Herzlich willkommen meine Damen und Herren, ich bitte um ihre Aufmerksamkeit für eine lebende Legende: Ian Brown von den Stone Roses hat mal wieder ein neues Album am Start und bevor jetzt wieder die kritischen Geister anmerken, dass der doch eigentlich bis heute von seiner Vergangenheit zehrt (manche meinen sogar, er wäre ein nicht allzu famoser Songschreiber), spätestens mit „My Way“ sollten sie sich eines Besseren belehren lassen. Das Album schreitet mit dem Opener „Stellify“ so himmelhoch jauchzend in Richtung Hörerherzen, dass man meint, der Musiker wolle The Verves „Bitter Sweet Symphony“ vom Thron der Popmusik stoßen. Der Track läutet einen Reigen an Melodien ein, die man in großen Stadien aus 1000en Kehlen entgegen geschleudert bekommen möchte. Noch nie war Ian Brown so fokussiert auf den großen Moment. Die elektronischen Spielereien der Frühphase sind fast vollkommen aus der Musik verschwunden. Und während manche beim Vorgänger noch schimpften, da klänge doch jeder Song gleich, wird hier eine Fanfare nach der nächsten raus gehauen. Lauter mitgrölfähige Anthems für die nächste Brit-Pop-Generation. Es ist unglaublich, dass ausgerechnet ein Wegbereiter dieses Genres ein solches Manifest in stockschwarze Vinylrillen ritzt. Ian Brown hat mit „My Way“ ein famoses Spätwerk am Start. Kasabian und Oasis-Fans: wenn ihr wissen möchtet, von wem eure großen Helden ihren Sound geklaut haben, hört euch dieses Album an.
Und hinterher dann Blitzlichtgewitter und ab dafür. So beginnt die neue Scheibe von Sometree. „Yonder“ ist ein Album, dass sich allen Konventionen verschließt. Ein Koloss von einem Werk. Voll gepackt mit acht Songs, die mindestens doppelt so oft die Richtung wechseln und sich bisweilen erst beim zehnten Durchlauf erschließen. Dieses Album klingt, als wollten Kyuss einen auf Radiohead machen. Die Songs werden getragen von sanften Pianoklängen, die so zauberhaft sind, dass man Weihnachten vorziehen möchte, um die Engel zu dieser Musik choreographieren zu sehen. An diesem Album muss man sich erst mal die Zähne ausbeißen, bevor es sich in einen mundgerechten Happen verwandelt. „Yonder“ ist Kopfkino und Fußfick in einem. Zu dieser Musik kann man nicht tanzen. Da schwelgt man im siebten Himmel. Mehr gibt’s zu dieser Platte zu sagen, den Rest übernimmt die Musik.
Anschließend wird die Bühne mit grünem Licht geflutet und nein, das ist nicht Marteria, der da über die Tanzfläche huscht. Das sind die Jungs RTR und die machen „tecrap“ a la Deichkind. Klingt irgendwie wie Superhshirt nur eine Portion technoider. Ihre mit sechs Songs bestückte EP strotzt nur so vor Energie und gerät aufgrund der knappen Laufzeit äußerst kurzweilig. Das ist genau das richtige Futter, um die tanzende Meute bei der Stange zu halten. Hinsichtlich des Sounds möchte ich trotzdem noch auf den beiliegenden Packzettel zum Album verweisen. Was steht da? „Wäre unsere Musik ein Gericht, denn(!) würde ein 40 cm großer Tischgorilla serviert, der erst die Teller auf seinem Kopf zerschlägt, dann wie wild auf der Brust herumtrommelt und zum Schluss alles Essbare auf die völlig perplex da sitzende Kleinfamilie werfen!“. What the Wahnsinn, Boys. Da kann der Foxers Peter einpacken.
Für die tanzbare Rundumbeschallung sorgt allerweil die allseits beliebte „The Annual“-Reihe aus dem Hause „Ministry Of Sound“. Da ist alles vertreten, was Rang und Namen hat. Und das zu Recht oder zu Unrecht: vom letzten Furz, den die Großraumdisco in diesem Jahr in die tobende Meute feuerte bis hin zu elektronischen Filet-Stückchen aus dem Hause Moby, Kid Cudi Vs Crookers und Calvin Harris. Man braucht sich keine großen Illusionen zu machen, dass hier irgendwie darauf geachtet wurde, die Tracks farblich und musikalisch aufeinander abzustimmen. Nein, „The Annual 2010“ reiht alles aneinander, was in diesem Jahr für Furore auf den Tanzflächen sorgte. Die Scheibe ist zwar als Mixtape generiert, aber diese Herangehensweise wirkt nur vorgeschoben, um irgendeinen roten Faden reinzubekommen. Trotzdem gilt auch hier: jeder, der sich einmal im Jahr einen Überblick verschaffen möchte, was denn so Peinliches, Famoses und unter Umständen auch Nachhaltiges in den Clubs an die verschwitze Meute gebracht wurde, der sollte sich dieses Tripple nicht entgehen lassen. Wobei ich ehrlich gesagt sagen muss: mir hätten die besten Momente der drei Scheiben auf einer Cd vollends genügt. Wobei Geschmack ja immer eine Sache ist. Und Party machen eine andere.
SomethingALaMode alias Salm verorten sich derweil in synthetischen Klanggefilden, die anfangs etwas eintönig anmuten, dann aber mit jedem Durchlauf ganz schön pushen. Schweißtreibend schaukelt sich der Opener mit Unterstützung von niemand Geringerem als Karl Lagerfeld hoch zu einem atemlosen Elektro-Monster. Auch hinterher scheinen bei dem französischen Duo die Jungs von Daft Punk genauso Eindruck geschunden zu haben, wie die pulsierenden Tracks von Tiefschwarz oder die Liebesdiener von Air. Jedenfalls kommt man nicht umhin sich zu ihrem gleichnamigen Album die Füße wund zu tanzen, bis die Sohlen durch geramscht sind. Zwischendurch darf dann natürlich auch mal geträumt werden. Allerdings nicht lange, denn dem Hörer soll ja nicht langweilig werden. Alles in allem erfinden SomethingALaMode die elektronische Musik mit diesem Album ganz sicher nicht neu. So einen bunten Mix aus Chill Out, Soul- und Elektroklängen muss man aber trotzdem erst mal hinkriegen.
Birdy Nam Nam mühen sich derweil daran ab, Rave und Elektro zusammenzuführen und damit ganze Konzerthallen zum Kochen zu bringen. Schade nur, dass die Chemical Brothers schon vor mehreren Jahren eine ähnliche Idee hatten. Dementsprechend kicken die Tracks zwar ganz schön rein und sorgen für reichlich Schweiß-Flecken hinterm Dickicht des Clubnebels, wirkliche A-ha-Momente hat „Manual For Succesful Rioting“ aber nicht am Start. Statt sich an innovativen Ideen abzuarbeiten, wird lieber das Erbe von Underworld und Daft Punk verwaltet. Wem´s gefällt: Zugreifen.
Alle, die bei so viel Elektrogeballer immer noch nicht im Kreis hopsen, checken hinterher dann mal die neue Compilation aus dem Hause Kitsuné. Auf „Kitsuné Maison Compilation 8“ wird schon mit dem Opener von French Horn Rebellion dein Betriebssystem nach oben gefahren. Nach wenigen Sekunden singst du den betörenden Refrain von „Up All Night“ laut mit und schwingst die Hüften zu den romantisch angehauchten Elektro-Sprenklern im Hintergrund. Ansonsten ist mal wieder das Who Is Who der Bands am Start, die demnächst zum Who Is Who der üblichen Musikblogs avancieren dürften. Am schönsten ins Ohr gehen dabei die neuen Tracks von The Drums, Midnight Juggernauts und Delphic. Two Door Cinema Club machen im „Moulinex Remix“ Daft Punk Konkurrenz und Beni spielt im „Harvard Bass Mix“ Ping Pong mit den Fußsohlen des Hörers. Ein echter Höhepunkt folgt dann noch ganz am Ende. My Tiger My Timing gehen mit „I Am The Sound“ doch glatt als weiblicher Gegenentwurf zu Phoenix durch, allerdings haben sie die größere Elektro-Wumme am Hüftgurt. Kitsuné machen auf Mixtape Nummer 8 mal wieder alles richtig. Das Label behält seine Finger am Puls der Zeit. Zugreifen und abgehen.
Zum Abschluss genehmigen wir uns dann noch mal eine tanztechnische Auszeit, ballern uns aufs Sofa und versetzen uns ins „Coma“. So heißt nämlich der neue Roman des wunderbaren John Niven, der im letzten Jahr mit „Kill Your Friends“ für ein fieses Grinsen bei allen Lesern sorgte. In seinem neuen Roman dreht sich alles um ein Brüderpaar, dass das Leben auf seine Art „g“enießt. Der eine ist „G“olfer und der andere „G“angster. Beide sind schrecklich untalentiert. Beide stecken ziemlich in der Scheiße. Könnte es eine bessere Ausgangsposition für einen verstrahlten Herbstroman geben?! Eben… dazu ist dieser dreckige Charme, der schon den Vorgänger kennzeichnete, auch in Nivens zweiten Roman wieder spürbar. Schlagfertig und bitter böse spinnt er ein Netz aus famosen Dialogen, die immer wieder angereichert durch fiese gedankliche Konkretisierungen ad absurdum geführt werden. Zudem kommt es zu herrlich absurden Szenen, als der verkifft-verplante Lee seinen Stoff im Wald verschachert und das Zeug anschließend wieder finden möchte: Textzeile gefällig? Bitteschön: „Scheiß Bäume, dachte er nur, zündete sich eine Zigarette an und blickte sich um. Der beschissene Wald war voll von den Dingern. Und diese Lichtungen sahen alle gleich aus. Warum hat er nicht daran gedacht, den Baum mit Sprühfarbe oder so was zu kennzeichnen. Weil du breit wie ein Scheunentor warst, sagte ihm eine leise Stimme.“ Wem das gefällt, der sollte einfach zuschlagen. Die vorweihnachtliche Pseudoromantik wird mit diesem Werk jedenfalls grandios zurückgeschlagen. Und hinterher gleich noch „Kill Your Friends“ nachkaufen, falls nicht eh schon geschehen. John Niven ist der dreckige Held einer Generation, welche sich zu Filmen wie „Hostel“ und „Saw“ Popcorn zwischen die Beißer schiebt. Dieses Buch muss gefeiert werden. Also lasst es krachen. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?