// presswerke vol. (2)32 – „süßes oder saures“

mit der neuen Vinyl-LP von den Blutjungs. // Mit Süßes oder Saures legen die Blutjungs nach 28 Jahren Bandgeschichte ein weiteres, morbides Meistertsück vor, das irgendwo zwischen Punk, NDW, Schlager, Country und Gothic jongliert – und zwar mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht. Schon der erste Song strotzt nur so vor schwarzem Humor: wilde Gitarren, […]

mit der neuen Vinyl-LP von den Blutjungs.

// Mit Süßes oder Saures legen die Blutjungs nach 28 Jahren Bandgeschichte ein weiteres, morbides Meistertsück vor, das irgendwo zwischen Punk, NDW, Schlager, Country und Gothic jongliert – und zwar mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht. Schon der erste Song strotzt nur so vor schwarzem Humor: wilde Gitarren, ein treibender Rhythmus, und Sänger Martin zieht uns mit seiner unverkennbaren Stimme sofort in diesen herrlich verdrehten Kosmos. Wer sich auf die Platte einlässt, merkt schnell: Hier wird nichts normal, nichts berechenbar. Die Tracks springen von abgedrehtem Funk zu herzerwärmenden Swing, und plötzlich schleicht eine zuckersüße Popnummer daher, nur um im nächsten Moment von bösen Rockriffs überrannt zu werden. Dieses musikalische Chaos ist so konsequent, so eigenwillig, dass es einfach nur genial ist. Das, was die Blutjungs so besonders macht, ist nicht nur die unglaubliche Vielfalt – es ist vor allem der schwarze Humor.

Die Texte wimmeln nur so vor absurden Geschichten, skurrilen Figuren und makabren Bildern, die oft zum Lachen sind und manchmal auch ein unangenehmes Kribbeln verursachen. Eine Art groteske Poesie, die mit scharfen Kanten die Abgründe der menschlichen Seele durchforstet. Wenn Martin die kafkaesken Refrains mit diesem verschmitzt-teuflischen Tonfall singt, ist klar: Die Jungs meinen es nicht – und gleichzeitig verdammt ernst. Manchmal erinnert das ein wenig an die frühen Die Ärzte, nur noch düsterer und abgefahrener. Musikalisch? Ein Fest. Das Quartett jongliert mit Genres wie kaum eine andere Band. Punkrock, der auf Schlager-Referenzen trifft, Synthie-Passagen, die aus den 80ern stammen könnten, und Volksmusik-Elemente, die so schräg eingebaut sind, dass man unwillkürlich schmunzeln muss. Die Blutjungs nehmen alles, was sie lieben – und machen daraus etwas, das nur sie können. Das Schlagwort Splatterpop trifft es perfekt: Hier wird gefeiert, zerstört und wieder aufgebaut – immer mit eingängigen Melodien, die sich sofort festsetzen. Ein besonderes Highlight sind für mich die Songs, bei denen die Grenze zwischen Ballade und Parodie so verschwimmt, dass man nicht mehr weiß: „Soll ich jetzt lachen oder weinen“? Und genau das macht Süßes oder Saures zu einem Erlebnis. Es ist ein Album, das mit Erwartungen spielt, sie auf den Kopf stellt und uns am Ende in bester Manier unterhält. Nebenbei schaffen es die Blutjungs auch, sich als Band treu zu bleiben. Nach fast drei Jahrzehnten sind sie immer noch ungebrochen unabhängig. Ihr eigenes Label, ihr eigener Musikverlag – DIY in Reinform. Man spürt in jeder Note, in jedem bizarren Text, dass hier eine Band am Werk ist, die völlig frei agiert und das macht, worauf sie Lust hat. Ein wilder Ritt durch ihre eigene musikalische Welt, deren Türgriffe abgebrochen sind und die man nur zu Fuß erkunden kann. Für alle, die Musik lieben, die aus dem Rahmen fällt, ist Süßes oder Saures ein absolutes Muss. Die Blutjungs sind kein einfacher Genuss, sie sind wie eine Fahrt mit der Geisterbahn: Man weiß nie, was um die nächste Ecke lauert, aber aussteigen möchte man trotzdem nicht. Dieses Album ist frech, schräg, bissig – und bleibt dabei verdammt unterhaltsam. Ein großartiges Geschenk für alle, die genug vom Einheitsbrei haben. Und noch dazu erscheint die Scheibe auch auf klassischem, schwarzen Vinyl inklusive Textbeileger und allen Songtexten. Ein bittersüßes Fest für die Fans. Also viel Spaß damit.