuwenden. Kool Savas aka John Bello hat ein neues Mixtape am Start. Dabei muss ich zugeben. Ich bin Mixtape-müde. Immer öfter scheint es den Künstlern mehr um die Masse, als die Klasse ihrer Veröffentlichungen zu gehen. Der „King Of Rap“ entgeht der Gefahr, indem er auf „John Bello Story II“ alles in Grund und Boden rappt. Hier steht jemand am Mikro, der sich seiner Stärken vollends bewusst ist. Schon auf dem überraschend zurückhaltenden, aber durchaus gelungenem Zweitling „Tot oder lebendig“ hat sich Savas ja von diversen Aggroganten des deutschen HipHop distanziert. Deshalb stellt sich die Frage, warum er sich auf diesem Mixtape nicht aufs Wesentliche konzentriert. Erneut prasselt stattdessen ein wahrer Featureregen auf einen ein. Und mit Ausnahme von Olli Banjo kann kaum einer der Gäste mit der Wortgewalt von Savas mithalten. Da fragt man sich natürlich, was aus dieser Scheibe hätte werden können, wenn der begnadete Rapper es einfach mal solo versucht hätte. Stattdessen entpuppt sich Bello Nummer zwei als Schaulaufen für die Signings seines Labels. Und ist letztlich auch eine Art Eingeständnis, dass sich mit Musik heute leider nicht mehr viel Kohle verdienen lässt. “John Bello“ ist nämlich das Abschiedswerk von Optik Records. Danach kommt nichts mehr. Bleibtnur zu hoffen, dass Savas weiter dran bleibt. Und der melancholieverliebte Sturz in rockigere Gefilde. Tiger Lou geben sich auf ihrem neuen Album ziemlich großspurig. Der Opener läuft beinahe über vor produktionstechnischer Finesse. Hinterher wird es dann aber gediegener. Und nach einigen Durchläufen schimmern die Songs ebenso hell und melodisch wie früher. Dennoch ist „A Partical Print“ im Gegensatz zu den beiden Vorläufern ein Album, das man sich erarbeiten muss. Kleine Perlen, wie „Trust Falls“ stechen zwar sofort ins Auge, aber viele Songs entfalten sich erst nach und nach. Wenn man sie allerdings mal ins Herz geschlossen hat, krallen sie sich fest. Tiger Lou gehen mit diesem Album einen wichtigen Schritt nach vorne. Schienen sie früher einen Platz auf dem Sonnendeck gebucht zu haben, um dort der roten Sonne beim Untergang zuzusehen, stürzen sie sich nun hinab in das Geflecht der City. Laufen dabei sogar mehrmals Gefahr sich zu verheddern und krabbeln dann aber doch wieder aus dem Dickicht an die Oberfläche. Eingehüllt vom Glanz der Abendsonne, die allein ihren Songs zu lauschen scheint, spielen sie ihre Musik. Bis die Welt verschwindet. Verschluckt wird von der Dunkelheit. Dann plötzlich ertönt eine Stimme. „This Is My Voice, My Weapon Of Choice“. Grace Jones ist zurück. Mit einem mehr als eindrucksvollem Album, dass sich zeitweise anhört, als hätte Tricky sich in cineastische Gefilde verirrt. „Hurricane“ jedenfalls strahlt eben jene Erhabenheit aus, die man sich von Roisin Murphy auf ihrem letzten Werk gewünscht hätte. Das famose „Williams´ Blood“ ist einer dieser großen Pophits, die man sich zur Untermalung einer verrauchten Kneipenszenerie herbeisehnt. Und „Corporate Cannibal“ scheint schon allein aufgrund des verzerrten Wahnsinns von Videoclip der perfekte Anwärter für den Preis als „Comeback Single des Jahres“. Dabei hatte man Grace Jones fast schon wieder aus der Erinnerung verbannt. Umso nachdrücklicher empfiehlt sie sich auf „Hurricane“ als Vorreiterin für ein breit angelegtes „Disco“-Revival. Wären da nicht immer wieder diese herzzerreißenden, schmeichelnden, schlicht zeitlosen Balladen, wie „I´m Crying (Mother´s Tears)“ oder das luftige Reggaeexperiment „Well Well Well“, dass die Musik über weite Strecken vollkommen unkategorisierbar werden lässt. Grace Jones mag das alles herzlich egal sein. Denn es ist ihre Stimme, die diese Platte im Innersten zusammen hält, die einen von einer Sekunde auf die andere in einen Zeitstrudel reißt und den Kreis zur eigenen Vergangenheit zu schließen vermag. „Hurricane“ atmet Nostalgie und verkauft sie zukunftsweisend. So dass die Menschen am Ende lieber die Tanzfläche stürmen, als ehrfürchtig zu erstarren. Vor einer Künstlerin, der die Zeit scheinbar nichts anhaben kann. Jacques Palminger vom allseits beliebten Studio Braun einet sich da nur zu gut, um als nächstes den Plattenteller mit seiner Anwesenheit zu beglücken. Zwangsläufig muss man bei „Mondo Jerry“, das Jacques Palminger & The Kings Of Dub Rock zusammen eingespielt haben, an eine vernebelte Version von Knarf Rellöm denken. Diese Musik jedenfalls schleicht so unscheinbar, wie pointiert ums Eck, dass man sich ihr kaum entziehen kann. Immer wieder hebt Rica Blunks Stimme Jacques düsteren Sprechgesang aus dem verkorksten Umfeld empor, surft mit ihm durch watteweiche Wolkenfetzen und prasselt schließlich in zauberhafter Beiläufigkeit auf den Finger schnippenden Hörer ein. Diese Musik schafft sich ihr ganz eigenes Plätzchen im verpoppten Duberlei. Weitaus subtiler, als mancher Kollege wirkt diese Musik trotz ihrer charmanten Wohnzimmersesselatmosphäre, wie ein augenzwinkernder Weckruf. Ihr gelingt es spielend die Sache über die volle Länge spannend zu halten, obwohl sie doch so unfassbar ist, wie Lynch-Filme. Ein insgesamt also sehr widersprüchliches Album… fast so, wie Menschen die gleichgültig mit dem Kopf schütteln. Dadurch aber nur umso bemerkenswerter. Ebenso wie das famose Livevideo der „Arctic Monkeys At The Apollo”. Schon der Auftakt ist sensationell. Dieser Sturm auf die Bühne. Diese versteinerte Pose des Drummers – bravouröse von hinten in Szene gesetzt-, kurz bevor dann die ersten Takte von „Brianstorm“ auf einen einprasseln. Das ist schier unglaublich. Man möchte sich einfach immer wieder aufs Neue in die Songs dieser Band verlieben. Einfach weil sie so atemlos vor sich hin stürmen, als ginge es ums nackte Überleben. Die Bühne – in ein sanftes rot getaucht – wird zum Schauplatz eines atemlosen, 76minütigen Wettlaufes einer Crew, die sich energisch durch ihr breites Sammelsurium an Hits ballert. Gebannt wurde das Ganze auf 16mm. Und man fühlt sich durch die zahlreichen Split-Screens und das reduzierte Ambiente sofort dazu eingeladen, den Wohnzimmersessel in die Ecke zu schmeißen und die akustische Gitarre an der Zimmerwand zu zertrümmern. Das Schönste aber ist: das Ganze wird auch noch als schicke Monsterbox erscheinen – mit Live-LP… man sollte nur aufpassen, dass man das gute Teil nicht vor lauter Euphorie verkratzt. Das wäre einfach zu schade um den Feuer spuckenden Höllentrip, auf den die Jungs aus Sheffield dich hier mitnehmen. Und den man übrigens auch auf der ganz großen Leinwand miterleben kann – zumindest wenn man Bock hat, einen Abstecher ins Nürnberger „Cinecitta“ zu unternehmen. Da läuft das Teil nämlich im Oktober. Und ich sag euch: der Trip dürfte sich lohnen. Womit wir dann so langsam mal zum Ende kommen. Aber nicht ohne vorher noch eine Runde zu entspannen. Zu kuscheln. Ja, sich in den wogenden Wellen eines wärmenden Dampfbads zu suhlen. Optimo (Espacio)s neues Werk jedenfalls überschwemmt einen gleich zu Beginn mit einem sanften Schwung Strandatmosphäre. Das Wasser plätschert so vor sich hin… eine sanfte Brise streichelt die Nasenflügel. Und man lehnt sich gelassen zurück, um einem breit angelegten Set aus loungigen und verstrahlten Melodien und Rhythmen zu lauschen. Nachdem sich die Platte dann so langsam entschlossen hat, wie eine Leiche im Teich mit dem Blubbern aufzuhören, überschwemmen Nebelschwaden die mysteriöse Szenerie. Verzieren selbige mit poppigen Rhythmen, wie Tuxedomoons „In A Manner Of Speaking“ und münden schließlich in jazzigen Absurditäten der Marke Duke Ellington. Diese Compilation ist mehr, als eine lose Aneinanderreihung von Songs. Sie vermittelt ein Grundgefühl: das eines „Sleepwalk“. Einer Reise durch abwegige Soundentwürfe, cineastische Szenarien und anschmiegsame Popentwürfe. Dabei erscheint kaum ein Moment der Popgeschichte zu abwegig – kein Musikschnipsel zu absonderlich, um sich nicht der Produktion dieses Mixtapes zu unterwerfen. Optimo vermengt das Ganze durch einen meisterlich arrangierten Spannungsbogen zu einem abenteuerlichen Trip, der so „cool“ ist, dass er Gefahr läuft, bald als Hipster-Sound auf einschlägigen Studentenpartys zu laufen. Umso besser also, dass wir ihn gerade noch ganz für uns allein haben. Zumindest bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von: alexander nickel-hopfengart
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