mit dem Werk „Da waren Tage“ von Luna Ali.

// Manchmal sind es nicht die lauten Worte, sondern die feinen Zwischentöne, die am tiefsten treffen. Luna Ali gelingt in ihrem Debütroman Da waren Tage genau das: ein leiser, aber eindringlicher Blick auf die syrische Revolution und ihre Auswirkungen auf eine zwischen zwei Welten zerrissene Existenz. Der Protagonist Aras, geboren in Aleppo und aufgewachsen in Deutschland, ist Student der Rechtswissenschaften, als sich 2011 die Lage in Syrien zuspitzt. Der Arabische Frühling, der Sturz von Diktatoren, die Hoffnung auf Freiheit – all das verfolgt er zunächst aus der Ferne. Doch die Revolution lässt ihn nicht los, sickert in seine Gedanken, sein Studium, seinen Alltag ein. Zwischen Hörsaal und Behörden, einem Praktikum in Jordanien und Auftritten in politischen Talkshows wird der Jahrestag der Revolution für ihn zu einer wiederkehrenden Reflexion über Identität, Verantwortung und die Macht der Erinnerung.
Ali schreibt mit einer beeindruckenden Sensibilität für Sprache und Struktur. Ihr Roman ist keine lineare Erklärung des Konflikts, sondern eine vielschichtige, poetische Erkundung davon, wie politische Umbrüche sich in das individuelle Leben einschreiben. Besonders faszinierend ist die Art, wie sie die Grenzen zwischen Realität und Imagination verschwimmen lässt – ein literarischer Spiegel der inneren Zerrissenheit des Protagonisten. Die Sprache ist präzise, atmosphärisch und voller Metaphern, die eine eindringliche Verbindung zwischen den äußeren Geschehnissen und der inneren Zerrissenheit Aras’ herstellen. Die große Stärke des Romans liegt in seiner klugen Zurückhaltung. Ali vermeidet einfache Antworten oder sentimentale Rückblenden. Stattdessen stellt sie Fragen: Welche Verantwortung trägt man für ein Land, das man kaum kennt? Wie beeinflussen globale Konflikte das eigene Selbstbild? Und wie gehen wir mit den politischen Realitäten unserer Zeit um? Besonders eindrucksvoll sind die Passagen, in denen Aras versucht, seine eigene Position zwischen der deutschen Gesellschaft und seinen syrischen Wurzeln zu definieren – ein Kampf zwischen Distanz und emotionaler Nähe, zwischen Privileg und Schuld. Neben der politischen Dimension ist Da waren Tage aber auch ein Roman über Sprache und Erinnerung. Aras reflektiert über die Macht der Worte, darüber, wie Sprache Erlebtes bewahren oder verfälschen kann. Dies gibt dem Roman eine zusätzliche Tiefe, die über die bloße Schilderung der politischen Ereignisse hinausgeht. Die kunstvolle Narration sorgt dafür, dass Leser*innen nicht nur über die syrische Revolution nachdenken, sondern auch über die universellen Fragen von Identität, Zugehörigkeit und die Rolle der Vergangenheit in der Gegenwart. Da waren Tage ist ein vielversprechendes Debüt – ein Roman, der nachhallt, herausfordert und bewegt. Luna Ali gelingt es, eine komplexe politische Thematik in eine berührende, literarisch raffinierte Geschichte zu übersetzen. Ein Buch, das lange in Erinnerung bleibt und einen tiefen Eindruck hinterlässt.
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