1000 Robota waren auf ihrem Erstling noch ziemlich ungestüm unterwegs und erinnerten bisweilen an eine rockige Variante der Mediengruppe Telekommander. Nun haben sie das Tempo etwas runtergeschraubt und schicken ein „Ufo“ vorbei, um den Hörer in experimentelle Gefilde zu geleiten. Wer braucht heutzutage schon noch Refrains? 1000 Robota spurten von Gipfel zu Höhepunkt und dann ab Richtung Wolkenhimmel rauf zum Mann im Mond. „Weinen tun wir nicht und lachen tun wir nicht“. „Wir reißen uns zusammen und stehen mittendrin“. Ist das jetzt wirklich ihr ernst? Mit“nicht“en mit Betonung auf: „nicht“! „Du kämpfst, du kämpfst, du kämpfst. Ich sag dir eins, du spinnst“. So klingt die frische Version einer Kapitulation, werte Kollegen von Tocotronic. Alles in allem ein gefundenes Fressen, für alle, denen die Goldenen Zitronen schon immer imponiert haben.
Chilly Gonzales ist ja berühmt-berüchtigt für seine Live-Performances. Wenn er sich nicht gerade ein Piano-Battle mit Helge Schneider liefert, platziert er sich mit zwei Schlagzeugern auf der Bühne und haut schon mal mit seinen Zehenspitzen in die Tasten seines Klaviers. Seine Studioalben haben in diesem Zusammenhang einen eher schweren Stand. Fallen sie doch immer ein bisschen zurück im direkten Vergleich. „Ivory Tower“ ist in diesem Zusammenhang eine gern gesehen Ausnahme. Wie sich hier simple Piano-Passagen im Kopf des Hörers einnisten und mit jedem weiteren Durchlauf neue Details von sich Preis geben, ist spitzenklasse. (Hab ich wirklich spitzenklasse geschrieben?!) Ja, verdammt noch mal. Spitzenklasse! Songs wie „I Am Europe“ und „Never Stop“ steuern unaufhörlich auf den emotionalen Höhepunkt zu, um den Hörer dann kurz vor dem Durchbruch immer wieder aufs Neue zu vertrösten. Das wiederum steigert nur Lust auf einen weiteren Durchlauf. Was soll man dazu noch sagen? „I´m A Sentimental Song“. Hach, sind wir das nicht alle?
Professor Green hat derzeit wohl den heißesten Grime-Pop am Start, den man seit dem letzten Werk von Kano vor den Latz geknallt bekam. Im Duett mit Lily Allen lässt er der Nostalgie freien Lauf und proklamiert „Just Be Good To Green“, um die Menschen an die werten Kollegen von INXS zu erinnern. Was für eine Ansage. Wassn Hit, meine Damen und Herren. Und so geht das dann weiter auf „Alive Till I´m Dead“. Ist ja gerade mal 26, der werte Herr Green und das merkt man. Die Tracks strahlen eine Unbekümmertheit aus, die vielen Kollegen vollkommen abgeht. Dass so was natürlich nur aus England zu uns herüberschwappen kann… Ehrensache! Alles in allem das frischeste Rap-Album des ausklingenden Sommers. Kano kann ja dann demnächst wieder nachlegen.
Nagel kann sich nach dem Ende von Muff Potter nun voll auf seine Karriere als Schreiberling konzentrieren und stellt in seinem zweiten Roman die berechtigte Frage: „Was kostet die Welt“… und zwar ohne Fragezeichen. „Der Missionar, den niemand wollte“ lässt seinen Helden namens Meise die Welt entdecken. Weil er keinen Bock hat, wie sein Vater zu enden, macht er sich auf, der Welt zu beweisen, dass es auch anders geht Dabei landet er irgendwann in der tiefsten Provinz. Zwischen Weinfest und Kinderspielplatz sucht Meise seinen Platz im Leben. Pflegt seine Neurosen. Scheitert mal an den anderen, mal an sich selbst. Hält dem Bürgertum einen Spiegel vors Gesicht, wenn er klischeehaftes Geblabber der Marke „je später der Abend, desto schöner die Gäste“ mit ironischer Breitseite kontert. Sind doch eh aller zum Saufen hier. Am Ende fügt sich all das zu einer schmissig getexteten Geschichte zusammen. Meises Geschichte, welcher man als Leser durchaus ein paar herbstliche Stunden schenken sollte. Es lohnt sich.
Mit gehörten auf dem diesjährigen Berlin-Festival zu den besten Live-Acts des Wochenendes und man hatte bisweilen das Gefühl einen Auftritt von Kraftwerk miterleben zu dürfen. Das neue Album der Jungs setzt nun genau dort an und vermengt deutschsprachige Melodien mit elektronischen Firlefanz. „Nanonotes“ klingt so kompromisslos zurückgewandt, dass man der Band für dieses nostalgisch-futuristische Konzept zu Boden knutschen möchte. Wenn „Fieber“ und „Pudong“ sich anschicken, den Hörer mit ständigen Loops von Zeilen, wie „Hightech verpflichtet“ zu roboterhaften Verrenkungen anzuregen, kommt man nicht umhin, ihnen zuzurufen: Experiment gelungen. „Morgen“ ist eben doch schon wieder „Gestern“. Vorausgesetzt man steckt mit Mit im Übermorgen fest.
Bon Homme von den gefeierten Breitband-Elektronikern WhoMadeWho hat sich derweil entschlossen sein erstes Soloalbum einzuspielen und macht darauf nicht nur in ästhetischer Hinsicht eine gute Figur. Schon der Opener des gleichnamigen Werks legt los, als wollte er Depeche Mode vor Augen führen, wie man die Renaissance des Düster-Pop-Genres einläutet. Interpol hätten sich wohl auch gewünscht einen flackernden Beat, wie den von „The Battery Inside Your Heart“ zur Verfügung gestellt zu bekommen, um ihren „lebensmüden“ Pop-Entwurf etwas aufzupeppen. Der größte Hit aus dem Hause Homme allerdings hört auf den Namen „Mother“ und dürfte mit seiner Hot Chip-mäßigen Hymnenhaftigkeit alle Tanzflächen der Nation in helle Aufregung versetzen. Ein imposantes Debüt. Hoffen wir, dass da demnächst noch mehr nachkommt.
Luke Haines von den wunderbaren Auteurs (die hierzulande leider nie den Erfolg hatten, der ihnen gebührte) hat derweil eine dreckige Abhandlung zum Thema Brit-Pop veröffentlicht und zieht in seinem Roman „Bad Vibes“ über die Plattenindustrie her. Die Enttäuschung bezüglich des Erlebten ist in seinem Buch allgegenwärtig. „Ich verbringe die Tage damit, nüchtern aus dem Küchenfenster zu starren und den überwuchernden Garten dabei zu beobachten, wie er mich überwuchert“. Die Hoffnungslosigkeit ist greifbar. Die Lage aussichtslos. Luke Haines Rachefeldzug in Buchform ist nicht nur ein Muss für jeden Brit-Pop-Fan, „Bad Vibes“ liest sich darüber hinaus auch wie eine herzergreifende und gehässige Fabel auf die Oberflächlichkeit unserer Gesellschaft. Fans von John Nivens „Kill Your Friends“ sollten unbedingt zugreifen. Ein boshafteres Buch werdet ihr in diesem Sommer nicht mehr vor den Latz geknallt bekommen.
John Roberts hat nach zwei Jahren unter dem Schriftzug des Labels „Dial“ nun endlich sein Debütalbum „Glass Eights“ an den Start gebracht und knallt uns darauf einige verspielte Deep-House-Entwürfe um die Ohren. Man muss sich erstmal einlassen auf die zahlreichen Echos, Delays und Sound-Fragmente, die er hier zusammenknetet, wird dann aber mit zehn tiefgründigen Songs belohnt, die mit ihren spärlich eingestreuten Pop-Momenten für grinsende Gesichter auf den Tanzflächen der Clubs sorgen dürften. Womit wir uns dann mal wieder so richtig ausgrinsen. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?