// aufgelesen vol. (5)81 – „märtyrer“

mit dem Werk „Märtyrer!“ von Kaveh Akbar. // Kaveh Akbars Debütroman „Märtyrer!“ ist ein Feuerwerk aus Schmerz, Sehnsucht, Schönheit und Selbsterkenntnis – ein Buch, das sich nicht lesen lässt, ohne dass es Spuren hinterlässt. Als ich es aufschlug, wusste ich, dass es mich herausfordern würde. Cyrus ist kein klassischer Held. Er taumelt durchs Leben, angefüllt […]

mit dem Werk „Märtyrer!“ von Kaveh Akbar.

// Kaveh Akbars Debütroman „Märtyrer!“ ist ein Feuerwerk aus Schmerz, Sehnsucht, Schönheit und Selbsterkenntnis – ein Buch, das sich nicht lesen lässt, ohne dass es Spuren hinterlässt. Als ich es aufschlug, wusste ich, dass es mich herausfordern würde. Cyrus ist kein klassischer Held. Er taumelt durchs Leben, angefüllt mit Worten, die er nicht immer greifen kann, betäubt von Drogen, zersetzt von Fragen. Sein Leben fühlt sich an wie ein einziger Versuch, zu entkommen – der eigenen Geschichte, der Verantwortung, dem Gewicht des Überlebens. Und doch ist er in seiner Zerbrechlichkeit eine der lebendigsten und wahrhaftigsten Figuren. Der Roman beginnt mit einem Tod, einem Flugzeugabsturz, der alles verändert: Cyrus’ Mutter stirbt bei dem Abschuss eines Passagierflugzeugs – ein historisch reales Ereignis (Iran Air Flug 655, 1988), das Akbar klug und erschütternd in die Biografie seiner Hauptfigur einwebt.

Diese Tragödie hängt wie ein bleierner Schleier über dem gesamten Buch – nicht als reines Trauma, sondern als Frage: Was bedeutet es, zu leben, wenn man der Tod in der Wiege berührt hat? Und wie findet man eine Wahrheit, die sich nicht in Schmerz auflöst? Was „Märtyrer!“ so besonders macht, ist, wie Akbar diese große, oft gestellte Frage – Was ist der Sinn des Lebens? – nicht intellektuell oder kitschig beantwortet, sondern poetisch, humorvoll, schmerzhaft ehrlich. Cyrus ist Lyriker, und das merkt man jeder Seite an. Die Sprache ist manchmal roh, manchmal zart wie eine Andeutung, oft taumelnd schön. Es gibt Sätze, bei denen ich innehalten musste, sie ein zweites, drittes Mal lesen wollte, einfach nur, um zu spüren, wie sie sich anfühlen. Wie ein Gedicht, das einen umarmt und gleichzeitig auslacht. Cyrus ist queer, iranisch-amerikanisch, Künstler, Süchtiger – und doch lassen sich keine dieser Schubladen auf Dauer schließen. Akbar bricht sie alle auf, stellt sie in Frage, lässt Raum für Widerspruch. Er beschreibt das Leben als etwas radikal Offenes, Unfertiges – ein Zustand, in dem Schönheit und Chaos ständig miteinander tanzen. Und dann ist da dieses Thema der Märtyrer, das dem Buch seinen Titel gibt. Cyrus’ Obsession mit Menschen wie Jeanne d’Arc oder Bobby Sands wirkt zunächst fremd, fast befremdlich. Doch je mehr man liest, desto mehr begreift man: Es geht nicht um Heldentum oder Tod – sondern um Hingabe. Um die Idee, für etwas zu brennen, für etwas einzustehen, sich zu verschenken. Während man Cyrus auf seiner Reise begleitet – durch Museen, durch Rückblenden, durch Rausch und Klarheit – entsteht ein kraftvolles, zärtliches Porträt eines Mannes, der eigentlich gar nicht weiß, wie man lebt, es aber dennoch verzweifelt versucht. Und in dieser Unfähigkeit liegt seine größte Stärke. Die Übersetzung von Stefanie Jacobs ist bemerkenswert gelungen. Sie bewahrt die Musikalität der Sprache, den Witz, das flirrende Wechselspiel aus Melancholie und Schärfe. Ich habe oft vergessen, dass ich eine Übersetzung lese – was bei einem Roman wie diesem, der so sehr von Stimme und Rhythmus lebt, ein echtes Kunststück ist. Wenn man „Märtyrer!“ liest, sollte man bereit sein, sich zu verlieren. In Gedanken, in Gefühlen, vielleicht sogar in Trauer. Aber man bekommt dafür etwas zurück: Einen Roman, der sich weigert, einfache Antworten zu geben – und der gerade deshalb lange nachhallt. Cyrus ist keine Figur, die man vergisst. Er ist ein Begleiter, der einen noch begleitet, wenn das Buch längst zugeklappt ist. Für mich ist „Märtyrer!“ ein wichtiges Buch. Poetisch, politisch, schmerzhaft echt – und voller Sehnsucht nach etwas, das größer ist als wir selbst. Ein Buch, das nicht einfach gelesen, sondern erlebt werden will.