// werktag vol. (1)66 – „1994 bis heute“

mit den Werk „Schlachthof Wiesbaden – 1994 bis heute“. // Es gibt Orte, die sind mehr als nur Veranstaltungsstätten. Sie sind lebendige Zeugnisse einer Idee, Manifestationen von Kreativität und einem unerschütterlichen Glauben an Kultur als verbindendes Element. Der Schlachthof Wiesbaden ist genau so ein Ort. Was in den 90er-Jahren als trotziges DIY-Projekt einer Gruppe von […]

mit den Werk „Schlachthof Wiesbaden – 1994 bis heute“.

// Es gibt Orte, die sind mehr als nur Veranstaltungsstätten. Sie sind lebendige Zeugnisse einer Idee, Manifestationen von Kreativität und einem unerschütterlichen Glauben an Kultur als verbindendes Element. Der Schlachthof Wiesbaden ist genau so ein Ort. Was in den 90er-Jahren als trotziges DIY-Projekt einer Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten begann, hat sich zu einem der wichtigsten soziokulturellen Zentren Deutschlands entwickelt. Das Buch Schlachthof Wiesbaden – 1994 bis heute erzählt diese Geschichte in all ihren Facetten – mit all ihren Höhen und Tiefen. Der Wiesbadener Schlachthof hat eine lange Geschichte. Ursprünglich war das imposante Backsteingebäude ein Ort, an dem Tiere geschlachtet wurden – ein Sinnbild für Industrialisierung, harte Arbeit und pragmatische Nutzung von Raum. Doch als der Schlachthof in den 80er-Jahren stillgelegt wurde, stand das Gelände plötzlich leer. Was in vielen Städten einfach dem Abriss oder der kommerziellen Verwertung zum Opfer gefallen wäre, wurde in Wiesbaden zur Geburtsstätte eines völlig neuen Kapitels.

In den frühen 90er-Jahren war Wiesbaden kulturell eher ein Niemandsland. Während Frankfurt oder Mainz pulsierende Subkulturen besaßen, fehlte es der hessischen Landeshauptstadt an Freiräumen für alternative Kultur. Also nahmen engagierte junge Menschen das Heft selbst in die Hand. Inspiriert von der DIY-Philosophie des Punk und der autonomen Szene begannen sie, den alten Schlachthof als Ort für Konzerte, Partys und politische Veranstaltungen zu nutzen. Was als improvisiertes Projekt begann, wurde bald zur Institution. Nach und nach wurden die Räume renoviert, die Strukturen gefestigt – und aus einer Nische wurde ein Magnet für Kulturbegeisterte aus ganz Deutschland. Schlachthof Wiesbaden – 1994 bis heute ist weit mehr als eine simple Dokumentation der vergangenen Jahrzehnte. Es ist ein visuell beeindruckender Bildband, ein nostalgischer Rückblick und gleichzeitig eine Kampfansage an jene, die Kulturzentren als „überflüssig“ abtun. Besonders gelungen ist die Mischung aus persönlichen Erzählungen und Archivbildern. Man spürt auf jeder Seite die Leidenschaft, mit der dieses Projekt getragen wurde – und noch immer getragen wird. Von den ersten wackeligen Clubnächten in der „Räucherkammer“ bis hin zur heutigen Größe des Schlachthofs mit mehreren Veranstaltungsorten und jährlich über 300.000 Besucherinnen und Besuchern – das Buch lässt einen tief in diese Entwicklung eintauchen. Es gibt Rückblicke auf legendäre Konzerte, auf skurrile Anekdoten aus den wilden Anfangstagen, auf politische Konflikte und auf den unermüdlichen Einsatz der Menschen, die dieses Projekt am Leben gehalten haben. Der Weg vom geduldeten Experiment zum überregional anerkannten Kulturzentrum war kein geradliniger – und genau das macht die Geschichte so faszinierend. Ein besonders beeindruckendes Detail, das sich durch das gesamte Buch zieht, ist die kollektive Organisation des Schlachthofs. In einer Zeit, in der viele Clubs und Kulturzentren durch Gentrifizierung und steigende Mietpreise sterben, zeigt der Schlachthof, dass es auch anders geht. Bis heute wird der Betrieb von einem Kollektiv organisiert – mit flachen Hierarchien, basisdemokratischen Entscheidungen und einem starken Gemeinschaftsgeist. Dieses Selbstverständnis durchzieht auch die Seiten dieses Buches. Es ist nicht nur eine Chronik, sondern ein Statement: Kultur ist politisch. Räume wie der Schlachthof sind nicht nur nette Orte für Konzerte, sondern essenzielle Freiräume für Subkulturen, Gegenbewegungen und unabhängige Kunst. Ob man selbst schon einmal im Schlachthof gefeiert hat oder noch nie dort war – dieses Buch ist für alle, die sich für alternative Kultur, unabhängige Clubszene und die Geschichte von Widerstand und Selbstorganisation interessieren. Es zeigt, wie aus einer ungenutzten Industriebrache einer der wichtigsten Kulturräume Deutschlands wurde – und wie viel Leidenschaft es braucht, um solche Orte zu erhalten. 1994 bis heute ist ein Buch voller Energie, Erinnerungen und Hoffnung. Es zeigt, dass Kultur kein Selbstläufer ist, sondern erkämpft, verteidigt und gefeiert werden muss. Und wenn man das letzte Kapitel gelesen hat, bleibt eine Erkenntnis zurück: Wer diesen Ort einmal besucht hat, weiß, dass es ihn braucht – und dass seine Geschichte noch lange nicht zu Ende ist.