Wer hat nicht mal wieder Lust auf eine Achterbahn der Gefühle? Auf Saxophon, Harfe und Piano. Auf Pop in seiner reinsten Form. Nicht diesen Mist, den sie dir auf den einschlägigen Musiksendern injizieren. Pop mit Gefühl. Mit Tiefsinn. Mit Überraschungsmomenten. Der sich nicht scheut, auch mal experimentelle Pfade zu betreten. Der aber dennoch so puristisch, rein, klar, schlicht erhaben klingt, dass man sich ihm nur zu gerne um den Hals wirft. Dem man anschließend ins Ohr flüstern möchte: Tanz mit mir. Schwebe mit mir durch den Raum. Lass mich vergessen, wo oben und unten ist. Löse die Schwerkraft auf. Mach mich verrückt. Bring mich hinauf zu den Sternen. Weg von hier. Raus aus dem Leben. In ein romantischeres Dasein. In eine kleine Hütte mit Blick aufs Meer. Im Mondschein versteht sich. Und dann lass es Badeenten vom Himmel regnen. Verwandele die ganze Welt in ein großes Wunderland. Spazier mit mir durch einen Luftschlangenregen. Hüll mich ein. Hüll mich bitte ein mit diesen abstrakten, so berauschenden Klängen, die da aus den Boxen strömen. Diesen Songs von Simon Bookish. Der kann das. „Everything / Everything“. Und noch viel mehr. Probiers mal aus. Und schlendere dann rüber zum nächsten Schauplatz. Lass das Piano in den Vordergrund treten. Lass eine quirlig weibliche Stimme mit dir Ringelreih tanzen. Stell dich unter einen Wasserfall aus Konfetti. Schleudere deine Haare im Takt. „Gotta Leave My Troubles Behind“. Genau diesen Song brauchst du jetzt. Vergiss den Stress. Hüpf lieber eine Runde über eine grüne Wiese und wenn sie vom weißen Schnee bedeckt ist, grab sie einfach wieder frei. Schaff dir dein eigenes privates Plätzchen und lausche den Klängen von Miss Li. Ja genau… Miss Li – die eigentlich Linda Carlsson heißt. Die ihren Sound auch schon für diverse Serien hergeben durfte. 24. Weeds, Lost. Vor allem für Lost. Denn verlieren kann man sich ganz besonders in ihren Songs. Songs, die klingen, als würden Kate Nash und Regina Spektor im gleichen Theaterstück auftreten. Die einfach nur Lebensfreude vermitteln. Und auch mal herzhaft Schluchzen, wenn es mal zu viel wird. Mit Songs, die das Herzstück von drei bereits veröffentlichen Alben darstellen. Eine Best Of Compilation sozusagen. Der man das gar nicht so richtig anmerkt. Die einfach schlüssig ist. Und dabei abwechslungsreicher, als so manch anderes Liedermacher-Geklimper. Sich vielleicht in eine Reihe stellen könnte mit Ben Folds. Und in Schweden wohl das nächste große Ding werden dürfte. Hoffentlich spült die Popwelt diese Musik bald auch zu uns herüber. Da wartet die doofe Wolkendecke nämlich schon viel zu lange darauf, dass sie endlich jemand aufreißt. Womit wir uns dem synthetischen Duo Petit Mal zuwenden. Die sind inhaltlich ganz weit vorn. Ich meine, wer schreibt schon herzergreifende Popsongs über die aktuelle Finanzkrise. Kein Mensch macht das. Außer die beiden. Sie stolzieren einfach über 80er Jahre Synthesizer und zaubern Elektro-Häschen aus dem Hut. Wenn nur alles so einfach wäre, wie bei diesen Popraketen, die früher gern die Pet Shop Boys gehört haben. Die aber auch einen subtilen Unterbau haben. Die gerne mal das Piano nach vorne rollen, um es dann über den Bühnenrand zu schubsen. Ihre Musik sollte man unbedingt im Blitzlichtgewitter eines Clubs erleben. Weil sie einen dann einlullt. Das verzerrte Klimpern des Pianos. Diese Stimmgewalt zwischen Roisin Murphy und Annie. Diese zeitgeistigen Songs, die man sich erarbeiten muss. Songs gegen den Nonsens da draußen. Gegen die Bösen im (Pop)Universum. Als Bibi Blocksberg der Unterdrückten. Mit zauberhaften Melodien. Das verfluchte Gegenteil von den Skeletons. Einer Band, die viel gruseliger klingt, als das Duo von gerade eben. Die Skelette tanzen. Choreografieren. Fallen in sich zusammen. Raufen sich wieder auf. „Money“ ist keine alltägliche Platte. Kein Album für eine nächtliche Fahrt mit den Kumpels. „Money“ ist wie ein Sprint durch Tropfsteinhöhlen mit eingebauter Geisterbahn. Man muss ständig auf der Hut sein. Überall lauern Gefahren. Jeder Schritt könnte der letzte sein. Die Stalagmiten schießen als perkussives Gewitter aus dem Boden. Die Stalaktiten prasseln in Form von Bläsern und abwegigem Singsang von der Decke. Und du rennst durch diesen Wasserfall aus abstrusen Ideen. Und ergibst dich schließlich der Szenerie. Schlägst dir den Kopf auf. Stehst wieder auf. Und merkst wie gut sich das anfühlt – nicht zu wissen, was da wohl als nächstes auf dich zukommt. „Bis 9 bist du ok, bei 10 erst ko.“ „Booom! (Money)“ liefert den endgültigen Beweis. Freejazz und Popmusik sind heutzutage kein Widerspruch mehr. Und du bist dir nicht ganz sicher, wann du von einer Platte zum letzten Mal so gefordert wurdest. Das hat irgendwie verdammt gut getan. Trotzdem willst du jetzt erstmal deine Seele baumeln lassen. Am besten zu den Songs von Blitzen Trapper. Die spielen Musik, die klingt, als würdest du einer Büffelherde beim Grasen zusehen. Du steckst dir einen Zahnstocher in den Mund. Öffnest eine Flasche Whiskey und fängst an zu singen. Hier öffnet sich eine Gruppe Krawallmacher endgültig der Glückseeligkeit. „Furr“ wirkt, als hätte man dem letzten Album der Fleet Foxes eine paar schicke Refrains verpasst. Lagerfeuermusik ist das. Trotzdem wirkt so mancher Songs seltsam dissonant – was wohl vorwiegend dem Detailreichtum unter der Oberfläche geschuldet ist. Unter dem beherzten Piano und der akustischen Gitarre surrt und fiept es nämlich so sehr, als würde man von einem Schwarm Bienen verfolgt. Blitzen Trapper wollen alles sein, aber ganz sicher nicht berechenbar. Das tut der Platte verdammt gut. Und man fühlt sich angestachelt, immer tiefer in den Kosmos von „Furr“ vorzudringen, um dort das tiefsinnige Treiben hinter den schlichten Melodien zu erkunden. Die Belohnung winkt in Form einiger zeitloser Melodien, die sich so liebreizend an dich kuscheln, dass du sie nie wieder loslassen möchtest. Hinterher gibt’s dann noch einen kleinen Tipp für alle frisch gebackenen Mamas und Papas auf der Welt, denen die Benjamin Blümchen-Kassetten schon lange zum Hals raus hängen. „Babies Go Oasis“ nennt sich der neuste Output der Sweet Little Band und darauf werden die bekanntesten 14 Hits der verehrten Gallaghers auf Flötenkonzertniveau herunter gebrochen. Klingt irgendwie ziemlich esoterisch das Ganze. Wie eine von diesen Scheiben, die im Fachhandel mit großen Namen die Käufer anlocken und bei denen man dann hinterher feststellt, dass nur akustische Versionen drauf sind, die auch noch ziemlich blutleer klingen. Trotzdem hat dieser charmante Output hier den Vorteil, dass es sich bei den Songs um einige der eindrucksvollsten Errungenschaft der musikalischen Neuzeit handelt. Und weil ich Oasis nun mal verehre, geht das Ganze am Ende auch halbwegs klar, obwohl ich solche Arten der Zweitverwertung eigentlich abgrundtief verabscheue. Außerdem sollte man letztlich natürlich auch bedenken: Beim nächsten Kindergeburtstag statt „Tatüüü Tataaa“ mal die Melodie von „Wonderwall“ mitzusummen. Das hat doch auch einen gewissen Charme. Oder nicht?! Und wenn die Kleinen dann im Bett sind, kann man ja immer noch den aktuellen Lieblingssampler auflegen. Und apropos Sampler. Zur passenden Abenduntermalung sei hier einmal ausdrücklich auf den famosen Soundtrack zum neuen Wim Wender Film „Palermo Shooting“ hingewiesen. Der wartet Gott sei Dank nicht mit einem musikalischen Stelldichein der Toten Hosen auf, obwohl der liebe Campino ja die Hautrolle des Films übernommen hat. Stattdessen versammelt sich eine illustre Riege an musikalischen Gästen und verbreitet über 21 Songs eine melancholisch verrau(s)chte Atmosphäre. Get Well Soon. Grinderman. Monta. Thom. Sie alle steuern unveröffentlichtes Material bei, das bisweilen schlicht umwerfend ist. „Busy Hope“ zum Beispiel von Get Well Soon spielt mal eben das komplette Debütalbum des versierten Musikstudenten an die Wand. Und wenn dazu noch bekanntes, aber dennoch hochklassiges Material von Calexico, Portishead, The Velvet Underground, Jason Collett, Beirut und Bonnie Prince Billy am Start ist. Da kann man als in(die)fizierter Fan zeitgenössischer Gitarren-Klänge gar nicht anders, als die Scheibe mal eben zum heißesten Anwärter auf den Titel „Soundtrack des Jahres“ zu erklären. Ich jedenfalls muss lange zurück denken, wann ich zum letzten Mal eine Zusammenstellung von Songs gehört habe, die so homogen ineinander gegriffen hat. Hoffen wir also, dass der Film ähnliche Begeisterungsstürme auslöst, wie die Musik. Und damit mal auf einen Abstecher bei den liebenswürdigen Locas in Love vorbei geschaut. „Winter“ haben die ihr neuestes Werk getauft und geben sich auch dementsprechend schwelgerisch, wenn auch bisweilen sehr verträumt. Schneeflocken hüpfen durchs Bild. Aber der Kitsch, der bei Karpatenhund so manchen Indie-Nerd irritiert die Flucht ergreifen ließ, der wird hier konsequent ausgespart. Die Stücke wollen immer ein bisschen mehr sein, als nur Popmusik. Sie wehren sich vehement gegen den oberflächlichen Karpatenhund-Ansatz, der ja so vielen Angst machte, er könnte Locas in Love gleich noch mit in die Bedeutungslosigkeit reißen. Das tut er nicht. „Winter“ ist ein ergreifendes Werk, das in seinen besten Momenten genauso an Peter Licht, wie an Virginia Jetzt erinnert. Die Hingabe an das eigene Schaffen geht dabei so weit, dass die Scheibe in der Erstauflage mit selbst genähten Hüllen und eingeklebtem, eigens gepresstem Herbstlaub erscheint. Für solch kleine Liebenswürdigkeiten möchte man die Band dann immer wieder ganz fest knuddeln. Herzlichkeiten mit ihnen austauschen. Und sich am Ende über das wahrscheinlich einzige Weihnachtsalbum des Jahres freuen, das sich jeglichem feiertagaffinen Kitsch-Moment verweigert. Stattdessen wird lieber das Twin Peaks Thema in einen hoffnungsvollen Kontext übersetzt. Und das… das muss ihnen wirklich erstmal jemand nachmachen. Womit wir uns zu guter letzt noch mal den altehrwürdigen Smiths widmen. Über deren Musik muss man ja eigentlich keine großen Worte mehr verlieren. Keiner schluchzt so herzergreifend wie Morrissey. Und keiner ist so beharrlich darin, immer wieder zu erwähnen, dass man die alte Gruppe von Querköpfen nie wieder zusammen auf der Bühne sehen wird. Da können ihm die Labels noch so viel Geld anbieten. Morrissey wird Wort halten. Was sich allerdings verschmerzen lässt, wenn man sich das neue Monsterpaket aus dem Hause Smiths ansieht: 2 Cds randvoll mit Hits, Hits, Hits… „This Charming Man“, „There Is A Light That Never Goes Out“, “Girlfriend In A Coma” – all die Stücke zu denen man sich unter die Decke verkrochen hat, um sich vollends im eigenen Selbstmitleid zu ertränken: sie alle sind drauf auf „The Sound Of The Smiths“. Neben den regulären 23 Tracks von Scheibe eins, gibt’s das Ganze aber auch noch in der Doppelvariante mit 22 raren Tracks aus dem breiten Schatz an herzzerreißenden Melodien. Besonders schön: Das unglaubliche „Stop Me If You Think You´ve Heard This One Before““ – mit dessen Lyrics wir auch diesen Zuckerkick hier angemessen beschließen wollen… „oh, so I drank one or was it four and when I fell on the floor . . .I drank more. stop me, stop me, stop me if you think that you’ve heard this one before, nothing’s changed, I still love you…” …und ich liebe die Musik dieser Band. Immer und immer mehr. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von alexander nickel-hopfengart
// zuckerbeat volume 38
Wer hat nicht mal wieder Lust auf eine Achterbahn der Gefühle? Auf Saxophon, Harfe und Piano. Auf Pop in seiner reinsten Form. Nicht diesen Mist, den sie dir auf den einschlägigen Musiksendern injizieren. Pop mit Gefühl. Mit Tiefsinn. Mit Überraschungsmomenten. Der sich nicht scheut, auch mal experimentelle Pfade zu betreten. Der aber dennoch so puristisch, […]
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