// aufgelesen vol. (5)30 – „doppelgänger“

mit dem Werk „Doppelgänger“ von Naomi Klein. // Naomi Klein hat mit Doppelgänger ein Werk geschaffen, das gleichermaßen fesselnd wie verstörend ist – eine tiefgründige Analyse unserer Gegenwart, die sich wie ein Spiegelkabinett anfühlt, in dem die Realität zu verschwimmen beginnt. Als ich das Buch aufschlug, war ich sofort von der Idee fasziniert, dass Klein […]

mit dem Werk „Doppelgänger“ von Naomi Klein.

// Naomi Klein hat mit Doppelgänger ein Werk geschaffen, das gleichermaßen fesselnd wie verstörend ist – eine tiefgründige Analyse unserer Gegenwart, die sich wie ein Spiegelkabinett anfühlt, in dem die Realität zu verschwimmen beginnt. Als ich das Buch aufschlug, war ich sofort von der Idee fasziniert, dass Klein eine regelrechte Identitätskrise durchlebt hat, die nicht auf persönlichen Unsicherheiten basiert, sondern auf der Existenz einer echten Doppelgängerin im Netz. Klein beschreibt, wie sie während der Corona-Pandemie immer häufiger mit einer anderen Naomi verwechselt wird – einer ehemaligen Feministin, die nun ins Lager der Verschwörungstheoretiker abgedriftet ist. Diese Doppelgängerin verkörpert alles, was Klein in ihrem Leben und ihrer Arbeit bekämpft hat: Falschnachrichten, gefährliche Ideologien und das Spiel mit der Wahrheit. Für mich als Leserin war dieser Ausgangspunkt extrem spannend, weil er so symbolisch für die gespaltene Welt steht, in der wir leben. Klein verfolgt ihre Doppelgängerin nicht nur als individuelle Bedrohung, sondern als Symptom einer viel größeren Krise: der Zerbrechlichkeit der Wahrheit und der immer unschärferen Grenze zwischen Realität und Fiktion.

Die Idee, dass Identitäten im Netz verzerrt werden, ist nicht neu, aber Klein schafft es, dieses Phänomen auf eine Weise zu untersuchen, die zugleich beunruhigend und intellektuell anregend ist. Sie nutzt ihre persönliche Erfahrung als Sprungbrett, um tief in die politische und gesellschaftliche Landschaft einzutauchen, in der wir uns heute befinden – eine Welt, in der Verschwörungstheorien nicht mehr nur am Rande existieren, sondern in den Mainstream vordringen, und in der die Begriffe „rechts“ und „links“ immer mehr an Bedeutung verlieren. Was mich an Doppelgänger besonders beeindruckt hat, ist Kleins Fähigkeit, komplexe, fast surreal wirkende Phänomene in greifbare Analysen zu übersetzen. Sie nimmt uns mit auf eine intellektuelle Reise, die weit über das hinausgeht, was man von einer klassischen Gesellschaftsanalyse erwartet. Klein zieht Verbindungen zwischen der Verbreitung von Fake News, der Rolle von sozialen Medien und der Radikalisierung ehemals gemäßigter Stimmen. Dabei zeigt sie auf, wie all diese Entwicklungen in einer Zeit stattfinden, in der gleichzeitig die natürlichen Ressourcen unseres Planeten erschöpft werden, die Demokratie unter Druck steht und der technologische Fortschritt in Form von Künstlicher Intelligenz und Algorithmen unser Denken und Handeln prägt. Besonders spannend fand ich die Abschnitte, in denen Klein den Einfluss von Technologie und Algorithmen auf unsere Wahrnehmung von Wahrheit untersucht. Sie beschreibt eindrucksvoll, wie unsere digitalen Zwillinge – also unsere Online-Identitäten – zu etwas Eigenständigem werden und wie diese virtuellen Abbilder genutzt werden, um unsere Meinungen zu manipulieren und uns in Echo-Kammern zu drängen. Für Klein ist dies kein Zufall, sondern Teil eines größeren, beunruhigenden Trends: der schleichenden Erosion unserer Fähigkeit, zwischen Fakt und Fiktion zu unterscheiden. Während ich Doppelgänger las, wurde mir klar, dass dieses Buch viel mehr ist als eine Analyse der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage. Es ist auch eine tief persönliche Auseinandersetzung mit der Frage, wer wir in einer Welt sind, in der Identität zunehmend zu einem Konstrukt wird – geformt und beeinflusst von Kräften, die wir oft nicht verstehen oder kontrollieren können. Kleins Buch ist nicht nur inhaltlich stark, sondern auch stilistisch packend. Sie schreibt klar und prägnant, ohne dabei die Tiefe ihrer Analyse zu opfern. Immer wieder schafft sie es, mit Witz und Scharfsinn selbst die düstersten Aspekte unserer Zeit greifbar zu machen. Ihr Talent, persönliche Erfahrungen mit gesellschaftlichen Beobachtungen zu verweben, macht Doppelgänger zu einer außergewöhnlichen Lektüre. Am Ende bleibt ein Gefühl der Beklemmung – aber auch der Erkenntnis. Doppelgänger zeigt uns, wie zerbrechlich unsere Vorstellungen von Wahrheit, Identität und Realität in dieser „gestörten Gegenwart“ geworden sind. Es ist ein Buch, das lange nachwirkt, weil es uns zwingt, uns mit der Frage auseinanderzusetzen, wie wir in einer Welt überleben können, in der nichts mehr so scheint, wie es ist. Für alle, die eine tiefgreifende und scharfsinnige Analyse unserer Zeit suchen, ist Doppelgänger ein Muss. Klein gelingt es, die Komplexität unserer heutigen Welt in Worte zu fassen, ohne sich in vereinfachenden Antworten zu verlieren.