// aufgelesen vol. (5)75 – „walzer für niemand“

mit dem Werk „Walzer für Niemand“ von Sophie Hunger. // Sophie Hunger hat mit „Walzer für Niemand“ einen Roman geschrieben, der so poetisch, vielschichtig und eindringlich ist wie ihre Musik. Wer ihre Alben kennt, ihre Texte liebt und sich von ihrer Stimme in unbekannte emotionale Tiefen führen lässt, wird in diesem Buch eine literarische Entsprechung […]

mit dem Werk „Walzer für Niemand“ von Sophie Hunger.

// Sophie Hunger hat mit „Walzer für Niemand“ einen Roman geschrieben, der so poetisch, vielschichtig und eindringlich ist wie ihre Musik. Wer ihre Alben kennt, ihre Texte liebt und sich von ihrer Stimme in unbekannte emotionale Tiefen führen lässt, wird in diesem Buch eine literarische Entsprechung ihres musikalischen Universums finden. Dieses Werk ist wie eine Feier des Moments, der abseits dessen nichts dultet. Keine Zukunft, keine Vergangenheit, einfach nur die pure Essenz des perfekten Augenblicks. Es ist daneben aber auch ein Roman über das Aufwachsen zwischen Orten, Kulturen und Identitäten, getragen vom beständigen Rhythmus der Musik, die Schutzraum und Spiegel zugleich ist. Die Erzählerin und ihr bester Freund Niemand wachsen als Kinder von Militärattachés auf und sind immer unterwegs. Doch das Umherziehen macht ihnen weniger aus als die Realität der Erwachsenenwelt, die oft unbegreiflich bleibt. Ihr Halt ist die Musik, ihre geheime Landkarte der Welt, in der Bandnamen und Lieder wichtiger sind als Straßennamen und Nationen. In ihren gemeinsamen Ritualen – dem Durchstöbern der Plattensammlung, dem Herausbrüllen von Dezibelangaben im Klavierunterricht – steckt eine fast heilige Intensität.

Sie sind einander Zuflucht, doch ebenso wie ein Lied nach dem Crescendo irgendwann endet, beginnt auch ihre Freundschaft Risse zu bekommen. Niemand verfällt einer Obsession für die Volkskunde der Walserinnen, aus deren Linie die Erzählerin stammt, während sie selbst eigene Lieder schreibt. Aus Verbundenheit wird Fremdheit, aus Neugier eine bedrohliche Fixierung, die sich unausweichlich auf eine Katastrophe zubewegt. Hunger schreibt mit der poetischen Kraft einer Songwriterin, die mit wenigen Worten ganze Welten erschaffen kann. Ihre Sprache ist mal zart und flüsternd, mal hart und rhythmisch wie ein Schlagzeugbeat. Es gibt Passagen, die sich lesen wie Songtexte – verdichtet, intensiv, von Melancholie durchzogen. Und dann wieder entfaltet sich das Erzähltempo wie ein Lied mit langsamen Strophen und eruptiven Refrains. Ihre Art, das Elementare der Musik mit der Geschichte eines Heranwachsens zu verknüpfen, ist einzigartig. Sie fängt nicht nur die Magie von Musik ein, sondern auch ihre Wucht, ihre Möglichkeit, Menschen zu verbinden und zugleich voneinander zu entfremden. Dass Sophie Hunger diesen Roman geschrieben hat, scheint fast folgerichtig. Ihre eigene Karriere ist ein Grenzgang zwischen Genres, Sprachen und Emotionen. Von Folk über Jazz bis hin zu elektronischen Experimenten – sie hat nie den leichten, vorgezeichneten Weg gewählt. Ebenso wie ihre Musik ist auch „Walzer für Niemand“ kein gefälliges Werk, sondern ein herausforderndes, tiefgehendes und mitunter abgründiges Erlebnis. Es ist ein Buch für diejenigen, die bereit sind, sich mit voller Intensität darauf einzulassen, so wie man sich auf ein Album einlässt, das man nicht nur nebenbei hört, sondern das einen auf einer viel tieferen Ebene trifft. Ein Roman, der klingt und nachhallt.