Wer Gisbert zu Knyphausen noch nicht kennt, der sollte sich sputen, um ihn noch mal im intimeren Rahmen erleben zu dürfen. Seine spärlich instrumentierten Songs sind zwar nicht unbedingt auf die großen Hallen zugeschnitten, werden aber zwangsläufig in den nächsten Jahren dort gesungen werden, weil ihm textlich derzeit kaum einer etwas vormacht. Der oft bemühte Vergleich zu Reinhard Mey ist sicher nahe liegend, aber die unwirsche Art des Künstlers, der einen akustischen Track, wie „Hey“ nach zwei Minuten in einen haarsträubenden Trommelwirbel flutschen lässt, erinnert eher an das aktuelle Album von Kettcar, die sich ja auch ordentlich verroht haben in Sachen Sound. Natürlich ist „Hurra! Hurra! So nicht“ trotz allem ein Album zum Liebhaben. Insgesamt hätte vielleicht hin und wieder die Unterstützung einer Band nicht geschadet, vielleicht wollte da aber auch jemand ganz bewusst seine Message in den Vordergrund stellen. Seine Songs nämlich sind wie geschaffen, um am Lagerfeuer für lange Gesichter zu sorgen. Nachdenklich geht’s da zu. Dieses Album ist ein Stinkefinger in Richtung der Konsens-Pop-Industrie. Denn „in diesem Kopf ist kein Platz mehr, für all euren Müll“.
Womit wir uns mal wieder der schreibenden Zunft zuwenden. Douglas Coupland hat endlich eine Fortsetzung zu seinem besten Buch geschrieben. „Generation A“ ist am Start und der erste Satz des Buches gibt die Richtung vor: „Wie können wir Leben und uns nicht über die Geschichten wundern, aus denen wir uns diese unsere Welt stricken?“ Ja, wie eigentlich? Eine gute Frage, die hier gestellt wird und fortan mit spannenden Storys aus dem Leben untermauert wird. Was passiert, wenn wir Menschen verlernen, wie es ist, miteinander in Kontakt zu treten. Was, wenn wir uns in der Einsamkeit des Digitalen eine neue Welt errichten und uns damit all unserer Bedürfnisse nach Zwischenmenschlichkeit entledigen. Was, wenn man eben jene Menschen auf einer einsamen Insel versammelt und sie gegenseitig ihre Geschichten erzählen lässt? Eine spannende Frage, deren Klärung sich dieser Roman annimmt, der nur so strotzt vor Lebensweisheiten und Provokationen, die uns unser eigenes Dasein, vor allem aber unseren Lebensstil hinterfragen lassen. Ein intelligenter Roman, der sich wie in einem Rausch durchschmökern lässt.
Und wie bitte, du kennst den Headman noch nicht? Einen der renommiertesten Plattendreher der Neuzeit, der sich in einer gerechten Welt auf den Thron neben Fatboy Slim platzieren dürfte. Die Sache mit dem durchschlagenden Erfolg allerdings lässt hierzulande weiter auf sich warten, dabei hat sein neues Album „1923“ wieder alles, wonach eine gute Elektro-Party lechzt. Punk-Anleihen, Wave-Smasher und Elektro-Gewalze. Sogar Yello-Sänger Dieter Meier gibt sich ein Stelldichein und klingt so taufrischer, wie lange nicht mehr. Bleibt also zu hoffen, dass auch hierzulande endlich alle Chemical Brothers bis Daft Punk-Fans auf diesen Kerl hier aufmerksam werden. Verdient hätte er es, und der Backkatalog wartet auch schon lange auf eine längst verdiente Wiederveröffentlichung.
Im Kulturfernsehen, genauer gesagt auf „arte“ begibt man sich seit geraumer Zeit in den Sommermonaten auf musikalische Zeitreise und weil diesmal die 60er dran sind, hat man unter dem Banner „Summer Of The 60´s“ eine illustre 3-Cd-Box zusammengestellt, die alles versammelt, was damals für Furore in den einschlägigen Tanzlokalen sorgte. So kehren wir mit den Animals noch mal in das „House Of The Rising Sun“ ein, oder schwelgen in kalifornischen Träumereien mit den Mamas und den Papas. Für weitere Knalleffekte sorgt die Wallace Collection, deren „Daydream“ man gefühlte Jahrzehnte nicht mehr gehört hat, das aber immer noch einen psychedelischen Charme versprüht. Ansonsten reisen wir mit Scott MacKenzie nach „San Francisco“ und suhlen uns mit den Beach Boys in „Good Vibrations“. Reißt euch die Klamotten vom Leib und bedeckt eure Häupter mit Blümchen. Die große Love, Peace & Harmony-Party kann beginnen.
Der Jazz-Popper KAD lässt es derweil sehr gemächlich angehen. Sein neues Album „Lettre A Marianne“ ist wie geschaffen, um eine charmante Lounge-Atmosphäre in der eigenen Wohnung zu generieren. Zu dieser Musik möchte man über Blumewiesen flitzen und auf Parkbänken tanzen. Pusteblumen in die Luft blasen und mit der Liebsten Purzelbäume schlagen. Der Sound von KAD fängt einen auf mit all seinen Melodien man kommt nicht umhin, schon nach wenigen Minuten mit den Fingerspitzen Pantomime im Antlitz der Sommersonne zu spielen, wenn himmelhochjauchzende Chansons und Eckkneipen-Gassenhauer, wie der gleichnamige Titelsong einen mit ihrer romantischen Attitüde einlullen oder schmissige Straßenmusikanten-Melodien einem ein süßes Lächeln zuwerfen. Genau so klingt interessante Liedermacher-Mucke. Ein verspieltes, unglaublich detail-verliebtes Werk.
Booka Shade haben auf ihrem neuen Album inzwischen vollends den Sprung zum Pop-Act vollzogen ohne dabei ihre technoiden Wurzeln außer Acht zu lassen. Wer sich im Grenzgebiet von Hot Chips aktuellem Werk und Massive Attacks Gesamtkollektion pudelwohl fühlt, der sollte sich „More!“ unbedingt ins Regal stellen. Die Scheibe ist zwar schon ein halbes Jahr lang draußen, trotzdem offenbart sie einem mit jedem weiteren Durchlauf neue Facetten ihres lebendigen Klangkosmos. Sogar Michi Beck konnten die Jungs von sich überzeugen und ihn zu einem illustren Stelldichein im Studio bewegen („Das letzte Mal“), das diesem elektronischen Manifest die Krone aufsetzt und sich noch dazu in verändereter Form auch auf der aktuellen Fanta 4-Scheibe wieder findet. Alles in allem lässt dieses Elektro-Sammelsurium keine Wünsche offen und die beiden Gastauftritte von Chelonis R. Jones und Yello sorgen für die nötige Abwechslung. Am Ende ist „More!“ sicher nicht nur für Elektro-Fans interessant.
Hinterher etwas Sommersprossen-Pop gefällig? Dann hört doch mal in das neue Album von This Is The Arrival rein. Die Münchner Jungs könnten nach einer Geschlechtsumwandlung die deutschen Seelenschwestern von The Click Five sein. Ihr gleichnamiges Album strotzt nur so vor schmissigen Emo-Pop-Hymnen im Grenzgebiet von Fall Out Boy und Two Door Cinema Club. Schon nach wenigen Sekunden ist man unwiderruflich am mitwippen. Die Fingerspitzen beginnen Tango zu tanzen. Alles ist am Feiern und schöne Erinnerungen an goldene Pirate-Radio-Tage werden wach.
Auf dem Soundtrack zum Streifen „Yo, También (Me Too)“ finden sich derweil zahllose Pop-Perlen und Instrumental-Eskapaden von den Indie-Haudegen The School bis Guille Milkyway, der uns mit seinen zahllosen Piano-Eskapaden reichlich Honig ums Maul schmiert. Lässt sich gut durchhören, diese Mixtur aus klassischen Stelldicheins, spanischen Engtanz-Hymnen und zuckersüßem Pop. Wer sich mal wieder eine Auszeit gönnen möchte, sollte sich von diesen gelungenen Filmklängen auf Entdeckungsreise schicken lassen. Also schweift doch mal wieder durch eure Tagträume. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?