Na, geht doch! Eminem ist wieder da und alle, die ihn bereits abgeschrieben hatten, werden sich nach dem ersten Durchlauf von „Relapse“ eingestehen müssen: da geht noch was. Der versierte Reimer hat sich frei geschwommen. Die gleichförmige Produktion des Vorgängers sucht man auf dem neuen Album mit der Lupe. Die von Brüno verabreichte Po-Attacke bei den „MTV Movie Awards“ gibt zwar nicht unbedingt die Richtung vor, zählt aber zu den Sternstunden der Musik-TV-Geschichte – so viel Selbstironie hätte man dem Rapper aus Detroit gar nicht zugetraut. Nun verabreicht er uns eine musikalische Überdosis in Form von 20 Musikpillen, die man sich am besten wohl dosiert einwirft. Auf Albumlänge stellt sich bei Eminem immer eine gewisse Langeweile ein. Das liegt vorwiegend daran, dass seine Alben immer eine Spur zu lang sind. Dieses Problem bekommt er auch auf „Relapse“ nicht wirklich in den Griff. Dafür setzt er aber immer wieder einzelne Glanzlichter. Zu „Old Time´s Sake“ mit Dr. Dre als Gastrapper möchte man die Anlage des Autos sprengen, so sehr stampft einem dieser Beat noch Stunden später die Gehörgänge platt. Und dieser Amoklauf namens „3.a.m.“ ist einfach nur ganz Großes Kino: Eminem malt apokalyptische Bilder im Kopf des Zuhörers und hat wieder sichtlich Spaß am Spiel mit den Worten. „We Made You“ ist eine brillante Abrechnung mit dem Popbusiness, dem er Zeit seines Lebens nur zu gerne mit einem breiten Grinsen im Gesicht den Spiegel vorhielt. Die beste Waffe Eminems ist aber, dass er zu schlau ist, sich wirklich festzulegen. Jegliches klischeehafte Verhalten wird im nächsten Satz schon wieder ad absurdum geführt. Da spricht ein Schlaumeier, dem man trotzdem jede einzelne seiner Zeilen glaubt. Wie er das schafft? Darin liegt wohl das Geheimnis seiner Popularität. Jedenfalls scheint er seinen Kritikern immer einen Schritt voraus zu sein. Selbst seine eindringliche Stimme, von der man annehmen musste, dass sie sich innerhalb kurzer Zeit abnudelt, wie Spaghettisoße, wirkt auf „Relapse“ dermaßen erfrischend, dass man dem Großteil seiner rappenden Kollegen kurzerhand den Strom abdrehen möchte. Eminem hat mit „Relapse“ ein famoses Comeback hingelegt. Er gönnt sich einen Rückfall in alte Zeiten und landet damit kurzerhand auf dem Thron der gegenwärtigen Rapszene.
Ebenfalls bemerkenswert gerät ein neues Album aus den endlosen Weiten der rockenden Zunft. Es dauert keine zehn Sekunden, da bin ich wieder unten mit dem Scheiß. Die 90er haben mich voll im Besitz, ich zerfetze die Naht an der Kniefalte meiner Jeans und gehe zu Boden. Wälze mich im Staub. Die Luftgitarre im Anschlag. Verdammt. Dinosaur Jr. haben es wieder geschafft. Sie haben mit ihrem neuen Album ein nostalgisches Glücksgefühl generiert. Verteilt auf 12 Songs, die trotz zeitweise epischer Ausmaße von sechs bis acht Minuten immer wieder dem großen Moment frönen. Melodien für ein Indiepublikum, das es in dieser Form eigentlich gar nicht mehr gibt. Eine Generation, die sich zum sperrigen, manchmal nervigen, aber immer hingebungsvoll dahin geschmetterten Indie-Liedgut von Pavement und Konsorten mittags um drei in der Sommerhitze auf einem Festivalgelände die Seele aus dem Leib schrie. Für Menschen, für die der Name „Bizarre“ mehr ist, als nur eine verdorrte Blüte aus längst vergangenen Festivaltagen. „Farm“ ist in dieser Form ein Manifest auf den klassischen Indierock-Sound. Ein Gitarren geschwängertes Monster von einem Rockalbum. Eine Scheibe mit Ecken und Kanten, bei der man den Lautstärkeregler mehr als nur einmal um die eigene Achse dreht. Songs, wie „I Want To Know“, muss man möglichst laut hören. Sie müssen im Feedbackgewitter ersticken, bis man irgendwann verwirrt in Richtung Sonne blickt – wohl wissend, dass man gerade etwas ganz Besonderem beiwohnt. Einem Moment, in dem es nur einen selbst und die Musik gibt. Da passt nichts mehr dazwischen. Kurz gesagt: Dinosaur Jr. erschlagen einen auch diesmal wieder mit ihrer Unmittelbarkeit. Und ich verneige mich innständig vor diesem wunderbaren Spätwerk der Band aus Massachusetts.
Denyo alias Dennis Lisk hat sich derweil dazu durchgerungen, auch mal dem Gesang zu frönen. Nachdem die beiden Solo-Alben des Rappers -die schon allein deshalb einen schweren Stand hatten, weil sie immer wieder dem Vergleich mit Jan Delay stand halten mussten- völlig zu Unrecht gefloppt sind, macht der Beginner nun den Rio Reiser für uns. Oder sagen wir besser: er macht den Clueso. Und ganz im ernst: es funktioniert. Das klingt richtig derbe, wenn er im famosen Opener von „Suchen & Finden“ seine „Navigation“ ins Songschreiber-Metier startet. Die erste Single „Lass los“ ist vielleicht eine Spur zu tränenreich geraten, aber funktioniert im Kontext der Scheibe dann doch überraschend gut. Ich mag an diesem Album allerdings eher die entspannte Lockerheit, die das fast rockige „Blick nach vorn, schau zurück“ ausstrahlt. Da geht einiges, da macht die Scheibe einem bewusst, dass es sich hier eben doch nicht um einen plumpen Versuch handelt, nun auch noch auf den Erfolgszug aufzuspringen. Nein, „Suchen und finden“ ist eine echte Herzensangelegenheit. Das merkt man. Da spürt man die Hingabe, die er in diese Stücke gesteckt hat. Das war bei den beiden „gerappten“ Vorgängern zwar auch so, aber erst jetzt scheint sich der Künstler wirklich gefunden zu haben. Da wird in „Wo auch immer“ fast schon „gegrönemeyert“, wie die Kinderzimmer Productions es mal so treffend formuliert haben. Und das klingt ganz ehrlich kein bisschen peinlich, sondern famos. Man bleibt eben nicht ewig der junge Kerl, der sich mit den beiden Kumpels daran macht, das System von innen umzukrempeln. Mit dem Alter verändern sich auch die Prioritäten. Der Blick fällt aufs Private und die Scheibe gehört zum Besten, was in den letzten Jahren im deutschsprachigen Songschreiber-Bereich auf den Markt kam (zugegeben: die Konkurrenz hier ist auch nicht unbedingt groß). Schade nur, dass auf meiner Edition der gemeinsame Track mit Clueso, Max Herre und Jan Delay nicht vorhanden ist. Auf das Stück bin ich nämlich schon derbe gespannt.
Hinterher schweifen wir dann eine Runde durch epische Traumlandschaften, weil The Butterfly Effect auf einer schwungvollen Monsterwelle auf uns zu surfen. Vom Sound her orientiert sich das australische Quartett auf „Final Conversations Of Kings“ an Trail Of Dead und Minus The Bear, mischt das Ganze aber mit einer Prise Alternative-Rock auf, so dass man sich immer wieder dazu hingerissen fühlt, bei den hymnischen Parts lauthals mitzugrölen. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass die Band es schafft, nicht ins Fettnäpfchen des plumpen Abbauschens zu treten. Nein: über die gesamte Länge halten sie einen mit charmanten Ideen bei der Stange und zeigen sich als gewachsene Band, der der „Rolling Stone“ nicht umsonst die Plakette anheftet, „einer der besten Funde des Jahres“ zu sein. Gerade im Progrock-Bereich, wo man ja regelrecht zugeschissen wird mit neuen Bands, ragen The Butterfly Effect mit ihrer poppigen Attitüde und den großen Melodien aus der breiten Masse heraus, als hätten sie Stelzen unter den Füßen.
Die Berliner Band Siva könnte derweil mit ihrem zweiten Album ganz heimlich, still und leise ein großer Karrieresprung bevorstehen. „Same Sights, New Light“ ist das Notwist-Album, das selbige dem Hörer zuletzt verweigert haben. Zärtliche Songs, die auch den Fans von Sophia das Wasser im Munde zusammen laufen lassen, vermischen sich mit einem elektronischen Klangteppich, der die Songs subtil untermalt. Die Platte schickt dich auf eine Reise fernab asphaltierter Straßen. Sie klingt, als wollte sie sich im Dickicht verstecken, nur um dann im richtigen Moment aus der Deckung zu springen und einen mit ihren zauberhaften Songs einzuwickeln. Das ist Musik, die sowohl im Ballsaal, als auch im Hinterzimmer der Indie-Disco funktioniert. Ein anmutendes Album, dessen größte Stärke es ist, dass man gar nicht merkt, wie die Musik sich an einen heran pirscht, nur um einen dann mit ihrer emotionalen Wucht vollends zu erschlagen.
Wegweisend ist auch das neue Album von Krikor & The Dead Hillbillies geraten. Die verknüpfen auf „Land Of Talk“ Chicago House mit –aller Achtung!- Folkanleihen. Das famose Artwork lässt schon erahnen, dass hier Konventionen zu Grabe getragen werden. Dass das so famos funktioniert, dass nicht mal Rockabilly Sounds das Hörerlebnis schmälern, ist aber doch bemerkenswert. Die Scheibe läuft einfach so dahin, als hätte es unterschiedliche Stile und Kategorien nie gegeben. Alles wird zusammen gewürfelt und irgendwie entspringt daraus etwas Schlüssiges. Mal tanzbar („God Will Break It All“), mal verrauscht (Scerpio´s Wallet“), mal herrlich verträumt („Wanton Boy“) gerät dieses Album zu einem stil bewussten Bastard, der einem ordentlich Feuer unterm Arsch macht. In Zeiten, wo alle schimpfen, ist die Scheibe ein geradezu selbstbewusster Verrecker. Von Totengräberstimmung kann hier beim besten Willen keine Rede sein.
Ähnlich verhält es sich mit dem Projekt Years. Das Debütalbum von Ohad Benchetrit (Do Make They Think) ist ein instrumentaler Trip durch zeitgenössische Gefilde. Im Gegensatz zu Krikor & The Dead Hillbillies findet hier allerdings eine geradezu bemerkenswerte Hinwendung zur Natur statt. Vor allem im Opener bekommt man fast ein wenig Angst, man hätte es hier mit einer dieser unsäglichen „Natural Music“-Soundtracks zu tun, die so etwas wie „Wohlfühl-Atmosphäre“ transportieren sollen. Dem ist Gott sei Dank nicht so. Schon beim zweiten Song „Don´t Let The Blind Go Deaf“ wirbeln die Klänge einer akustischen Gitarre umher, wie Windhosen. Man fühlt sich, als würde man einem Damm beim Brechen zusehen. Grobe Schnitte, wie in „Are You Unloved?“ versetzen den Hörer zudem in ungläubiges Staunen. Wie macht der Junge das nur? Wie schafft er es, instrumentale Sounds so abwechslungsreich zu strukturieren, dass man trotzdem bei der Stange bleibt. „Years“ ist ein äußert geheimnisvolles Projekt voller Emotion. Es kontert Harmonie mit nahezu apokalyptischen Szenarien. Alles in allem: ein Zukunftsszenario der ganz besonderen Sorte. Eine Platte über die sich durchaus Nachzudenken lohnt.
Was man von der neuen Scheibe aus dem Hause Keri Hilson nicht unbedingt behaupten kann. Zugegeben: Die Gästeliste von „In A Perfect World…“ ist mit fetten Namen versehen. Timbaland, Kanye West und Lil Wayne sind am Start, um die Werbetrommeln anzustupsen, aber Begeisterung will sich beim Hörer trotzdem keine einstellen. Vielmehr wirkt das Dabütalbum der Künstlerin wie ein zusammenhangsloser Mix aus allem, was derzeit angesagt ist. Während Beyonce mit „Ladies“ neue Wege in ungeahnt groovende Gefilde beschreitet, beschränkt sich Keri Hilson auf das solide Handwerk. Das kann sie ja, schließlich ist sie jahrelang als Co-Produzentin für Usher und Toni Braxton unterwegs gewesen. Ihr eigenes Album krankt nun allerdings daran, dass man ausnahmslos alle Songs in ähnlicher Form schon mal von einem anderen Künstler vor den Latz geknallt bekommen hat. Die Sounds von Timbaland zeigen zudem auch gewisse Abnutzungserscheinungen, so dass sich das Teil spätestens zur Mitte hin tot läuft. Schade eigentlich, wenn man bedenkt, dass hier durchaus Potenzial vorhanden gewesen wäre. Aber Keri Hilson ist ja nicht die erste Künstlerin, deren musikalischer Anspruch in den endlosen Weiten der Hochglanzproduktion verreckt.
Sehr imposanten funk beeinflussten HipHop fabrizieren hinterher Refractory auf ihrem neuen Album „Hot Potatoes“. Das französische Duo um Jean Francois Blanco und Louis Beaudoin steht mit seinem Sound ganz in der Tradition von Rap-Crews, wie The Roots und Konsorten. Der neue Longplayer besticht durch den Einsatz von Funkgitarren, Saxophon und wunderbaren Pianopassagen. So ein Sound kommt mir im Frühling gerade recht. Kopfhörer auf und eine Runde durch die City geschlendert. Dazu ein leckeres Softeis gelutscht und das Mainufer unsicher gemacht. Refractory vertonen Lebensfreude, sind ein entspannter Gegenentwurf zum Aggro-Hop auf den Musikkanälen und haben mit ihrem sanften Reggae-Einschlag die Sonne auf ihrer Seite. Ein insgesamt wirklich imposanter HipHop-Tune mit zahlreichen Hits im Spannungsfeld von Nightmares on Wax bis I Am.
Womit wir uns zum Ende hin noch mal einem ganz hervorragenden HipHop-Werk aus hiesigen Gefilden zuwenden. 88:Komaflash kann man kennen, wenn man sich hin und wieder auf ein Konzert von Main Concept verirrt. Auch in Würzburg waren die Jungs schon zu Gast und sorgten mit ihren verqueren Soundexperimenten für offene Münder. Die Münchner Crew versucht sich auf ihrem neuen Album „Untergang /// Wiederaufbau“ an einem düsteren Mix aus tiefsinniger Lyrik und cineastischem Score der Marke David Lynch. „Ich rap, weil ich nicht anders kann, nicht, weil ich nichts anderes kann“. Man merkt den Songs an, dass sie raus mussten. Das sind keine Zugeständnisse an die Industrie. Hier geht’s um die Liebe zur Sache. Formvollendete Songs finden so ihren Weg aus dem Untergrund ans Licht. Die eingestreuten Samples sitzen. Die Beats malen Bilder im Kopf. Sie ziehen den Hörer ganz tief rein in die Welt der psychedelischen Combo, die leider noch nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie seit Langem verdient. Wer mal wieder Rap mit Tiefsinn hören möchte, der nicht davor zurückschreckt, auch mal Grenzen auszuloten. Wer damals zum ersten Album von Doppelkopf auf den Balkon saß und von einer besseren Welt träumte. Wer nachdenklichen HipHop mag und sich gerne von düsteren Beats treiben lässt, der kommt an diesem Album nicht vorbei. 88:Komaflash sind der perfekte Soundtrack für verregnete Sommertage. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// alxander nickel-hopfengart
UND WAS NUN?