Und los geht’s… und wie es losgeht… Reverend & The Makers machen sich unter dem Banner „A French Kiss In The Chaos“ auf in entspannte Gefilde und klingen jetzt wie ein Mix aus den Arctic Monkeys und Milburn. Kurz gesagt: das neue Album ist ein Knaller, genauso wie das kongeniale Artwork. Da möchte man fast schon eine neue Hippie-Bewegung ausrufen, wenn diese Tracks den Raum mit ihrer flockig lockeren Attitüde durchströmen. „No Wood Just Trees“ ist dann auch noch ein atemloser Ritt über die Tanzböden der Nation. Also Schuhe ausziehen und Hände in die Luft. Fingerschnippen und Grinsen und gegen die böse weite Welt da draußen antreten. Ihr seht schon, ich bin völlig geplättet. Das Teil ist schon jetzt ein heißer Anwärter auf die Jahrescharts. Wird Zeit, dass es jetzt endlich auch hierzulande zum großen Durchbruch für den Reverend reicht. Mit dieser Scheibe sollte das eigentlich kein Problem sein. Blumen ins Haar stecken und ab dafür.
Und muss man zu den Boxhamsters eigentlich noch große Worte verlieren? Eigentlich nicht. Doch Vorsicht. Ihr neues Album „Brut Imperial“ segelte neulich eher überraschend zu mir ins Haus. Machen eben kein großes Aufsehen um sich, die Jungs. Dabei haben sie mal wieder ein tiefsinniges, bisweilen fast schon verträumtes Werk am Start, das man so nie und nimmer und niemals von ihnen erwartet hätte. Der Opener „1982“ ist astreine Popmusik und sorgt mit Sätzen, wie „ich bin zu tot, um zu sterben“ für Gänsehaut. Danach darf allerdings wieder schön lo-fi gepunkt(et) werden und die Punkkeule ausgepackt haben. Das schöne an den Boxhamsters ist ja, dass sie sich eben nie diesen gängigen Schemata des deutschsprachigen Punkrocks unterworfen haben, sondern vielmehr dort ansetzen, wo Sonic Youth und Hüsker Dü einst für allerhand Aufbruchsstimmung sorgten. Wer die Band noch nicht kennt, der sollte das in diesem Zuge ganz schnell nachholen. Auch wenn „Brut Imperial“ den radikalen musikalischen Charme von „Demut und Elite“ etwas vermissen lässt. Immer noch ein klasse Album mit eingebautem Superhit „Mogli“, der sich neben Blumfelds „Verbotenen Früchten“ einreiht mit Sätzen, wie „keine Welle kann den Strand am Ende überleben“.
Die Discokugel darf dann hinterher mit Simian Mobile Disco ausgerollt werden. Nu Rave ist ja immer noch h
eiß am Kochen, zumindest in den Clubs, dennoch ist das Duo um James Ford & Jas Shaw schlau genug, sich nicht nur auf die blanke Elektrobreitseite zu verlassen. In gewisser Weise formvollenden sie mit „Temporary Pleasure“ das, was die Chemical Brothers damals auf „Surrender“ so kongenial verknüpften. Elektronische Melodien und Gesang mit freundlicher Unterstützung von allerlei Prominenz …aus dem Hause Beth Ditto (Gossip), Alexis Taylor (Hot Chip), Gruff Rhys (Super Furry Animals), Jamie Lidell und Telepathe… sorgen für ein abwechslungsreiches Elektroabendteuer über 10 Etappen. Die Stücke sind in diesem Sinne dann meist auch mehr Songs, als Tracks, mehr Pop, als Geballer, mehr Sternschnuppe, als Feuerwerk. Sie nehmen sich Zeit, um sich zu entfalten, ohne dass man zu Hause einschläft. Sie dürften aber auch im Club für reichlich Ekstase auf der Tanzfläche sorgen. Das lange Warten hat sich gelohnt. Ein durchaus imposanter Zweitling einer Crew, von der man auch nach dem großen Hype noch reden wird.
Und jetzt mal im ernst? Die Toten Hosen und Revolverheld gibt’s schon. Warum also gibt’s jetzt auch noch Kim? Das fragt die Band sich wohl auch selbst, deswegen haben sie auch so ein komisches Fragezeichen hinter ihren Bandnamen gekritzelt. Dazu noch ein Totenkopf aufs Cover und dann Absprung in die breit geöffneten Arme der potenziellen Zielgruppe. Ich kann noch nicht mal sagen, was mich an„Allez! Allez! Allez!“ am meistens nervt. Die Namen der Mitglieder (Trip Tom, Benny von Schaumschlag und Bugx!) oder die Texte im Grenzgebiet zwischen Tokio Hotel und Silbermond? Von dem Schock muss ich mich jetzt erst mal erholen… und erspare euch bei dieser Gelegenheit mal die haarsträubenden Textzitate. Widmen wir uns doch lieber den schönen Dingen des Lebens…
Zuckerwatte gibt’s ja zu Genüge im Popgeschäft. Karpatenhund zum Beispiel, die munden ga
nz vorzüglich. Der Erstling war mir noch eine Spur zu flach, aber das ganze Drumherum war ziemlich liebevoll in Szene gesetzt. Jetzt reicht die Band mit ihrem zweiten Album auch textlich so langsam an das Niveau heran, das die Mitstreiter von Sängerin Claire Oelkers bei ihrer Hauptband Locas In Love von vorne herein vorausgesetzt hatten. Dazu traut sich die Band inzwischen auch mal das übliche Korsett eines Popsongs zu sprengen. Im Jahre 2009 darf auch mal improvisiert werden bei Karpatenhund. Was natürlich nicht heißt, dass auf „Der Name dieser Band ist Karpatenhund“ kein Tanzflächenhit mehr drauf ist. „Im Notfall werde ich für immer warten“ ist zum Beispiel das perfekte Futter für alle, die Silbermond eigentlich geil finden, dazu aber gerne auch etwas Tiefsinn in den Texten vor den Latz geknallt bekommen. „Boden“ klingt derweil wie Phoenix auf krummen Beat und auch sonst verstecken sich zahlreiche Anspielungen auf große Popmomente in den Songs. Man merkt Karpatenhund an, dass sie sich mit diesem Album von der chartkompatiblen Produktion des Vorgängers emanzipieren möchten. Stellt sich nur die Frage, ob diejenigen, die bereits das Weite gesucht haben, bereit sind, der Band noch eine zweite Chance zu geben. Verdient hätte sie es.
Ramona Falls strampeln derweil mit ihrem neuen Album „Intuit“ durch verspielte Indie-Landschaften und machen gar keine so schlechte Figur dabei. Sie bilden im Grunde genommen die perfekte Schnittmenge aus Arcade Fire und den Maccabees. Ihre geklimperten Songs laufen am Anfang noch an einem vorbei, entpuppen sich aber mit nach einigen Durchgängen als nachhaltige Hits. Vor allem „I Say Fever“ ist ein imposantes Beispiel dafür, wie man heutzutage mit links einen
verrauchten Indie-Club einlullt. Das fesche Pianogeklimper gibt den Rhythmus vor und beschert uns elf beschwingte Tracks, die sogar die Hauptband von Mastermind Brent Knopf als aussehen lassen. Der Experimentierkünstler ist hauptberuflich bei Menomena tätig, die auf ihrem letzten Album allerdings mehr durch ihr atemberaubendes Artwork, als durch gute Musik punkteten. Umso besser, dass sich Knopf auf „Intuit“ auf die Kraft des Pop besinnt und sich in gewisser Weise von jeglicher allzu durchdachten Ambition frei schaufelt. Nicht, dass „Intuit“ nicht mit Liebe zum Detaileingespielt worden wäre, aber diesmal kriegt er immer wieder die Kurve zurück zum Kern seiner Songs. Aus diesem Kern sprießen Wurzeln und Äste, die elektronische und akustische Sounds in imposanter Weise miteinander verknüpfen. „Intuit“ könnte sich damit zu einem echten Geheimtipp für die Jahrescharts entpuppen. Vorausgesetzt natürlich, das Album geht nicht im hiesigen Veröffentlichungswust unter.
Und wenn es noch eine letzte Bestätigung brauchte, dass die Fantas eben schon immer ein astreiner Pop-Act waren, hier isser. Er hört auf den schicken Namen „A Tribute To Die Fantastischen Vier“. Und nun ja… dann protzen Revolverheld auf einmal mit einem Breitwand-„Was geht“ ums Eck und In Extremo vollenden dieses Desaster von einem Tribute-Werk mit einer haarsträubenden Version von „Yeah Yeah Yeah“. Zwischendurch gibt’s allerdings auch einige Lichtblicke. Zum Beispiel die neue Version des vielleicht schönsten Fanta 4 Tracks ever – dem „Picknicker“ – von den Massiven Tönen. Auch sehr gelungen: die Version von „Wie die anderen“ aus dem Hause Gods Of Blitz, die hierzulande leider immer noch völlig unterschätzt werden. Um das Tripple an guten Songs dann perfekt zu machen, muss am Ende Clueso noch „Hoffnung“ umfunktionieren. Nach insgesamt 36 Tracks von so unsäglichen Acts wie „Oomph!“, „Pur“, „Sasha“ und „Mario Barth“ hat man Selbige allerdings zu jenem Zeitpunkt schon längst aufgegeben, hier doch noch ein paar schicke Varianten der ollen Klassiker aufs Tablett gehievt zu bekommen. In diesem Fall am besten die drei genannten Tracks einzeln bestellen und ansonsten zu den Originalen greifen. Das waren ja wirklich mal schöne Songs, auch wenn man es vielen Tracks nach dieser Runderneuerung hier leider nicht mehr anmerkt.
Einen „Stimmungs-Verstärker“ der besonderen Sorte bekommt man hinterher dann von Lenka aufs Tablett serviert. Die geschmeidige Exotin aus den Wäldern um Woodstock balanciert auf ihrem gleichnamigen Album auf dem schmalen Drahtseil zwischen Kate Nash und radiotauglichem Wohlfühl-Pop. Ein bisschen mehr Mut zum Risiko hätte man sich dabei schon gewünscht, auch wenn der Opener „The Show“ und die potenzielle Hitschleuder „Knock Knock“ der perfekte Soundtrack zum Verdeck aufreißen sind. Die Sonne lockt sie mit diesen Stücken mehr als nur einmal aus der Reserve. Leider wirkt die Künstlerin in manchen Momenten aber trotzdem wie ein allzu braves, manchmal gefühlsduseliges Abziehbild derer, die gerade den Bubblegum-Pop wieder auf die Bildfläche zurück schubsen. Dennoch gibt es auf diesem Album immer wieder den einen oder anderen jazzig angehauchten Klavier-Moment, der aufhorchen lässt. Reicht nur leider nicht, um sich über den Soundtrack zur nächsten TV-Serie hinaus auch nachhaltig im Gehirn des Hörers zu verfangen. Als Häppchen zwischendurch sei Lenka trotzdem allen ans Herz gelegt, die gern Seifenblasen zum Sound aus dem Radiogerät in die Atmosphäre pusten. Und damit genug geträumt für heute. Genießt den Sommer. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?