// zuckerbeat vol. 82

Schon mal überlegt, nackt über den Times Square in New York zu hopsen und zu gucken, was so passiert? Klingt nach einer ziemlich doofen Angelegenheit oder? Wobei doof ja immer ziemlich nahe an verrückt ist. Und seit „Einer flog übers Kuckucksnest“ wissen wir ja, dass es so etwas, wie verrückt, gar nicht gibt. Jedenfalls: wenn […]

matt-and-kimSchon mal überlegt, nackt über den Times Square in New York zu hopsen und zu gucken, was so passiert? Klingt nach einer ziemlich doofen Angelegenheit oder? Wobei doof ja immer ziemlich nahe an verrückt ist. Und seit „Einer flog übers Kuckucksnest“ wissen wir ja, dass es so etwas, wie verrückt, gar nicht gibt. Jedenfalls: wenn man sich das neue Video von Matt & Kim ansieht, dann kann man schon mal ins Schwärmen geraten. So ein Striptease im Herzen New Yorks kann ja ziemlich kalkuliert und effekthascherisch rüber kommen. Bei den beiden allerdings ist das nicht der Fall. Die scheinen sich sogar immer wieder gegenseitig zu vergewissern, dass sie gerade zu zweit dem Rest der Welt entgegentreten. Sie wirken wie in einer Blase… in einer anderen Welt. Völlig fixiert auf sich selbst. Und so merkt man diesem Album an, genauso wie den alten Sachen von den Kills (die aber ganz anders klingen), dass da eine ultimative Bindung zwischen den Protagonisten besteht. Die beiden allerdings wird das ganze Treiben um sie herum nicht groß interessieren. Matthew und Kimberley fahren ihren eigenen Film und machen in gewisser Weise Synthie-Pop mit Melodien. Nichts Besonderes eigentlich und doch verströmen Songs, wie „Daylight“ und „Lessons Learned“ einen spitzbübischen Charme, wie man ihn lange nicht gehört hat. Zeilen, wie „All The Bad Names Gone And The Good Ones Were All Wrong“ regen zudem zum Grübeln an und passen zu dem verträumt fröhlichen Look ihres Debütalbums „Grand“, das sich jeder Liebhaber federleichter Sommerpopmelodien unbedingt zur nächsten Kissenschlacht ins heimische Wohnzimmer holen sollte.

ebony-bonesUnd so klingt er also. Der Sound von Ebony Bones. Stampft ziemlich brachial los, was die werte Dame da auf „Bone Of My Bones“ vom Stapel lässt. Früher hätte man den Opener wohl Dank seines sägenden Riffs unter dem Banner „Crossover“ verortet. Heute allerdings ist das Wort verpönt, also ordnen wir die Scheibe mal zwischen Uffie, Lady Sovereign und Konsorten ein. Man kann ja auch wirklich nicht behaupten, dass die Musik irgendwie gestrig klänge. Die ist dermaßen weit vorn, dass man sich fragt, wie weit Ebony Bones wohl nach oben abhebt, wenn sie beim Weitsprung-Wettbewerb in den Hitlisten erst alle Rekorde gebrochen hat. Das schönste auf „Bone Of My Bones“ ist nämlich, dass man die Platte ohne Betätigung der Skip Taste durchlaufen lassen kann. Immer dann, wenn bei M.I.A. nervtötende Momente einsetzen oder bei Lady Sovereign die poppige Produktion auf die Nerven fällt, stopft uns Ebony Bones eine schicke Idee nach der anderen in die Gehörgänge. Streut ein Gitarrenriff ein, das einen immer weiter ins Schwitzen bringt und überführt damit letztlich einen gewissen Punk-Gestus ins, na ja sagen wir mal… Weltmusikformat. Gerade wenn man bedenkt, was für unsägliche Alben zuletzt von den üblichen Chartverdächtigen Marke Gwen Stefani und Pink in Richtung öffentliche Wahrnehmung geschleudert wurden, ist diese Scheibe ein echter Lichtblick. Die potenziellen Charthits gibt’s inklusive. M.I.A. und Santigold sollten sich schon mal warm anziehen.

quanticDanach allerdings wird sich erstmal zurück gelehnt, die Seele Baumeln geschickt, ein bisschen vor sich hin geträumt und entspannt Mucke gehört. Vortrefflich geeignet dazu ist ein neues Album aus dem Hause „Tru Thoughts“. Da packen nämlich Quantic And His Combo Barbaro die Jazzklatsche aus und fuchteln ein bisschen in der Luft herum. Die charmanten, verjazzten, bisweilen soul-beeinflussten Melodien schlängen sich ihren Weg durch den vernebelten Luftraum des Hörer-Gehirns und sorgen für ein gediegenes Wohlbefinden in den eigenen vier Wänden oder der schläfrig beleuchteten Lounge gegenüber. Die bisweilen psychedelischen und rhythmisch beschwingten Klänge wirken zeitweise fast ein bisschen weltmusikalisch, was hier aber keinesfalls negativ zu verstehen ist. Stattdessen lässt man sich einfach mal wieder fallen. Frönt dem improvisiert wirkenden Treiben und lauscht Quantics Vorstellungen von „Tradition In Transition“. Einfach bezaubernd. Der perfekte Soundtrack zu einer unvergesslichen Sommernacht im Antlitz des wolkenlosen Firmaments.

revolucionEntspannt und ausgeruht geht’s hinterher dann auf die Barrikaden. „Revolucion! (Original Cuban Funk Grooves 1967-1978 compiled by Tom Wieland)“ hört man sie Flüstern, aus dem Dickicht schleicht sich die überwältigenden Aura des Protestes an einen heran, pirscht sich in Form perkussiver Folkloreklänge ins Gehirn des Hörers. Der Duft einer kubanischen Zigarre erfüllt den Raum. Und kubanisch klingt auch die Musik. Funky Klänge sind das, die zum Kampf gegen den Kapitalismus aufrufen. Die Revolte wird zur Feier transformiert. Die Stücke aus dem Kontext gerissen. Dennoch lässt man sich verzaubern von Bands mit Namen, wie „Los Reyes 73“ und „Groupo Los Yoyi“. Die psychedelische Anmut der Songs, die zahlreichen Ausflüge in tanzbare Gefilde, diese unbedingte Hingabe der Protagonisten, wenn in „Limitacion“ von Groupo Monumental ein Schrei fast „tarzanischen“ Ausmaßes ausgestoßen wird. All das trägt einen weit weg in eine andere Welt. Zurück ins Jahr 1967. In eine Zeit, in der es noch möglich schien, alles zu verändern. Wobei… das scheint es heute ja auch wieder, gerade in einer Zeit, in welcher der schöne Schein des Kapitalismus von der unbarmherzigen Realität eingeholt wird und sich die Wahrheit an die Oberfläche schlängelt, die viele so lange verdrängt hatten. Das hier allerdings ist eine andere Geschichte. Wer sich beim Buena Vista Social Club zu Hause fühlt, der sollte sich Zeit nehmen und mit diesem Album tiefer in die Welt der kubanischen Musik eintauchen. Es lohnt sich.

american-steelUnd zugegeben. Ein wenig beeindruckt bin ich schon vom fünften Album aus dem Hause American Steel. Man kann fast sagen: ich bin begeistert, was da in der ersten Hälfte von „Dear Friends & Gentle Hearts“ für ein Feuerwerk im Grenzegebiet von Alkaline Trio´schem Pop Punk und soulful Punkhymnen aus den Boxen poltert, wie ein Geisterhaus auf Stufe: Schreck lass nach. Nein, mal im ernst: da geht einiges. Und ich neige dazu, mich zu fragen, warum diese kalifornische Combo bisher vollends an mir vorbei lief. Die ersten drei Songs der Scheibe: allesamt verfluchte Hymnen, die man mit jedem Durchlauf lauter mitgrölt. Schlachtgesänge für den schweißdurchnässten Punkrockschuppen, in dem sich alle freudig im Arm liegen und ihrer Lieblingsband ein Pogo-Ständchen liefern. „The Lights Are Dimming Down…“ und dann ab dafür. So herzhaft hat mich schon lange kein Album mehr abgeholt. Wodurch dann auch verziehen sei, dass die Scheibe zum Finale hin etwas ins Stottern gerät. Das freudige nach vorne Rocken steht den Jungs nämlich wesentlich besser, als die melancholischen Sounds am Ende. Sei´s drum. Ich muss jetzt unbedingt die alten Scheiben nachordern.

nightmares-on-waxUnd bis die ankommen, vertreibe ich mir die Zeit ein wenig mit entspannten Melodien aus dem Hause Nightmares On Wax. Die herzallerliebsten Wohlfühl-Elektro-Pop-Romantiker, haben ja in der Vergangenheit nicht nur den tollsten Fahrrad-Dahingleit-Track der Weltgeschichte fabriziert, nein, die haben sich jetzt aufgerafft und die schönsten Versuchungen aus dem heimischen Plattenregal in ein verträumtes Mix überführt. Dabei stößt man dann als Hörer auf Liedgut der Marke Roots Manuva, Jimmy Cliff, Marvin Gaye und Erykah Badu. Funk, Soul, Reggae und Rap werden hier sanft miteinander vermanscht und zu einem bunten Cocktail aufbereitet. Man fühlt sich plötzlich, als säße man an einem privaten Badestrand und genießt das Antlitz der untergehenden Sonne. Herzerwärmende Sounds sind das, die da von den Jungs in einen anderen Kontext gesetzt werden. „Coming Home“ ist ein nostalgischer Trip höchster Güte. Alle, die auf Mixtapes der entspannten Sorte stehen, sollten unbedingt mal reinhören.

alchemistDas neueste Album aus dem Hause Alchemist geizt derweil nicht mit großen Namen. Alles rennen sie sofort auf die Straße, wenn der renommierte Produzent an den Türen ihrer jüngst errichteten Villen klingelt. Auf „Chemical Warfare“ geben sich Eminem, Snoop Dogg, Jadakiss und KRS-One die Klinke in die Hand. Noch mehr Namedropping gefällig? Bitteschön… Talib Kweli, Kid Cudi und Prodigy sind auch dabei. Und zugegeben. Was oftmals in die Hose geht, funktioniert hier sehr gut. Die Scheibe wirkt wie aus einem Guss. Und die zahlreichen Gastrapper wirken ambitioniert genug, nicht nur überschüssige B-Ware abzuliefern. Gerade der Track mit Snoop Dogg und Jadakiss („Lose Your Life“) ist ein heißer Anwärter zur Einweihung des neuen Boxensystems im Wagen. Zudem kommt natürlich auch in meinem Fall eine gewisse Verklärung der eigenen Jugend hinzu, weil sich der werte Herr schon immer im Umfeld von Cypress Hill und Konsorten verortet hatte. Für Freunde des schnörkellosen vor sich hin Hoppens dennoch sehr zu empfehlen.

georgia-anne-muldrowUnd yep, endlich, endlich… endlich!!! ist es soweit: das neue Album von Georgia Anne Muldrow ist draußen. Wer den Erstling besitzt, wird entweder auf die Knie fallen oder sich genervt abwenden. Muldrow ist nämlich so was, wie Lauryn Hill, die man ins Jahre 2020 gebeamt hat. Ihre Soundentwürfe sind so weit vorn, dass man als Hörer erst beim dreißigsten Durchlauf nachkommt oder bisweilen ganz auf der Strecke bleibt. Nun also hat sie sich auf 24 neuen Songs darauf besonnen, Tracks einfach ins Nichts laufen zu lassen oder zu Cutten, wenn sie das Gefühl hat, sie hätte alles gesagt. Das führt bisweilen zu gnadenlosen Brüchen, ist aber umso faszinierender, wenn man merkt: Hier sitzt eine Künstlerin vor einem, der man abnimmt, dass der ganze Scheiß wirklich aus ihr raus muss. Muldrow geht es auf „Umsindo“ nicht darum, möglichst breitenwirksam die eigene Nische zu bedienen. Die Künstlerin aus Los Angeles will sich nachhaltig im Gehör der Zuhörer verankern. „Umsindo“ wendet sich dabei auch den ursprünglichen Melodien Afrikas zu, vermengt diese aber mit synthetischen Sounds. Die Produktion ist so vertrackt und vielschichtig, dass man sich die Scheibe am Besten über Kopfhörer reinzieht. Ein solcher Detailreichtum, gepaart mit einer solchen Radikalität, ist selten geworden im aktuellen Soul-Geschäft. Auch wenn „Umsindo“ am Ende durchaus homogener wirkt, als der bisweilen noch etwas drastischere Vorgänger. Ein bemerkenswerter Zweitling. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// alexander nickel- hopfengart