mit dem für den Buchpreis nominierten Werk „Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong.
// Nora Bossong hat mit „Reichskanzlerplatz“ einen Roman geschaffen, der unter die Haut geht. Dieses Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt und auch nach dem Lesen nicht mehr losgelassen. Bossong nimmt uns mit in die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und beleuchtet das Leben von Magda Goebbels – einer der komplexesten und verstörendsten Frauenfiguren des „Dritten Reichs“. Aber das ist nicht einfach nur eine weitere historische Abhandlung der Geschehnisse, sondern ein intensives und vielschichtiges Porträt, das Magda aus einer anderen Perspektive zeigt und den Schrecken dadurch noch etwas tiefer durch die Adern schießen lässt. Der Clou: Bossong erzählt die Geschichte durch die Augen von Hans, einem jungen Mann, der sich in einer schwierigen Phase seiner sexuellen Identität befindet und in der Weimarer Republik auf Magda trifft, die damals noch gar nicht die fanatische Nationalsozialistin zu sein scheint, als die sie später bekannt wird.
Diese ungewöhnliche Perspektive gibt dem Leser einen intimen Einblick in die widersprüchliche Welt von Magda – eine Frau, die verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrem unglücklichen Leben sucht und gleichzeitig bereit ist, alles dafür zu opfern. Die Beziehung zwischen Hans und Magda sorgt für knisternde Spannung. Es ist eine Mischung aus Begehren, Manipulation und in gewisser Weise vor allem eine Flucht – für Hans aus der Bedrohung seiner unterdrückten Homosexualität und für Magda aus ihrer erdrückenden Ehe. Doch dann kommt der Wendepunkt: Magda lernt Joseph Goebbels kennen, und ihre Radikalisierung beginnt. Bossong zeichnet diese Entwicklung so eindringlich und authentisch, dass man die zunehmende Beklemmung fast körperlich spüren kann. Besonders beeindruckend ist, wie Bossong es schafft, ihre Figuren in all ihren Facetten darzustellen. Magda wird nicht einfach als Monster dargestellt, sondern als eine Frau, die selbst Opfer ihrer Umstände und Entscheidungen ist – und dabei trotzdem Täterin wird. Es ist diese Ambivalenz, die den Roman so spannend und vielschichtig macht. Bossong verzichtet auf platte Schuldzuweisungen und plakativen Geschichtsunterricht. Stattdessen zeigt sie, wie persönliche Entscheidungen und historische Entwicklungen untrennbar miteinander verwoben sind. „Reichskanzlerplatz“ ist kein Buch, das man mal eben so nebenbei liest. Es fordert heraus, es wühlt auf, und es zwingt zum Nachdenken – über die Abgründe menschlicher Entscheidungen und die Tragödien, die daraus entstehen. Für mich ist das Buch ein absolutes Highlight und zurecht für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert. Ein Roman, der lange nachwirkt und einen dazu zwingt, sich mit den dunklen Seiten der Geschichte und der menschlichen Natur auseinanderzusetzen. Unbedingt lesen!
UND WAS NUN?