Heute Morgen, Zellerau: Abischerz an einem bekannten Gymnasium. Für mich eine Zeitreise. Wie lange ist das jetzt her? Fünf Jahre. Verdammt, und ich eiere immer noch in meiner studentischen Mittelmäßigkeit herum- von Erwachsen keine Spur. So ist das im Leben. Man erreicht ein Ziel, erklimmt eine weitere Stufe der persönlichen Evolution, an deren Ende dann das große Ganze steht, auf jeden Fall irgendwas mit Erfolg und so, und fünf Jahre später sitzt man da, ist doch nicht schlauer geworden- vielleicht sogar dümmer- und man verschiebt das große Ganze auf Mitte Dreißig. Dazwischen noch Kinder in die Welt zu setzen, ein guter Mensch zu sein und gegen den äußeren Zerfall anzukämpfen halte ich für utopisch.
Irgendwie können sie einem doch leid tun, die ganzen Abiturienten. Natürlich ist das bestandene Abitur ein Grund zum Feiern, endlich keine Schule mehr, kein Lernstress, keine Lehrer, aber dieses „endlich nicht mehr“ ist ja nur ein Aufschub, nur ein „einen Sommer nicht mehr“. Ich kenne genügend Studenten, die sich im Angesicht von neun Uniklausuren in zwei Wochen direkt zurücksehnen in den einst so verhassten Mathematikunterricht. Jetzt feiern sie noch ihren Abischerz und lassen sich bereitwillig wie Vieh in irgendwelchen schlecht belüfteten Reisebussen in in eine beliebige europäische Saufturistenhochburg karren (haben wir ja alle hinter uns). Frei sein. Endlich sein, wer man doch eigentlich ist. Dann geht der Katzenjammer los, denn das funktioniert leider nicht.
Sorry- wir haben alle mal geglaubt, die Welt würde nur auf uns warten, dann haben wir aber angefangen zu studieren, sind in die erste WG gezogen und haben heimlich unter der Bettdecke geweint vor Heimweh, und weil man sich so unendlich alleine fühlen kann auf dieser Welt. Gegen diesen Herzschmerz gibt es ein Mittelchen, es nennt sich Alkohol und ruinierte uns die ersten drei bis sechs Semester. Wir trinken heute zwar immer noch gerne, schämen uns aber, das in der Öffentlichkeit zu tun, weil wir in jeder Bar oder Diskothek den Altersdurchschnitt in astronomische Höhen schrauben, zumeist treten ja auch wir Seniorstudenten im Rudel auf.
Leider hat uns der Spiegel vor einigen Wochen mit seiner großangelegten Jammerstudie über unsere Generation auch unserer letzten Illusion beraubt: Den festen Glauben daran, trotz widriger Umstände geradewegs in eine rosarote Zukunft zu marschieren oder sich auf zumindest halbwegs ehrbare Weise irgendwie durchzuwursteln haben neben uns noch ca. 3/4 aller jungen Deutschen. Wir sind nun also auch noch die Generation der Durchwurstler. Das ist ja fast ein Grund zum Trinken, oder? Nur leider verträgt man in unserem Alter ja keinen Alkohol mehr.
Liebe Schüler, die ihr jetzt gerade euer Abi bestanden habt, ich würde für nichts auf der Welt mit euch tauschen wollen, das härteste kommt noch. Es ist schon ein wichtiger Schritt in euerem Leben, und auch ein Grund zum Feiern, klar. Aber älter werden uns sein Leben selbst bestimmen zu können ist halt nicht immer leicht. Liebeskummer ist mit Mitte Zwanzig auch nicht schöner, und ein Studium muss man auch erst mal durchziehen. Gut, das mit den drei bis sechs Semester dem Alkohol widmen könnt ihr euch nicht erlauben, weil euer Studium dann schon vorbei ist, aber man macht ja leider oft gerade das, was man sich nicht erlauben dürfte. Es gibt so viele Leute, die ihr Studium nicht durchziehen. Die wenigsten scheitern an den verpatzten Klausuren und den Scheinen, die sie einfach nicht beibekommen. Die meisten scheitern an dem in vielen Fakultäten schon fast pervers anonymen System. Man geht an die Uni, macht alles für die Uni, und dahinter steht irgendsoein völlig entrückter Professor, der sich seinerseits nur um seine Publikationen schert. Oder man scheitert an den vielen Verlockungen, die das Leben in Freiheit so mit sich bringt. Dann fliegt man durch, süffelt weiter und verliert sich völlig in den unendlichen Weiten des glamurösen Nachtlebens unserer Weltstadt mit Herz. Dann gibt man halt auf, was solls? Wollte man nicht schon immer eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin machen?
Aufgeben ist völlig in Ordnung, wenn es heißt, etwas aufzugeben, wohinter man selber nicht steht. Traurigerweise, erstaunlicherweise sind wir tollen unabhängigen Stadtmenschen mit unserer unkomplizierten Lebensart (= rumsauen und nicht sauber machen, alles tolerieren, weil wir uns mit einer eigenen Meinung zu sehr festlegen würden) doch immer noch abhängig von denen, die wir eigentlich als Erste aus unserer persönlichen Lebensplanung ausgeschlossen haben: Unseren Eltern. Die bekommen zwar nicht mehr mit, wenn wir die Klausur versauen, wenn wir auf die Frage, ob alles gut gelaufen ist im Semester dann aber dreist schwindeln und dabei rote Backen bekommen, ist sowieso wieder alles klar. Überhaupt Abnabelung: Ich kennen nur zwei „Kindertypen“ in meinem Umfeld. Die, die eine echt beschissene Kindheit hatten, und von ihren Eltern höchstens an Weihnachten mal ne Karte bekommen, und die, die Mama bei jedem Schnupfen mit den Worten anrufen: Ich glaube, wir müssen einen Krankenwagen bestellen.
Es gibt für Alles im Leben eine Zeit, und was wichtig ist: Es gibt auch immer eine Zeit, in der etwas zu Ende gehen muss, sonst passt man in sein eigenes Leben nicht mehr hinein. Genießt eure Freiheit, euer Leben und feiert, was ihr bis jetzt erreicht habt, und dann schaut, dass ihr das findet, was euch im Leben glücklich macht. Ein Studium ist kein Lebensplan, sondern eine Übergangsphase. Wer das nicht begreift, bleibt für alle Ewigkeiten in irgendeiner Endlosschleife hängen, und verpasst das, was danach kommt. Es kann nicht sein, dass wir alle niemals erwachsen werden.
// wo gehts hier bitte zum leben???
Heute Morgen, Zellerau: Abischerz an einem bekannten Gymnasium. Für mich eine Zeitreise. Wie lange ist das jetzt her? Fünf Jahre. Verdammt, und ich eiere immer noch in meiner studentischen Mittelmäßigkeit herum- von Erwachsen keine Spur. So ist das im Leben. Man erreicht ein Ziel, erklimmt eine weitere Stufe der persönlichen Evolution, an deren Ende dann […]
UND WAS NUN?