Wer flüstert denn da aus dem Dunkel der Nacht? So betörend und so zärtlich. Soap & Skin heißt die neue Wunderwaffe gegen Frühlingsgefühle. Hier wird gelitten. Geschmachtet. Geheult. Geschluchzt. Gekeucht. Manchmal auch geschrieen – wenn es sein muss, wenn es richtig weh tut, wenn er raus muss. Der Weltschmerz. Jedenfalls: Man verfällt der gerade mal 18jährigen Österreicherin, die hinter dem Projekt steckt, schon nach wenigen Minuten. Zumindest, wenn man nicht gerade turtelnd durch den Park läuft und die Liebste im Arm hält. In dem Fall müsste man wohl schon deshalb in Tränen ausbrechen, weil man diese innige Platte gar nicht nachfühlen kann. Selbst wenn man wollte. Sie nicht für sich entdecken kann, wie ein leer stehendes Spukschloss. Auf „Lovetune For Vacuum“ spukt es nämlich ganz gewaltig. Die Poltergeister schleichen sich heran als Schatten schmerzhafter Erinnerungen und terrorisieren den Gefühlshaushalt. Teller zerbersten. Gläser zerschellen. Schreie werden ausgestoßen. Man handelt im Affekt. Versucht hilflos festzuhalten, was sich in den Zwischenräumen der Realität versteckt hält. Zerquetscht vom Alltag. Von zu vielen Verpflichtungen. Anja Plaschg erschüttert einen mit dieser Platte. Wie kann eine 18jährige solch hoffnungslose Songs schreiben? Songs, die so zerbrechlich sind, dass man sich fragt, ob man nicht lieber weghören sollte. Wenn sie einem ihre schmerzhaften Zeilen vor die Füße schleudert. Dann wirkt das, als wollte sie die Hoffnung auf ein besseres Dasein einfach abstreifen. Mit 13 Songs, die am ehesten noch mit dem schmerzhaften letzten Werk von PJ Harvey vergleichbar sind. Songs, die die Widersprüche unserer Zeit offen legen. Die dich in ein alternatives Universum schubsen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Weil da niemand ist, der dir sagt, dass die Liebe eigentlich nichts Tragisches ist. Nichts Magisches. Nicht für das sich der Aufwand lohnt. Und dann hört man dieses Album und man möchte es jenen injizieren, die solche Dinge sagen: wie ein Medikament gegen den Schwachsinn, den sie da gerade schwatzen – von „weitermachen“ und „nichts gewesen“. Von „anderen Müttern“ und „auch schönen Töchtern“. Diesen oberflächlichen Mist. Und dann die letzte Packung Taschentücher abfackeln, während sie in Tränen ausbrechen. Damit sie nichts mehr haben, was sie aus ihrer Hoffnungslosigkeit erlöst. Außer diese Musik. Die sie mit ihrer inneren Leere konfrontiert… wie Blutspuren in Spiegelschrift.
Anschließend bleibt es dann emotional. Hannes Wittmer (Ex-Gung Fu) aus Würzburg und bald Wahl-Hamburger versucht sich auf seinem Soloalbum an „sentimentaler Scheiße“. Unter seinem Alter Ego Spaceman Spiff wird er demnächst auf dem Würzburger Umsonst und Draussen-Festival auftreten. Und soviel sei gesagt: Lasst es euch auf keinen Fall entgehen. Der Gitarrist umschifft auf seinem Debüt „Bodenangst“ gekonnt die Klischees, die bei deutschsprachiger Rockmusik gerne mal bedient werden. Das Album wirkt wie ein Schmetterball gegen die Revolverhelden, die sich auf den Volksfesten der Nation ein Gesangsduell mit den Zuschauern liefern. Hier geht’s nicht um große Gesten. Hier klebt das Unheil zwischen den Zeilen. Zu diesen Songs möchte man sich zu Hause verkriechen. Sich aus der Welt verabschieden. „Der Weltraummann erzählt seine Geschichten durch das Visier seines eigenen kleinen Raumfahrerhelmes“, heißt es auf seiner Homepage. Die Musik bestünde aus „10 Fingern, einer Gitarre, einer Stimme und Texten, irgendwo zwischen Achterbahn, Schokokuchen und dem ganz normalen Leben eines Anfangzwanzigers…“ In diesem Fall ist allerdings das Bemerkenswerteste, dass man nicht müde wird, diese Melodien hier immer wieder auf den Plattenteller zu wuchten. Akustische Klänge können ja auf Albumlänge durchaus ermüdend wirken. An dieser Scheibe klebt man, wie an der ersten großen Liebe. Vergleiche schließen sich deshalb auch aus. Wenn überhaupt scheint Hannes dafür prädisdiniert, irgendwann ein Konzert zu geben, wie Dashboard Confessional vor einigen Jahren… für MTV. Da übernahmen die Zuschauer nach wenigen Sekunden den Part des Gesangs. Nicht nur den Refrain. Sie schleuderten der Band jede einzelne Textzeile entgegen, als wollten sie sagen: danke, dass du zum Ausdruck bringst, was in unserem schnelllebigen Alltag keinen Platz mehr findet. Ein Gefühl, dass es unter dem grauen Asphalt, der jedes himmlische Schluchzen absorbiert, doch noch mehr gibt. Sie werden den Weltraumpoeten einem Platz in ihrem Herzen schenken. Und der wird leise flüstern: „Ich weiß, dass ich immer die Wahl hab, zwischen Kant und Peter Pan. Zwischen Altbau und Nimmerland. Zwischen Nüchternheit und Wahn“. Und dann werden sie Pflastersteine aus dem Boden reißen und das Flüstern sich in einen lauten Schrei transformieren: „Ich weiß, dass ich immer die Wahl hab, zwischen Kant und Peter Pan. Zwischen Altbau und Nimmerland. Zwischen Nüchternheit und Wahn“. Seit ihr dabei? Ich bin dabei…
Die Handsome Furs fahren dann hinterher auf „Face Control“ ihre Beißerchen aus. Das blutrote Cover gibt den Rhythmus vor. Hier werden keine Gefangenen gemacht. Dan Boeckner von Wolf Parade und seine Herzallerliebste Alexei Perry vermöbeln auf „Face Control“ innbrünstig den Synthesizer mit der Schrammelgitarre. Dazu gibt’s herzallerliebste Hymnen, die von einer melancholisch veranlagten Punkkapelle stammen könnten, würden nicht immer wieder diese vertrackten Beat-Basteleien aus dem Dickicht hüpfen. Wer jetzt allerdings meint, hier eine Portion ungenießbaren Klangbrei aufgetischt zu bekommen, den darf man beruhigen. Die Scheibe ähnelt einem bunten Obstkorb voller Süßwaren. Da überfrisst man sich nur zu gerne. Klingt so ein bisschen als würden New Order über die Straße laufen und von Rise Against in einen Geländewagen geschubst. Drinnen geht’s dann ordentlich ab. Die Dissonanzen sorgen dafür, dass es immer wieder kracht, aber der Sound steuert trotzdem nicht aufs Kiesbett zu. Also komm schon… Euphoriebremse lösen und abgehen. Das ist der Soundtrack dazu.
Ähnlich famos klingt das aktuelle Werk von den Howling Bells. Wirkt ein bisschen als hätten sich die Long Blondes in PJ Harvey verliebt. Die zehn Songs strahlen eine solch melancholische Eleganz aus, dass man sich am liebsten unter der Bettdecke verkriechen möchte. Hin und wieder hüpft man aber auch als menschgewordenes Bettlaken durch die Gegend. Diese sexy Stimme – schlicht bemerkenswert. Die Musik – ständig hin und her gerissen zwischen Lärm und Romantik. „Radio Wars“ ist gleichsam Kampfansage und zärtliche Streicheleinheit. Die zehn Songs sind so dynamisch arrangiert, dass man hin und hergeschleudert wird zwischen choralen Passagen und verzerrten Gitarren. Nach mehreren Durchläufen geleitet einen das Album in eine harmonische Zwischenwelt in der man völlig von der Musik vereinnahmt wird. Betört liegt man inmitten des Raumes, schließt die Augen und fühlt sich wie ein Schleier seiner selbst. Alles scheint zu schweben. Zusammenzupassen. Ineinander überzugehen. Drogenmusik könnte man meinen, wenn da nicht immer diese Sehnsucht nach dem großen Popmoment wäre. Ein solch fragiles Gebilde, das gleichsam eine solche Wucht ausstrahlt, hat man lange nicht gehört. Also verpass es nicht.
Hinterher geht’s dann auf Punkrocktour mit den Jungs von Fake Problems. Da wird erstmal das Gaspedal durchgetreten. Dann mit quietschenden Reifen die Karre angehalten. Der Motor abgestellt und mitsamt Equipment auf den nächsten Zeltplatz gestürmt. Ohne Rücksicht auf Verluste bahnt sich die Band ihren Weg ins Punkrockherz. Das pocht umso lauter, weil die Songs vollkommen unberechenbar klingen. Hymnische Chöre treffen auf vertrackte Songstrukturen. Mal meint man, man steht auf einem Konzert von Rise Against. Dann wird man von einem Orgel-Break ins Indie-Kiesbett geschleudert. Und wenn dann auch noch die Country-Tröte ausgepackt wird, verliert man völlig den Halt. Im Minutentakt ändern sich die Gegebenheiten. Und man lässt sich als Hörer zur zu gerne durchwirbeln von diesem kruden Stilmix. „It´s Great To Be Alive“ ist eine einzige Hymne auf die Möglichkeiten zeitgemäßer Klangvielfalt. Ein Punkrockbrett, das seinesgleichen sucht. Das so unsagbar spannend und schmissig auf die Tanzfläche geleitet, dass man sich die Augen reibt, wie schlüssig das alles miteinander verwoben wurde.
Hinterher kannst du dich dann noch eine Runde in die Schiffschaukel setzen und mit Joe Budden um die Wette wippen. Mit Unterstützung von The Game schunkelt uns da ein Reimemonster vor die Füße, das durchaus dazu anregt, den Künstler bei seinen ersten Laufschritten im kommerziellen Gehege zu unterstützen. Joe Budden hat mit „Padded Room“ einen äußerst entspannten Tune am Start, der in einem famosen „Family Reunion“-Remix kulminiert. Unterstützt von Fabolous und Konsorten entpuppt sich sein 2009er Release als durchweg homogener Ritt durch zeitgemäße Soundlandschaften. Einfach die Anlage aufdrehen und einmal um den Block reiten. Klischees zu bedienen schadet ja nicht, wenn dahinter ein sprachgewandter Künstler steckt, der sich nicht zu schade ist, auch mal das Dicke Hose-Gepose zurückzustellen und einen Blick auf das innere Seelenleben frei zu geben. Joe Budden allerdings entpuppt sich des Öfteren als textlich plakativer, wenn auch versierter Schaumschläger, dem man zurufen möchte, er solle doch bezüglich seiner schwanzgesteuerten Phantasien mal ein bisschen auf die Bremse treten. Wirklich bemerkenswert sind letztlich also vor allem die Beats, die wirken als hätte hier jemand ein Update des „Dre“-Klassiker „2001“ entworfen.
Ziemlich drunter und drüber geht’s hinterher bei den Jungs von Sholi. Die scheppern sich auf ihrem gleichnamigen Album durch ein Laut/Leise Szenario der gitarrenlastigen Sorte. Manchmal blitzen kurze Melodiebögen auf. Diese werden dann aber immer wieder von fiesen Gitarrenbreitseiten vermöbelt. Am Ende steht man vor einem tosenden Wasserfall von Eindrücken und ist schlicht beeindruckt von solch überbordender Kreativität. Die Protagonisten scheinen sich immer wieder gegenseitig den Ball zuzuwerfen und einfach mal abzuwarten, was passiert. Am Ende entspringt daraus ein wahnswitziger Zeitgenosse, der sich zwischen den klanglichen Eskapaden von Mars Volta und Minus The Bear postiert – man kann sich allerdings nie ganz sicher sein, wann er zum nächsten Mal aufspringt, durch die Wohnung wirbelt und ein famoses Chaos fabriziert. Gerade diese Unberechenbarkeit verleiht dieser Platte ihre Faszination. Und sollte sie empor hieven aus dem breiten Spektrum an Bands, die gerade im postrockenden Sektor wildern.
Hinterher lassen wir dann noch ein bisschen die Seele baumeln. Ein kleine Prise Post-Punk mit Betonung auf der zweiten Silbe knallen einem Kick Joneses auf „True Freaks Union“ vor die Füße. Die Songs scheinen allesamt für die 7Inch-Sammlung konzipiert. 11 schmissige Hits, die auf der Tanzfläche Randale machen und einen Zustand zwischen Pogo und Fußwippen herstellen. Soll heißen: hier vermischt sich zeitgenössischer Indierock mit punkiger Rotzfahne. Ab und zu dann noch ein paar ska-lastige Momente eingestreut und fertig ist die Hitschleuder. Jeder Schuss ein Treffer könnte man sagen, vor allem, weil sich das Album einen Scheiß um Konventionen schert. Da werden frech Beatles-Anleihen mit 70s-Referenzen verknüpft, ohne dass das Ganze allzu aufgesetzt wirkt. Wirklich nachhaltige Momente bleiben zwar weiter den verehrten Alternativgehegen der Mitglieder (Spermbirds, Walter Elf) vorbehalten. Aber wen juckt das schon. Macht ja Spaß. Also Regler hoch und ab dafür. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?