Endlich mal wieder eine junge Dame, die sich so richtig Mühe bei der Gestaltung ihres Artworks gegeben hat. Florence Welch hat zu jedem Song ihres nun vorliegenden Debüts „Lungs“ eine eigene Bildergeschichte entworfen.Die Darstellungen wirken bisweilen zwar reichlich extrovertiert, so als hätte sich da jemand ein bisschen im Backkatalog von Björk bedient, ziehen den Hörer aber dennoch direkt rein in die bunte Popwelt von Florence + The Machine. Die Musikerin gibt sich musikalisch sehr viel Mühe, das viel beschäftige Publikum, das da einem Hype nach dem anderen hinterher jagt, ein wenig bei der Stange zu halten. Hits im Grenzgebiet von den beiden Kates. Also der „Nash“ und der „Bush“ sind hier nahezu im Dreiminutentakt vorhanden. Dabei wirft das Album auch den einen oder anderen ziemlich derben Chartstürmer ab, der sich völlig zu Recht über das Lobeshymnen-Speerwerfen von Seiten der Presse zu erheben vermag. Soll heißen, die Songs der Künstlerin treffen einen mitten ins Herz, auch wenn man vorher schon von hunderten Gazetten ihren Namen mit einem dickem Ausrufezeichen entgegen geschleudert bekam. Die berauschendsten Momente heißen „Kiss With A Fist“ (eine echte Stimmungskanone für den schweißgetränkten Indieclub-Gänger), „Girl With One Eye“ (der perfekte Sound zum extrovertierten Strip vorm heimischen Kamin) und das nahezu dahin“geschmachtete“ „Howl“, das in einem klebrigen Refrain seinen bezaubernden Höhepunkt findet. Das alles wirkt so charmant beiläufig und aus der Hüfte geschossen, dass man sich wünscht, es würde niemals enden. Und das muss es ja auch nicht. Gibt ja die Repeat-Taste. Und die wird hier reichlich Streicheleinheiten von Seiten des Hörers erfahren.
Slow Club sind derweil meine Lieblings-Fast-A-Capella-Albumeröffner des Moments. Verdammt, wassn Hit! „When I Go“ ist einfach nur ein verf****** Herzensbrecher und deshalb verwundert es auch, dass der Rest der Scheibe dagegen nicht groß abfällt. Mit Ausnahme zweier Tracks entpuppen sich schon beim ersten Durchlauf fast alle weiteren Tracks von „Yeah, So“ als Hymnen fürs Lagerfeuer-Sit-In im heimischen Stadtpark. Slow Club haben mit „Yeah So“ eine herzallerliebste Scheibe aufgenommen, die sich so dermaßen „yeah“ anfühlt, dass man ihre Songs sofort in die weite Welt hinausschreien möchte. Jedenfalls kommt man nicht umhin das charmante Duo auf der Stelle zu den tolleren Tegan & Sara zu ernennen, auch wenn der Verglich natürlich hinkt, weil sich hier Mädchen und Junge an die ihnen zugefallenen Instrumente wagen. Unabhängig davon allerdings haben Charles Watson und Rebecca Taylor ein gutes Händchen für bezaubernde Melodien. Die Stücke sind trotz ihrer reduzierten Lo-Fi-Folk-Ästhetik keine allzu großen Schwerenöter und langweilen auch auf Albumlänge nicht. Im Grunde genommen sind sie damit nahezu perfekt, um neben der vorab schon erwähnten Florence und ihrer Maschine auf dem nächsten Sommertape zu landen. Die perfekte Platte, zum Träumen, mitschnippen, mit der Hüfte wippen. Ein Freudenfest für jeden, der auf schnörkellose Popmelodien steht.
Zurzeit weiß man ja oft gar nicht mehr, wo man hinglotzen soll, vor lauter musikalischen (Glanz?)Lichtern, die um die Aufmerksamkeit des Hörers buhlen. In den Blogs wird mehrmals täglich alles hochgejubelt, was irgendwie ein Instrument halten kann. Dementsprechend stehe ich Passion Pit auch äußerst skeptisch gegenüber und frage mich, was da wohl wieder für „heißer Scheiß“ aus dem Schneckenhaus der Musikindustrie gekrochen kommt. Die Scheibe beginnt dermaßen eintönig, dass man sie gleich wieder ausschalten möchte. Der Opener wirkt wie ein schlechter Abklatsch von MGMT, aber dann geht’s plötzlich rund. „Little Secrets“ ist ein verdammter Hit. Einer für den Sommer, wenn alle Hals über Kopf in den nächsten Baggersee hüpfen und auf dem Rücken eines Delphins in Richtung Sonnenuntergang reiten. Zugegeben, Delphine gibt’s hier nicht, aber dafür umso mehr „phantastische“ Soundentwürfe, die so dermaßen klebrig klingen, dass man sich nur zu gerne nach ihnen verzehrt. Ja ihr habt richtig gehört, die Melodien erzeugen beim Hörer sofort eine gewisse Sehnsucht nach Dauerbeschallung: man möchte sich ihnen immer wieder aufs Neue ausliefern. Ein Gefühl von Badestrand mit Palmenoase stellt sich ein, so wie zuletzt bei Iglu & Hartly, nur ohne deren Hang zum Crossover-Gesabber. Stattdessen wird in leicht verzerrter Weise melodeit, dass es eine wahre Freude ist. Von den 11 Songs gehen neun als astreine Hits durch. Die größten heißen „Moth´s Wings“, „Sleepyhead“, „Eyes As Candles“ und „Folds In Your Hands“. Damit hat „Manners“ jetzt schon gute Chancen auf den Titel: zuckersüßestes Sommer-Pop-Album 2009.
Bibio stolzieren derweil gelassen über die „Ambivalence Avenue“. Eigentlich hatte man ja mit einem astreinen Elektro-Wurf aus dem Hause „Warp“ gerechnet, aber Bibio scheren sich nicht groß um irgendwelche Genre-Befindlichkeiten. Im Endeffekt ist „Ambivalence Avenue“ ein Sommeralbum mit anderen Mitteln. Ein durchaus elektro-affines Album, das aber lieber Moby die Hand reicht, als den werten Kollegen hinter den Mischpulten. Zwischenzeitlich erinnert das Ganze auch an die Hipster-Fraktion von The Arcade Fire oder noch besser: Boards Of Canada. „Fire Ant“ beginnt, wie das zuckersüßeste Kopfhörer-Brett fürs Fahrrad seit Nightmares On Wax´es „Les Nuits“, hat aber ein paar Widerhaken eingebaut, die sich durchaus sehen lassen können. In referenzieller Hinsicht gibt man sich also durchaus vielseitig. Trotzdem verkommt die Musik, die sich unter dem bemerkenswerten Artwork versteckt, niemals zum plakativen Abklatsch. Es wirkt fast ein bisschen, als hätte Bibio einfach mal gemacht, worauf er Lust hatte. Sich nicht groß um irgendwelche Konventionen bemüht und einfach mal drauf los experimentiert. Man merkt der Scheibe jedenfalls an, dass der Musiker sehr viel Spaß bei der Sache hatte.
Etwas ernsthafter geht’s auf dem neuen Album von Mavado zu. Der schafft es, auf seinem Zweitwerk „Mr. Brooks… A Better Tomorrow“ gängige Reggae-Klischees weitestgehend zu umschiffen und stürmt damit zu recht in die amerikanischen HipHop-Charts. Schon im zweiten Track „Every Situation“ rappt er so charmant versetzt und gediegen, dass man sich erstmal aufs Sofa setzt und die entspannte Atmosphäre genießt. Überhaupt biedert sich seine Musik nur selten dem gängigen Klangsalat an, den uns da per Mattscheibe als der heißeste Scheiß verkauft wird. Stattdessen geht´s auf seinem Album vorwiegend melancholisch vertrackt zu. Das mag manchem zu viel Tränendrüse sein und zu wenig Tanzparty. Ich kann damit gut leben, weil mir das endlose „Mach Ma Lauda“-Getue sowieso schon ziemlich auf den Sack geht. Hier steckt letztlich mehr Tiefsinn drin, auch wenn sich der Musiker immer wieder in Widersprüche verstrickt. Einmal wird da das Ende der Gewalt gefordert, dann das Straßenleben glorifiziert. Wie das zusammenpasst? Eigentlich gar nicht, doch dann ist da wieder diese Stimme. Ein Organ, so be“merk“enswert, wie Schiedsrichter. Man würde es unter hundert anderen sofort erkennen. Und eben dadurch gerät diese Platte zu etwas ganz Besonderem.
Und huch. Was ist das denn? Berry? Hab ich ja noch nie gehört, was durchaus ein Verlust ist, wenn man bedenkt, wie zuckersüß deren Songs sind. Die werden auf „Mademoiselle“ nicht nur von dem sympathischen, weich gezeichneten Frontcover getragen, sondern schwingen sich auch zu echten Schmachtfetzen auf, die man in der nächsten Bar gerne mal zwischen Carla Bruni und Charlotte Gainsbourg hören möchte. Berry also, die im echten Leben Elise Pottier heißt, ist in ihrem Heimatland eine viel beachtete Theaterspielerin, die nun auch mal zum Mikrofon greifen möchte. Dabei verzaubert sie vor allem mit bittersüßen Texten, die so manches explizite Detail aus ihrem Seelenleben freischaufeln. Ist man des französischen nicht mächtig, kann man die Scheibe aber auch genüsslich zum romantischen Beisammensitzen einlegen. Die jazzig angehauchte Instrumentierung sorgt für eine knisternde Spannung im Raum. Und wird nicht umsonst von zahlreichen Szene-Gazetten als das nächste große Ding aus Frankreich beschrie(be)n. Ich jedenfalls bin jetzt schon verzaubert und freu mich auf Nachschub der gehobenen französischen Dichtkunst.
Wer sich derweil schon immer mal gefragt hat, wie das wohl klingen würden, wenn Wir sind Helden so richtig einen auf aggro machen würden, der sei bei dieser Gelegenheit an Safi verwiesen. Was Frank Semmer, Matthias Becker und Sängerin Safi da an rotziger Attitüde auf Tonband gepresst haben, das ist mit dem Wort „Punk“ nur bedingt zu beschreiben. Zumindest dann, wenn man den Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet (wie war die glich noch mal?). Jedenfalls. Ich garantiere, zu dieser Scheibe wird es nur extreme Meinungen geben. Entweder man schaltet spätestens nach dem 9minütigen Track „Kalt“ und dem wutentbrannten Schrei am Ende des Songs die Anlage aus, weil man nervlich völlig am Ende ist und fortan zum Jazzfan transformiert. Oder aber man lässt sich vollends besudeln von diesem wahnwitzigen Soundtopf, der da in Leipzigs Gosse umkippt und unaufhaltsam auf die große weite Welt zuströmt. Klammert man die letzte Scheibe von Karamel mal aus, ist „Kalt“ das bisweilen unberechenbarste deutschsprachige Werk des Jahres. Ein echter Spalter. Wie sagten Mediengruppe Telekommander einst so schön mit leicht ironischem Unterton? Ja, genau… „Bild dir deine Meinung!“.
Amazing Baby sind derweil das perfekte Betthupferl für alle, die sich schon immer gewünscht haben, Arcade Fire würden eine Platte mit Kasabian einspielen. Die bisweilen hypnotischen Sounds und die treibende Atmosphäre, welche die Musik ausstrahlt, sorgen immer wieder für ein ausgiebiges Mitschunkeln und Hände in die Luft werfen im heimischen Wohnzimmer. Wenn man könnte, würde man sofort mit Sprungrolle aus dem Fenster hüpfen und die Freiheit genießen. In mehrstöckigen Gebäuden ist davon aber bitte abzusehen. Jedenfalls, dieser Mix aus allem, was im Indiebereich gerade hip und angesagt ist, hat zwar durchaus damit zu kämpfen, dass es vielleicht für den großen Wurf schon ein bisschen zu spät ist. Aber für einen Nachzügler in Sachen trendy Soundgewand, reichts dann trotzdem dicke zum Imponieren der besten Kumpeline/des besten Kumpels, welche/n man monatlich mit einem aktuellen Tape ein freudiges Lächeln abtrotzt. Whatever. Diese Platte wurde jedenfalls, passend zur Eröffnung der Review, in einem Schlafzimmer eingespielt. Also teilweise zumindest. Da scheint es jedenfalls ganz schön rund gegangen zu sein, denn die drei Tracks – namentlich „Invisible Place“, „Narwhal“ und „Pump Yr Breaks“, die in den eigenen vier Wänden entstanden sind, sind auch gleichzeitig die größten Hits der Platte. Der Rest entpuppt sich allerdings nach einer gewissen Eingewöhnungszeit auch als, nicht zu unterschätzendes, musikalisches Klanggebilde der versierten Indierock-Glückseligkeit. Also einfach mal wieder zurücklehnen, die Scheibe auf „Rewind“, pardon „Rewild“, stellen und die Musik genießen. Wir lesen uns dann beim nächsten Zuckerbeat.
alexander nickel-hopfengart
UND WAS NUN?