Eigentlich fing die Geschichte von Fall Out Boy ziemlich viel versprechend an. Das Debüt „Take This To Your Grave“ und der Nachfolger „From Under The Cork Tree“ klangen wie ein mit RnB-Anleihen aufgemotzter Emo-Entwurf mit Augenzwinkern. Doch dann wollten die Jungs plötzlich Pop sein. Jay-Z wurde fürs „Intro“ der letzten Platte engagiert. Eine Single ausgekoppelt, die den Backstreet Boys in nichts nachsteht. Und das Ganze wurde dann auch noch in eine effekthascherische Bubble Gum-Atmosphäre eingebettet, die man ja noch geil gefunden hätte, wenn die Band die großen Erwartungen im Livekontext erfüllt hätte. Stattdessen gähnende Langeweile beim Auftritt auf dem Highfield-Festival. Und die Erkenntnis, dass auch die schönsten Melodien noch keine Megastars machen. Nun also ist Album Nummer vier am Start. Und noch nie schimmerten die Songs von den Poster-Boys so dermaßen grell, dass man sich fragt, wo da jetzt der Unterschied zum Sound von Justin Timberlake liegt, wenn der sich mal eben eine Gitarre umschnallen würde. Die Klasse dieses Album offenbart sich dementsprechend auch erst in den Zwischentönen. Viele der Stücke, die anfangs wie Füllmaterial wirken, entpuppen sich als nachhaltige Entwürfe butterweichen Emo-Pops, der keine Angst vor großen Gesten hat. Den subtilen Unterbau, den zum Beispiel die Kollegen von Panic At The Disco auf ihrem Beatles-affinen Zweitwerk präsentierten, konnten Fall Out Boy dennoch lieber mit knackigen Riffs. Und so gibt es keinen einzigen Fehler auf „Folie Á Deux“. Nichts, was nicht mit den Mitteln einer modernen Popproduktion aufgeblasen wurde. Dass sie dabei dennoch nicht in der gleichen Schublade, wie die unsäglichen Jungs von Linkin Park landen, liegt einzig und allein daran, dass sich immer wieder augenzwinkernde Lyrics in den charttauglichen Einheitsbrei bohren. Am Ende allerdings macht die Scheibe trotzdem Spaß. Und man muss den Jungs durchaus zu Gute halten, dass es heutzutage kaum eine Band gibt, von der man sich so hingebungsvoll mit musikalischem Süßkram voll stopfen lässt. Aber dann eben bitte auch nicht beschweren, wenn hinterher Bauchschmerzen auftreten. Wobei: Darum geht’s ja eigentlich im Pop, oder? Den Moment zu feiern und in vollen Zügen auszukosten. In dieser Hinsicht also verdammt gut gemacht, Fall Out Boy. Auch wenn ich die unbeholfene Attitüde des Erstlings stark vermisse.
Durchaus verspielt geht es anschließend auf Barbara Morgensterns neuem Album „BM“ zu. Die elektronischen Facetten ihrer Musik werden auf ein subtiles Gerüst zusammen gepfercht. Dabei entpuppt sich ihr Album als verqueres Chanson-Pop-Monster, dass einen mit düsteren Textfetzen nach dem Leben trachtet: „in meinem kopf lebt die gestalt, die abends spät zu mir im wald ans fenster trat und lautlos sprach, was sonst am tag im lärm verhallt“ – in dieser Musik geht es um Abgründe. Seelische Abgründe, die wir durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit zu verdrängen versuchen. Diese Platte wirft einen mittenrein in die trübe Suppe des Lebens, in der wir unwissend paddeln, als könnten wir irgendwo einen tieferen Sinn frei schaufeln. Dabei bewegen wir uns ziellos flussabwärts. Immer mit der Gewissheit im Hinterkopf, dass uns irgendwann ein strömender Wasserfall nach dem Leben trachtet. Barbara Morgenstern versteht es in ihrer Musik Bilder zu erzeugen, die viel Raum für Interpretationen lassen. Dementsprechend wird diese Scheibe bei jedem Menschen eine andere Assoziation auslösen. Für mich ist sie ein vernebelter Platz auf dem eine wandelnde Gestalt ziellos umher taumelt, nur um irgendwo etwas Festes zum Greifen zu finden.
Ebenso lobenswert ist die neuste Auflage der verzaubernden Reihe „4 Women No Cry, Vol. 3“. Die Platte beginnt mir Lucrecia überraschend poppig. Aus dem Munde der kolumbianischen Musikerin erklingen erhabene Worte, die sich mit den detaillierten Beat zu einer himmelhoch jauchzenden Melange zusammenfügen. Manekinekod wendet sich anschließend den dunkleren Seiten unserer Existenz zu. Anfangs fühlt man sich dabei wohlwollend an aktuelle Portishead erinnert. Nur laufen die flächigen, aber niemals ermüdeten Sounds bei der Griechin vorwiegend instrumental an einem vorbei. Das verzerrte Echo einer menschlichen Stimme lugt zwar hin und wieder aus dem breiten Sumpf der Produktion hervor. Gliedert sich aber vorwiegend als zusätzliches Instrument ins dunkle Gesamtbild ein. Als Referenz fällt mir am ehesten vielleicht noch Madame „Dillon“ ein, die allerdings insgesamt eine gehörige Portion zugänglicher zu Werke geht. Dabei ist es in diesem Fall gerade der verstörende Moment, der der Musik Kraft verleiht. Julia Holter spielt anschließend eine Runde Atari. Das klingt im ersten Track ziemlich nervig. Entpuppt sich ab dem Song „Neighbor Neighbor“ aber als facettenreicher, als man es zu Beginn erwarten konnte. Der subtile Hauch von orientalischer Musik wird überraschend schlüssig mit dem synthetischen Beat verwoben. Und den letzten Track „Coyotes Of The Canyon“ sollte vielleicht mal jemand Amy Winehouse vorspielen, damit sie ein Remix davon anfertigt. Da könnte etwas ganz Großes entstehen. Den Abschluss der Scheibe übernimmt schließlich Liz Christine aus Rio De Janeiro. Die klingt in ihren Soundentwürfen ziemlich cineastisch. Entlässt einen aber mit einem wohligen Gefühl aus dem anspruchsvollen Treiben. Und sorgt am Ende dafür, dass man schon gespannt in Richtung vierter Teil seine Fühler ausstreckt.
1984Wer es derweil schon gar nicht mehr erwarten kann, dass die neue Scheibe von Franz Ferdinand in die Läden kommt, sollte sich eventuell ein bisschen mit den Franzosen von 1984 die Zeit vertreiben. Die versprühen auf ihrem Album „Open Jail“ einen solch herzhaften Postpunk Charme, dass man sich mit schwarzem Anzug durch die endlosen Weiten der purzelnden Schneeflocken wühlen möchte. Getarnt als Zebra feuern sie einen Hit nach dem anderen aus ihrer kargen Höhle, dass manch einer sich schon dem Angriff des Tarasque ausgesetzt sieht. Jedenfalls scheinen die Jungs eine große Vorliebe für karge Songgebilde zu haben. Die kontern sie dann mit einem tief gestimmten Melodieregen. Da kann dem lieben Wandersmann schon mal das Pfeifen im Halse stecken bleiben. Die drei Straßburger haben in der Vergangenheit auf jeden Fall ziemlich viel New Wave gehört. Und vermengen diese Einflüsse mit liebreizenden französischen Andeutungen. Da übersieht man die massenkompatible Formatierung nur zu gerne. Alles in allem also ein schick zusammen geklautes Sammelsurium aus romantischen 80s-Referenzen mit zeitgenössischer Schnauze. Geborgte Brillanz sozusagen – die aber dennoch Spaß macht.
Die verehrten Indie-Schlingel von Pavementsind ja wiederum eine Band, die eher zur Gattung der Bestohlenen zählt. Nicht umsonst beruft sich die halbe Indie-Szene auf die Jungs aus Kalifornien, deren Output sicher zum Besten gehört, was jemals im Gitarrenbereich aus dem Verstärker geschreddert wurde. Pünktlich zu Weihnachten hat sich das renommierte Label Domino Records nun dazu entschlossen eine schicke Special-Version des vierten Pavement-Krachers „Brighten The Corners“ in der „Nicene Creedence Edition“ unter die Tannenbäume zu schmeißen. Die wiederum dürften vor Verzückung kurzerhand mit den Zapfen wackeln, wenn das bunte Paket seinen Inhalt offenbart. Ein schickes Buch voll gestopft mit 62 Seiten Indie-Glückseligkeiten, alle relevanten B-Seiten, Live-Aufnahmen und Peel Sessions und natürlich das neu gemasterte Originalwerk springen unter Konfettiregen aus der Torte, wobei allein letzteres schon zum Besten gehört, was jemals von MTV aus in die Wohnzimmer der hungrigen Slacker-Gemeinde transferiert wurde. Interessant ist das Werk mit der traumhaften Hymne „Shady Lane“ aber auch deshalb, weil es bereits einen Wendepunkt in der Bandkarriere andeutet. Die Stücke überschreiten Grenzen und schweifen zeitweise dermaßen ins Abseits, dass sich die innere Zerrissenheit im Bandgefüge im Antlitz der Songs zu spiegeln scheint. Alle Mitglieder waren parallel zu den Aufnahmen nämlich schon in anderen Projekten aktiv. Und waren dann auch kurz nach den Aufnahmen des Nachfolgers, den Stephen Malkmus beinahe allein entwirft, geschiedene Leute. Pavement sind seitdem Geschichte und hinterlassen damit ein lautes Knurren im Magen der Gitarrenfraktion, das dieses Re-Release nun zumindest kurzfristig bändigen dürfte.
Etwas entspannter geht es auf dem neuen Album von Kieran Hebden & Steve Reid zu. Die haben sich auf „NYC“ dem tanzbaren Sampling der Jazz-Geschichte verschrieben. Der Geist von New York City schwebt über den Songs, die eigentlich gar keine richtigen Songs sind – eher Collagen einer vernebelten Wirklichkeit, die sich in den Zwischenräumen unserer Existenz einnistet. Die sechs Songs auf „NYC“ scheinen lediglich Bezug auf das Leben zu nehmen, das wir als real erachten. Die gesampelten Synthesizer und Gitarren von Kieran Hebden bilden das Fundament für das fulminante Schlagzeugspiel von Steve Reid. Es ist wirklich so, dass sein Trommelspiel nicht nur zu sprechen scheint… es singt. Die Glocken läuten einen verqueren Grenzgang zwischen den Stilen ein, machen Widersprüche bewusst, nur um dann kurz darauf im Echo ihrer selbst zu verhallen. Dabei geleitet einen dieses avantgardistische Kopfkino frech auf den Tanzboden – wo sich der dichte Nebel langsam aufzulösen scheint und sich feste Gebilde aus den neon-getränkten Schwaden schälen. Für das anschließende Blitzlichtgewitter müssen aber trotzdem andere sorgen.
Zum Beispiel Prinz Pi. Der Elektrokrawallmacher aus Berlin hat sich entschlossen mit seinem neuen Album eben dort anzudocken, wo auch Marsimoto und K.I.Z. zuletzt herum hüpften. In der Spex hat er es damit schon in eine Reihe, pardon Review, mit Egotronic geschafft. Dabei überführt er auf seinem Album „Neopunk“ den siffigen Köter direkt in elektronische Hagelschauer. Es knarzt und kracht an allen Ecken und Enden, als würde man gerade über Holzlatten spazieren und von einer Böllerattacke überrascht werden. Im Vergleich zu den Partybrüdern von Deichkind wird dabei auch der raptechnische Moment nicht vernachlässigt. Zwischen den elektronischen Arschbomben wird immer wieder des Prinzen Talent für gelungene Wortspiele sichtbar. Und so entpuppt sich die Scheibe am Ende als gelungener Grenzgang zwischen den Stilen, der vor allem live für Furore sorgen dürfte. Auch in Würzburg. Da steht Prinz Pi – der Cyberanarchist aus Berlin am 20. Januar im akw auf der Bühne. Also nichts wie hin. Und Schluss für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von: alexander nicke-hopfengart
UND WAS NUN?