Walter Schreifels hat sich nach all den Jahren endlich entschlossen, sein erstes Soloalbum aufzunehmen. Die Ex-Quicksand, Ex-Gorilla Biscuits, Ex-Youth Of Today, Ex-Rival Schools, Ex-Walking Concert-Musiker, kurz gesagt…: die lebende Legende aus der Hardcore und Emo-Szene gibt sich auf „An Open Letter To The Scene“ dermaßen dem Pop hin, dass es eine wahre Freude ist, ihm beim Schluchzen zuzuhören. Klang das Brit-Pop-Projekt Walking Concert über die volle Länge noch etwas sperrig, finden sich auch dem neuen Album nun zehn (auf Vinyl gar elf!) Songs, die einen dazu bringen, immer wieder die „Repeat“-Funktion der Anlage zu betätigen. Die Scheibe ist wie geschaffen, um einer schreienden Meute mit geballter Faust und akustischer Gitarre in bester Frank Turner-Manier vor den Latz geknallt zu werden. „Spending Your Life Dreaming Up Fantasies, Come Out Of The Dream And Face Reality” gibt Schreifels in “Society Suckers” die Richtung vor. Deshalb alle aufwachen jetzt. Verdammt noch mal. Lasst uns die Welt verändern!
Juta nennt sich derweil ein weiteres Signing aus dem Hause Arctic Rodeo und das Label beweißt mal wieder ein gutes Händchen für hierzulande noch weitestgehend unbekannten Indie-Pop mit Herz-Erwärm-Atmosphäre. „Running Through Hoops“ kommt dabei ganz ohne Emo-Einschlag aus, die Scheibe suhlt sich im wohltuenden Pop. Die elf Songs strahlen einen intimen Charme aus, der wohl nur entstehen kann, wenn man sein Album in trauter Zweisamkeit in einem Penthouse-Apartment aus dem Ärmel schüttelt. Genau das haben Barbara Adly und Pierluigi Aielli getan. Die beiden siedelten kurzerhand von Italien nach Kanada um und schlossen die kalte Welt da draußen aus ihrem Leben aus, um zusammen die wärmenden Klänge dieser Scheibe zu generieren. Am Ende landen sie soundtechnisch irgendwo zwischen Karo und Cat Power, Kate Nash und Regina Spektor. Hoffen wir, dass im Zuge der Veröffentlichung hierzulande endlich mehr Publikum zu ihnen in die Konzertsäle strömt. Diese schmeichelnden Ohrwürmer hätten es durchaus verdient, nicht länger als Geheimtipp zu gelten.
Ein wirklich bezauberndes Album haben auch die beiden Schwestern Klara und Johanna Söderberg unter dem Namen First Aid Kit aufgenommen. Die Platte klingt ein wenig, als würden The Knife plötzlich den Folk für sich entdecken. Musikalisch schlagen sie mit „The Big Black & The Blue“ direkt in die Kerbe, welche die Fleet Foxes ins Holz geritzt haben. Diese Songs hier möchte man mit Banjo bewaffnet am Lagerfeuer nachspielen und damit die Tiere im Wald in einen wohl verdienten Schlaf säuseln. Wer mal wieder von einer besseren Welt träumen möchte, sollte sich die Scheibe unbedingt auf den Nachttisch legen, eine Kerze anzünden und vom verregneten Fenster aus, in die dunkle Nacht hinaus starren.
Gentleman war derweil noch nie so mein Fall. Ich hab mich in der Vergangenheit immer mehr über die neuen Releases von Patrice gefreut, der klang auf Albumlänge irgendwie bodenständiger, hat sich mehr dem akustischen Lagerfeuer-Song gewidmet. Dennoch kann ich an dem neuen Album „Diversity“ nichts wirklich Schlimmes finden. Gerade die reduziert instrumentierten Songs pappen einem in kühlen Frühlingstagen ein Grinse-Gesicht auf die Stirn. Auf allzu gewagte Ausflüge in poppige Gefilde wird über weite Strecken verzichtet. Dieser Sound verlangt ja auch nicht unbedingt nach einer großen Produktion. Alles in allem beeindruckt auch die Masse des Outputs. Auf der normalen Edition sind satte 19 Tracks drauf, im Deluxe-Format gibt’s sogar 28. Da kann man nicht klagen. Und Gentleman und ich werden mit diesem Album vielleicht doch noch Freunde. Alle Fans des Musikers sollten jedenfalls blind zugreifen. Es lohnt sich.
The Besnard Lakes arbeiten derweil daran, die nächsten Pink Floyd zu werden. „The Besnard Lakes Are The Roaring Night“ besticht durch allerhand Experimentierfreude, strahlt aber bisweilen auch eine gewisse Affinität zum Popsong aus, wenn die verhallten Melodien sich nach vorne schieben. Alles auf dem Werk ist im Fluss. Selbst die eingestreuten Gitarrensolos fügen sich stimmungsvoll ins Gesamtbild ein. Mit zunehmender Lauflänge schließt man ganz zwangsläufig die Augen und driftet ab in ferne Welten. Wer auf pompösen Prog mit einer süßen Portion Schlagsahne-Pop steht, der sollte unbedingt mal reinhören.
Explosiv geht es derweil bei den Jungs von Eternal Tango zu. Nachdem es im Anschluss an die Veröffentlichung ihres Debütalbums anno 2007 ziemlich ruhig um die Band wurde, haben Eternal Tango nun alles auf eine Karte gesetzt und ein neues Werk eingespielt, das sich zu hören lohnt. Voraus gesetzt natürlich man hat ein gewisses Faible für Alternative-Rock der tanzbaren Sorte. Die Stücke sind gesegnet mit Hooklines, die auch in jeder Emo-Disco für zersauste Gel-Frisuren sorgen sollten, wirken aber niemals so austauschbar, wie das bisweilen immer gleichförmigere Gedudel so mancher anderen Trendformation. Eternal Tango wandeln auf ihrem neuen Album irgendwo zwischen den Polen Donots und Fire In The Attic. Gerade deshalb sollten sie auch live für wahre Euphorieschübe bei den Gästen sorgen.
Die Lombego Surfers sorgen derweil mit ihrer schweißtreibenden Mixtur aus Surf-Pop-Anleihen und Rotzpunk-Fahne für Mitgrölmomente, die allen Fans von Social Distortion bis zu den Travoltas ein fettes Grinsen abringen dürften. „Still Got The Night“ scheint wie geschaffen, um in schummrigen Eckkneipen den passenden Soundtrack zur nächsten Kneipenschlägerei zu liefern. Irgendwann tanzt der ganze Salon dann allerdings freudetrunken auf dem Tresen, weil sich die aufgeputschte Masse diesen rotzigen Melodien der Marke „High & Dry“ und den dahin geschmetterten Gitarrensoli einfach nicht entziehen kann. Alles in allem ein gelungenes Garagenrock-Brett des arschtretenden Hafenchors aus Basels und Boston.
Dick & Doof tingeln derweil „In Oxford“ umher und fabrizieren auf ihrer neuen DVD mal wieder allerhand Kalauer, die sich bisweilen zwar etwas abgenutzt haben, die aber schon allein aus Nostalgie-Gründen für ein Schmunzeln auf den Lippen des Zuschauers sorgen. Diesmal dreht sich alles um einen vereitelten Bankraub, der das Duo in die Lage versetzt in Oxford zu studieren. Alles in allem im direkten Vergleich mit der deutschsprachigen DVD der Jungs ist „In Oxford“ sicher die lustigere Alternative. Deshalb zugreifen und sich 61 Minuten Film plus 32 Minuten Bonus-Zeugs in Form von einem Kurzfilm („From Soup To Nuts“) und einem Einführungsfilm von Theo Lingen in deutschsprachiger Fassung reinziehen. Womit wir auch schon wieder am Ende wären. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?