// aufgelesen vol. (5)67 – „die liste“

mit dem Werk „Die Liste“ von Yomi Adegoke. // Yomi Adegokes Die Liste ist ein Roman, der einen nicht mehr loslässt – weil er nicht nur eine fesselnde Geschichte erzählt, sondern auch ein hochaktuelles Thema aufgreift: die Macht und die Gefahren von Social Media im digitalen Zeitalter. Es geht um Rufmord, Schuld, Unschuld und die […]

mit dem Werk „Die Liste“ von Yomi Adegoke.

// Yomi Adegokes Die Liste ist ein Roman, der einen nicht mehr loslässt – weil er nicht nur eine fesselnde Geschichte erzählt, sondern auch ein hochaktuelles Thema aufgreift: die Macht und die Gefahren von Social Media im digitalen Zeitalter. Es geht um Rufmord, Schuld, Unschuld und die Frage, was passiert, wenn das Internet zur Anklagebank wird. Adegoke verknüpft dies mit einer persönlichen Geschichte über Liebe, Vertrauen und die Zerbrechlichkeit von Beziehungen, wenn das Fundament plötzlich ins Wanken gerät. Ola und Michael scheinen das perfekte Paar zu sein. Sie ist eine erfolgreiche Journalistin, die sich für feministische Themen engagiert, er ein charismatischer Fernsehmoderator, dessen Karriere gerade rasant an Fahrt aufnimmt. Sie stehen kurz vor ihrer Hochzeit, die nicht nur ihr persönliches Glück besiegeln, sondern auch den Höhepunkt ihres gesellschaftlichen Erfolgs markieren soll. Doch dann taucht die Liste im Netz auf – eine anonyme Aufstellung von Männern, denen sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wird. Michaels Name steht darauf.

Mit einem Mal bricht Olas Welt zusammen. Sie, die sich in ihrer Arbeit für Frauenrechte starkmacht, sieht sich mit der schlimmsten aller Fragen konfrontiert: Hat sie all die Jahre mit einem Mann verbracht, dem sie nicht vertrauen kann? Oder wird Michael Opfer eines brutalen Rufmords? Adegoke erzählt diese Geschichte mit einem treibenden, packenden Tempo. Von der ersten Seite an wird man in Olas innere Zerrissenheit hineingezogen: Ihr Verstand sagt ihr, dass Frauen gehört werden müssen – sie selbst hat jahrelang Artikel über genau solche Fälle geschrieben. Doch ihr Herz will an Michaels Unschuld glauben. Die Atmosphäre ist angespannt, jeder Dialog fühlt sich an wie ein verbaler Drahtseilakt zwischen Wut, Angst und verzweifeltem Festhalten an der Vergangenheit. Besonders eindrucksvoll ist, wie Adegoke die Dynamiken sozialer Medien einfängt: die gnadenlose Geschwindigkeit, mit der sich Vorwürfe verbreiten, das öffentliche Tribunal, das keine Differenzierung zulässt, die Anonymität, die gleichzeitig Schutz und Waffe sein kann. Die Figuren sind komplex und vielschichtig. Ola ist nicht nur eine kämpferische Journalistin, sondern auch eine Frau, die sich nach Sicherheit und Bestätigung sehnt. Michael ist charmant und charismatisch – aber ist er auch ehrlich? Adegoke spielt geschickt mit der Unsicherheit der Leser:innen. Man schwankt mit Ola zwischen Zweifel und Hoffnung, hinterfragt seine eigenen Überzeugungen, spürt die erdrückende Last der Entscheidung, vor der sie steht. Was Die Liste so stark macht, ist die Ambivalenz. Es gibt keine einfachen Antworten. Weder ist Michael sofort als Täter entlarvt, noch ist Ola nur eine leidende Verlobte. Der Roman stellt schwierige Fragen: Wann reicht eine Anschuldigung aus, um eine Karriere oder ein Leben zu zerstören? Wie geht man mit der Möglichkeit um, dass Menschen, die man liebt, dunkle Geheimnisse haben könnten? Und wie viel Macht sollten anonyme Anschuldigungen im Netz haben? Adegoke schafft es, ein hochbrisantes Thema mit psychologischer Tiefe und erzählerischem Feingefühl zu verknüpfen. Die Sprache ist präzise, schnörkellos, aber voller Emotionalität. Die Geschichte fühlt sich beunruhigend real an – weil sie es ist. Man kann sich gut vorstellen, dass eine solche Liste tatsächlich existiert. Dass Menschen innerhalb von Sekunden verurteilt werden, bevor überhaupt Fakten auf dem Tisch liegen. Die Liste ist ein Roman, der nachhallt, weil er sich mitten in eine der größten gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit wirft. Es ist eine fesselnde, klug erzählte Geschichte über Vertrauen und Verrat, Schuld und Unschuld, Wahrheit und Wahrnehmung – und über eine Frau, die inmitten des digitalen Sturms herausfinden muss, was sie glauben kann. Wer sich für moderne Gesellschaftsromane interessiert, die nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen, sollte dieses Buch unbedingt lesen.