mit dem Werk „Die Frau des Serienkillers“ von Alice Hunter.

// Alice Hunter gelingt mit „Die Frau des Serienkillers“ ein verstörender, atmosphärisch dichter Psychothriller, der mit einem ebenso simplen wie genialen Konzept spielt: Was, wenn dein Ehemann ein Mörder ist – und du es nicht wusstest? Oder vielleicht doch? Schon der Einstieg packt. Beth Hardcastle lebt mit ihrem Mann Tom und ihrer kleinen Tochter in dem verschlafenen, fast märchenhaften Ort Lower Tew – ein Ort, an dem die Fassade zählt, das Lächeln gepflegt wird und jeder jeden kennt, oder es zumindest glaubt. Alles scheint perfekt: ein hübsches Haus, ein liebevoller Ehemann, ein Kind, das in der sicheren Obhut fürsorglicher Eltern aufwächst. Doch diese Idylle zerbricht an einem einzigen Abend, als die Polizei vor der Tür steht und Tom wegen Mordverdachts festnimmt. Was folgt, ist kein klassischer Thriller mit rasanten Verfolgungsjagden oder blutigen Szenen. Vielmehr zieht einen die Geschichte in einen Sog psychologischer Spannung, voller subtiler Hinweise, leiser Verdächtigungen und unterdrückter Wahrheiten.
Alice Hunter spielt meisterhaft mit dem Zweifel – sowohl aufseiten der Leser:innen als auch bei Beth selbst. Denn während sie zunächst fassungslos ihren Mann verteidigt, beginnt bald auch in ihr das Misstrauen zu keimen. Was wusste sie wirklich? Welche Details hatte sie verdrängt, welche Erklärungen zu bereitwillig akzeptiert? Die große Stärke des Romans liegt in seiner Erzählperspektive. Wir erleben die Geschichte größtenteils aus Beths Sicht – eine Frau, die sich immer mehr eingesperrt fühlt: von der Öffentlichkeit, die sie verurteilt, von ihrer Vergangenheit, die sie einholt, und vor allem von der Ungewissheit darüber, wem sie noch trauen kann – am wenigsten sich selbst. Ihre Gedanken kreisen, werden düsterer, brüchiger. Und genau das macht die Lektüre so intensiv. Nach und nach fördert die Autorin Schicht um Schicht kleine Enthüllungen zutage, die das Bild von der „perfekten“ Familie erschüttern. Dabei ist nichts so, wie es scheint. Es gibt keine einfachen Wahrheiten, keine klaren Schuldigen. Auch Beth ist nicht die makellose Ehefrau, als die sie sich anfangs gibt – und gerade das macht ihre Figur so faszinierend. Hunter hat selbst in einem Gefängnis gearbeitet, was man dem Roman anmerkt. Ihre Beschreibungen der polizeilichen Abläufe, der Befragungen und des gesellschaftlichen Drucks wirken realistisch und glaubwürdig – nie sensationsgierig, sondern stets mit dem psychologischen Blick auf die Wirkung solcher Ereignisse auf eine Einzelperson. Besonders spannend: die Dynamik zwischen Beth und ihrer Umgebung. Wie schnell sich vermeintliche Freundschaften in eisiges Schweigen verwandeln. Wie Nachbarn, die einst zum Kaffeekränzchen kamen, plötzlich das Auto wenden, sobald sie Beth auf der Straße sehen. Die Sprache ist schnörkellos, klar, aber nicht flach. Sie transportiert die schwelende Anspannung perfekt. Rainer Schumachers Übersetzung fängt diesen Stil sehr gut ein, ohne zu glätten oder zu dramatisieren. „Die Frau des Serienkillers“ ist ein Buch über Misstrauen, über Täuschung – und darüber, wie wenig wir wirklich über die Menschen wissen, mit denen wir unser Leben teilen. Es ist kein reiner Whodunit, sondern viel mehr ein Whoknew – und das macht es so spannend. Mich hat das Buch nachhaltig beschäftigt. Nicht nur wegen der Frage, ob Beth wirklich nichts gewusst hat – sondern auch wegen der beklemmenden Atmosphäre, die Hunter meisterhaft erschafft. Dieses Gefühl, dass jederzeit etwas unter der Oberfläche lauern könnte. Dass jede Beziehung ein fragiles Konstrukt ist. Und dass Wahrheit manchmal nur eine Geschichte ist, die wir uns selbst erzählen, um weiterzumachen. Ein stiller, aber kraftvoller Thriller mit psychologischem Tiefgang, der lange nachhallt. Alice Hunter beweist mit diesem Roman, dass der wahre Horror nicht im Keller lauert – sondern vielleicht im eigenen Bett. Uneingeschränkte Empfehlung für alle, die psychologische Spannung lieber subtil als blutig mögen – und Geschichten lieben, die mit der Frage spielen: Wie gut kennst du wirklich den Menschen, mit dem du dein Leben teilst?
UND WAS NUN?