Wahnsinn. So bin ich seit dem Opener des ersten Seeed Albums nicht mehr abgeholt worden. Major Lazer lassen mit „Hold The Line“ und freundlicher Unterstützung von Mr. Lexx & Santigold die Bassboxen deiner Anlage platzen. Ihr Album „Guns Don´t Kill People… Lazers Do“ ist ein famoses Dauerfeuer an Laserblitzen und bewegt sich im Grenzgebiet zwischen Elektro und Reggae. Die Tracks, versiert zusammengebastelt von den allseits beliebten Hipster-Produzenten Diplo alias Wesley Pentz und Switch aka Dave Taylor, klingen so frisch, dass die ganze Szene laut „hurra“ schreien dürfte. Aber auch über Szenegrenzen hinaus wird dieser Sound hier seine Fans finden. Die Vögel im Netz haben ja bereits den großen Hype ausgerufen. Im Falle von Major Lazer möchte man ausnahmsweise mal mit einstimmen. Die Scheibe wurde so dermaßen versiert zu einem dramaturgisch durchdachten Mix zusammen geschraubt, dass man den beiden Protagonisten sofort seinen Respekt ausspricht. Was Diplo und Switch hier an wegweisenden Sounds übereinander geschichtet haben, das dürfte für alle Nachzügler des Genres demnächst die Latte sein, die es zu überwinden gilt. Major Lazer sind mit diesem Album so weit vorne, dass man meint, sie hätten den Antrieb ihres Raumschiffs auf Lichtgeschwindigkeit gepusht. Während andere im Zuge des großen Zuspruchs von Seiten der Blogs kurzerhand am Popfirmament verklingen werden, wie Rasiermesser, besticht „Guns Don´t Kill People… Lazers Do“ durch seine Langlebigkeit. Dieses Album ist wie eine Sternschnuppe, die man auf Endlosschleife schaltet. Die Scheibe fasziniert einen immer wieder aufs Neue.
Regina Spektor gibt sich derweil schon seit Jahren Mühe, endlich über den Status der Szene-Ikone hinaus zu kommen. Wenn die Leute hierzulande nur wüssten, dass sie eigentlich schon seit Jahren den Sound fährt, für den Kate Nash und Konsorten vor Kurzem die Lorbeeren eingestrichen haben. Wenn sie wüssten, was die schon für wunderbare Schunkler veröffentlicht hat. Sie würden ihr zu Füßen fallen, wie Schuhsolen. Und Regina Spektor würde sie ganz behutsam wieder zu sich nach oben ziehen. Würde sie in den Arm nehmen und ganz fest knuddeln. Würde ihnen ein Lied vorsingen, wie das nahezu bemerkenswerte „Eet“, das zu den schönsten Pianoballaden des Jahres zählt und einen Tiefsinn ausstrahlt, den man bei vergleichbaren Acts oft vergeblich sucht. Beispiel gefällig? Bitteschön…
“It’s like forgetting the words to your favorite song”. Schöner kann man den Moment des Verlustes wohl kaum mit einfachen Worten beschreiben. Regina Spektor hat mit „Far“ aber dennoch ihr bisher poppigstes Werk geschrieben. Zumindest produktionstechnisch begibt sie sich diesmal ganz bewusst ins Reich der Hochglanzfraktion. Das alles kann ihren Songs aber nichts anhaben, die auch auf „Far“ mal wieder die intensivsten aller Gefühle in eine Zeitschleife schubsen. „Far“ ist ein Werk zum immer wieder aufs Neue entdecken. Das bis zum gegeben Zeitpunkt schönste Pianopopalbum des Jahres, wobei ich bezweifle, dass da noch was Vergleichbares nachkommt.
Emorock konnte einem derweil in den letzten Jahren schon mal ziemlich auf den Senkel gehen. Vor allem deshalb, weil den ganzen Bands nichts Besseres einfiel, als jeden kleinen Schnipsel von Taking Back Sunday und Hot Water Music noch mal abzupulen, dabei aber allzu oft vergessen wurde, dass da auch so etwas wie Gefühle dazu gehören. Nun also haben sich ein paar in der Szene verehrte Menschen zusammen geschlossen, dem ganzen Genre ein musikalisches Statement in Form eines Albums entgegen zu schleudern. God Fires Man heißt ihre Band und was da ans Ohr des Hörers dringt, vermischt auf imposante Weise den Sound von den bereits erwähnten Taking Back Sunday mit einer nicht allzu großspurigen Produktion – da sitzt zwar jeder Ton, wenn Alex Newport (Death Cab For Cutie At The Drive-In und The Melvins) in die Regler greift und den Jungs das passende musikalische Korsett bastelt. Aber das wirkt niemals zu glatt, zu gleichförmig und auch nicht so blutleer, wie das breitenwirksame Getöse von Bands, wie Hawthorne Heights und Aiden. Die Musik erlaubt sich auch mal den einen oder anderen Sidekick, ufert aus, schlägt Haken und klingt genau deswegen so… emotional, wie lange nichts mehr, was ich in dieser Hinsicht vernehmen durfte. Das Artwork orientiert sich vielleicht eine Spur zu stark am gegenwärtigen Trend hin zur grafischen Blutorgie, aber ansonsten entspringt „Life Like“ ein imposanter Mix, der sich irgendwo zwischen den Bands Brand New, Say Anything und Konsorten verortet, ab und zu aber auch in rockige Gefilde der Marke Feeder abdriftet. Dieses, bereits zweite Werk aus dem Hause God Fires Man macht sich keine großen Gedanken um innovatives Gehabe, doch genau daraus schlägt die Scheibe letztlich das größte Kapital. Die Songs klingen vielleicht auf den ersten Durchlauf noch eine Spur zu austauschbar und krallen sich auch nicht auf Anhieb in den Ohrmuscheln fest. Schenkt man der Scheibe aber etwas Zeit werden die Stücke zu hymnischen Arschtretern, die den Hörer nahezu euphorisch zurück lassen. God Fires Man haben mit „Life Like“ etwas geschafft, was in den letzten Jahren nur wenigen Ausnahmebands, wie Alkaline Trio und Brand New, gelungen ist… ein nachhaltiges Werk. Alle Interessierten sollten im Zweifelsfall aber lieber zum Vinyl greifen. Da sind nämlich drei Songs mehr drauf. So wie sich das auch gehört…
Und ist es wirklich schon wieder soweit? Yep… es rollt unaufhaltsam auf uns zu. Das Taubertal Festival 2009 steht in den Startlöchern, aber bevor es vom 07. bis 09. August 2009 wieder rund geht auf der Eiswiese in Rothenburg ob der Tauber, darf man erst noch mal in schönen Erinnerungen schwelgen. Die alljährliche Taubertal Festival DVD steht nämlich inzwischen im Handel und liefert unter dem Banner „Turn It Up Loud – Taubertal Festival 2008“ 14 gute Gründe sich auch in diesem Jahr wieder mit Sack und Pack hinunter ins Tal zu begeben und den sanften Klängen zu lauschen, die da aus dem Zauberwald von Rothenburg an einen heran dringen. Auf der DVD versammeln sich derweil die herzallerliebsten Underdogs von Mintzkov, die mit ihrer Show gleich mal Blackmail locker an Intensität überboten haben. Dazu natürlich: die Partyraketen von den Hives und die Tanzflächenbeschaller Panteón Rococó, sowie den sympathische Sonderling Adam Green, die Fantastischen Vier, die Düsterbrüder von den Editors. Dazu gibt’s noch die Punkrocker von Anti-Flag und natürlich Slut, die auf keinem echten Taubertal-Festival fehlen dürfen. Kurz gesagt: diese Auswahl an Partykrachern ist die perfekte Einstimmung für das diesjährige Bandgerangel unter dem idyllischen Antlitz der Rothenburger Altstadt. Wer da dieses Jahr nicht alles am Start ist? Bonaparte, Clueso, Die Toten Hosen, Farin Urlaub Racing Team, Flogging Molly, Maximo Park, Mediengruppe Telekommander, Taking Back Sunday, The Soundtrack Of Our Lives, Montreal, Smoke Blow, The National, The Subways, The (Int.) Noise Conspiracy, The Whip, Wintersleep und noch viele mehr. So ein hochkarätiges Line-Up gab es glaub ich seit Jahren nicht mehr? Dementsprechend. Jetzt schon drauf freuen und schnell noch Karten sichern. Das Taubertal-Festival neigt ja seit Jahren dazu, restlos ausverkauft zu sein. In diesem Jahr gibt’s noch Tickets. Zum Beispiel hier. Klickt euch rein und dann nichts wie auf zur großen Sause.
My Latest Novel geben sich derweil auf ihrem Zweitling allerhand Mühe, den Mädels und Jungs von The Arcade Fire den Rang abzulaufen. Ihre Songs klingen allerdings immer eine Spur poppiger, als die Tracks der feuerspuckenden Arkaden-Vernichter. Dabei gelingt es der Band durchaus ein nachhaltiges Werk zu erschaffen. „Deaths & Entrances“ lebt vor allem von den zauberhaften, sich immer wieder überlappenden Gesangsstimmen der Protagonisten, die das instrumentale Sammelsurium im Background ein ums andere Mal in die Spur zurück geleiten. Man ist sich von der ersten Sekunde an sicher, trotz des ganzen Tohuwabohus, würden dieses Tracks genauso gut am Lagerfeuer zünden. Der Funke würde überspringen und die versammelte Runde euphorisch in einen herzallerliebsten Chor einstimmen. Songs, wie „Lacklustre“ oder der famose Opener „All In All In All Is All“ sind so himmelhochjauchzend, das man gar nicht genug von ihnen bekommt. Und „Deaths & Enteances“ ein Album, das trotz seines hohen Hitappeals eine bemerkenswerte Langlebigkeit ausstrahlt.
Den passenden Soundtrack zum Hüpfen über die Strandpromenade kann man sich derweil von Bastila verabreichen lassen. Die vermengen auf ihrem Debütalbum gekonnt die Palmenstrandrhythmik von Gogol Bordello mit Ska, Blues und Britpop-Zitaten und schaffen es damit, ein überzeugendes Gesamtbild zu generieren. Die unbedingte Stilvielfalt der Jungs kann einem auf Albumlänge zwar etwas auf die Nerven fallen, reißt man die Songs aber aus dem Kontext der Platte, machen die Stücke in dosierter Form dann doch ganz schön Spaß. Ich meine, wer vermischte zuletzt Stadionrocksolos der Marke Santana mit hymnischer Punkrockschnauze? Bastila würfeln zusammen, was erstmal nicht zusammen zu passen scheint. Sie schnappen sich die euphorischsten Momente aller (musikalischen) Welten und mixen daraus einen bunten Cocktail für die Partymeute. Bisweilen wirkt das zwar noch etwas holprig, dürfte aber, wenn die Jungs dranbleiben, spätestens beim nächsten Album für wahre Euphoriestürme sorgen.
Toy Fight verarbeiten derweil nostalgische Erinnerungen mit Spielzeuginstrumenten und sorgen damit auf ihrem Album „Peplum“ für Verzückung beim Hörer. Es ist eine wahre Freude, wenn sie mit Glockenspiel, Pauken und Trompeten auf die Kacke hauen, als ginge es darum, das Kinderzimmer in einen Konzertsaal zu verwandeln. Nahezu alles, was nicht niet und nagelfest ist, wird hier „verfolkt“ und so schmissig aufbereitet, dass es Fans von Phoenix, Kimya Dawson und Belle & Sebastian die Tränen in die Augen treiben dürfte. Die französische Combo hat sich mit „Peplum“ ihre eigene Nische im gegenwärtigen Indie-Pop-Universum geschaffen. Das Schöne an ihrem Album ist nämlich, dass man sich nicht unbedingt vom charmanten Kinderzimmer-Instrumentarium blenden lassen muss… man findet auf „Peplum“ auch einen ganzen Satz imposanter Folk-Pop-Songs, die einen auch abseits des Klangsalats mit tollen Melodien um den Finger wickeln. Alles in allem kann man der Scheibe also nichts vorwerfen. Das Ding wurde ebenso kurzweilig, wie vielseitig arrangiert und langweilt auch auf voller Länge nicht. Mal sehen, was dann als nächstes aus dem Hause Toy Fight folgt. Ich jedenfalls bin angefixt und freue mich auf Teil zwei dieser Kissenschlacht im Spielzeugland.
Abschließend betreiben wir dann noch mal Vergangenheitsbewältigung. Das Ziel unserer Reise ist die Pubertät. Die schönste Fratze der Punkrockszene gibt sich nach 25 Jahren die letzte Ehre und dabei auch gleich das Programm vor: „25 Jahre sind genug“. Was man wiederum äußerst schade finden kann, denn zu der aktuellen DVD von den Abstürzenden Brieftauben kann man auch heute noch ganz hervorragend Bushaltestellen beschmieren und Klobrillen verschmutzen. Vorausgesetzt natürlich man hat sein altes Tapedeck inzwischen zum DVD-Spieler umgerüstet und die passenden verrauschten Boxen angeschlossen. Dann gibt’s nämlich das volle Nostalgie-Programm in Form der haarsträubenden Videoclips von „Das Grauen kehrt zurück“ bis „Fett & hässlich“. Dazu ne wirklich gelungene, zweistündige Doku namens „Wir sind die Tauben“, wo man unter anderem erfährt, wie das so ist, wenn man auf Tour ist, eigentlich arbeiten müsste und dann schnell heim fährt, um sich beim Arzt ein Attest für den Arbeitgeber zu holen, nur um kurz darauf wieder zur nächsten Station der Tour zu hopsen. Zudem gibt’s hier natürlich eine fette Liveklatsche, aufgezeichnet im Jahre 2002 in der Glocksee. Da versinkt der Fan von früher ganz von selbst in Glücksgefühlen, schreit sich zu den ollen Smash-Hits, wie „Der letzte macht die Tür zu“ und „Betzy“ die Seele aus dem Leib und kramt die alten Nietenbänder wieder aus dem Schrank. Dieses Rundumglücklich-Paket ist der perfekte Abgesang auf das lange unterschätzte(?!), meines Wissens einzige „Duo“(!) im Deutschpunk-Bereich, das gerade wegen seiner ständigen Präsenz in der „Bravo“ von vielen Menschen nie so recht ernst genommen wurde. Zeit das zu ändern. Es lohnt sich. Auch für denjenigen, dem „die Tauben“ bisher noch kein Begriff sind. Vorhang auf für die Geschichte der Einstürzenden, pardon, Abstürzenden Neubauten, pardon Brieftauben mit leider tragischem Ende. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// alexander nickel- hopfengart
UND WAS NUN?