Dieser Artikel ist all jenen gewidmet, die vom dauernden Kampf gegen die elterliche Abhängigkeit desertieren, räudig von der Seite der Gleichaltrigen weichen und zum warmen Ofen des Erzeugers zurückkriechen. Die das Studium als eine fernab der Heimat gelegene weiterführende Schule begreifen. Und die sich Freitag für Freitag und Ferienbeginn für Ferienbeginn vom Rockschoß-Gummiband ihrer Mütter zurück nach Hause ins gemütliche Hintertupfingen katapultieren lassen: Die Heimfahrer.
Im ersten Semester ist der Heimfahrer nur ein schlechter Freund. Unter der Woche bittet er dich um deine Zeit, doch du selbst brauchst ihn am Wochenende gar nicht erst anrufen: „Ich bin gerade daheim im H.“ Weil du dich trotzdem auf ihn eingelassen hast, ist dir der Weg zu interessanteren Leuten verbaut, denn die können mit deiner Montagbisdonnerstag-Klette überhaupt nichts anfangen. Aus Nettigkeit wirst du ihn aber freitags, wenn er schon auf der Autobahn ist, auch weiterhin in die Anwesenheitsliste deines Seminars eintragen und ihm ein zweites Exemplar des 5-cm-dicken-Skriptstapels mitnehmen. Im zweiten Semester leiht er sich Geld von dir und verspricht die Rückzahlung zur nächsten Woche. Ihm kommt aber der TÜV in die Quere, denn der will ihn mit seinen abgefahrenen Reifen nicht mehr auf die Straße lassen. So verschleppt er die Rückzahlung Woche für Woche, und erst, als auch das letzte Ticket deines Lieblingsfestivals vergriffen ist, bekommst du dein Geld mit verlegenem Lächeln zurück. Im dritten Semester scheinen in seiner Heimat auch die letzten Spätzünder das Abi geschafft zu haben, und plötzlich gibt es zuhause nur noch halb so viele Freunde, mit denen der Heimfahrer seine Wochenenden verbringen könnte. So wagt er nach fast anderthalb Jahren erstmals die Frage, wo man in Würzburg abends eigentlich so hingehen könne. Wieder also musst du ihn mitnehmen, und dir bleibt nichts als die Hoffnung, dass die Langweiligkeit seiner Mittelmäßigkeit sich nicht in Farblosigkeit auf deinem schillernden Selbst ablagert. Im vierten Semester verbringt er nicht einmal jedes zweite Wochenende mehr zuhause. Es ist Sommer und man schwitzt, und man braucht alle Naselang ein neues Hemd. Da fällt auch unserem Heimfahrer auf, dass die einem alle Wäsche liebevoll abnehmende, sie waschende und bügelnde Mama zur Erledigung dieser hässlichen Nebensächlichkeit nicht nach Würzburg kommen wird. Und er fragt dich, ob du mit ihm in den Waschsalon gehen könntest, beim ersten Mal nur, um ihm zu zeigen, wie man denn das mit dem Waschen alles so macht. Im fünften Semester, er lässt sich inzwischen kaum noch zuhause blicken, trennt sich nach langer und in jeder Hinsicht unbefriedigender Fernbeziehung seine Freundin Dorith, die mit dem Bäckerei-Fachverkäufer Knut durchgebrannt ist. Er hängt in den Seilen und bedarf deiner Fürsorge, denn Trauer ist schlimm, und er sei ja so froh, wenigstens EINEN Freund hier zu haben, alle anderen seien ja nur Arschlöcher … Im sechsten Semester wird das inkarnierte Heimweh einen neuen Bock schießen, soviel ist sicher. Ich werde warten und alles dokumentieren. Und weiter nach einem Gegenmittel suchen.
// von dirk böhler
UND WAS NUN?