Die Poetry Slammerin und Teilzeit-Liedermacherin Lydia Daher ist zurück und hat mitsamt eigener Band ein neues Album am Start, das keine Wünsche offen lässt. „Flüchtige Bürger“ klingt weniger zerrissen als der gefeierte Vorgänger, macht aber nichts, weil die Künstlerin deshalb noch lange nicht in Quotenpop-Gefilde abdriftet. Lydia Daher gelingt es, ihre Gedichte in Pop-Format zu überführen, sie schreibt Zeilen, wie „Und es kommt die Nacht / wo alles zu Ende geht / und es kommt der Tag / wo wieder alles beginnt / wenn über irgendeinem Hügel die Sonne aufgeht / und einer draufsteht und Dir winkt“, bei denen man meint, dass sie jeden Moment in Richtung Klischeehaftigkeit abdriften, die dann aber durch einen Wink am Schluss immer wieder die Kurve kriegen. Poesie im Songformat. Wer drauf steht, sollte unbedingt zugreifen.
Wladimir Kaminer versammelt derweil eine illustre Riege an musikalischen Widerstandskämpfern gegen den poppigen Einheitsbrei, der allerorts auf uns nieder prasselt. „Revolution Disco“ ist bestückt mit revolutionären Balkan-Tracks von Bandista bis Rotfront. Dazwischen dürfen auch mal Attwenger und Babylon Circus eine Runde auf dem Protest-Podest drehen, um sich nach getaner Arbeit in die ausgestreckten Hände der feiernden Fans plumpsen zu lassen. Hier trifft Warschau auf San Francisco und alle brüllen Disco. Am Ende hilft da nur noch eins. Regler rauf, Wodkaflasche raus und ab auf die Straße. Einfach mal die Nacht zum Tag machen. Durchdrehen. Abfeiern. „Revolution Disco“ ist ein Fest für die Sinne.
„Vorsicht vor Leuten“ proklamiert Ralf Husmann derweil in seinem aktuellen Roman und erzählt uns eine tragisch-komische Geschichte über einen gewissen Lorenz Brahmkamp – einem nimmermüden Verlierer-Typen, der sich allerdings nicht so recht mit seinem Schicksal arrangieren möchte. Es geht in dem Buch kurz gesagt darum: was tun, wenn das Leben dich fickt und du einfach nicht zum durchvögeln geboren bist? Was tun, wenn man auf Trennung nicht anders reagieren kann, als die ehemals Angebetete mit Drohgebärden zu bedenken. Husmann sucht mit seinem Roman das „Lustige im Erbärmlichen“. Es gelingt dem Autor von »Stromberg« und »Dr. Psycho« dabei ausgesprochen gut, auf dem schmalen Drahtseil zwischen Witz und Dramatik zu balancieren, ohne abzustürzen. Außerdem weiß man ja sowieso erst hinterher, wie viel einem das Vorher im Nachhinein wert gewesen ist. Wer verstehen möchte, was das heißt, soll dieses Buch lesen. Dann erfährt er, wie viel Spaß es macht am Saubermann-Image des erfolgreichen, fitten, beliebten und sexuell ausgelasteten Typen von Gegenüber zu kratzen. Das tut Lorenz nämlich. Wie es ausgeht? Am Besten selbst herausfinden. Das lohnt sich.
Fran Healy und seine Band Travis machen ja heutzutage vor allem diejenigen nostalgisch, die sich Ende der 90er zum Rumknutschen in der örtlichen Indie-Disco verabredeten. Nun hat sich Healy dazu entschlossen, eine Auszeit zu nehmen. Einfach mal weg von den Jungs. Frei sein und machen was man möchte. Kurz gesagt: einen artistischen Break hinlegen. Das Ergebnis hört auf den Namen „Wreckorder“ und ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Solo-Album. Healy hat sich dazu entschlossen beinahe alle Instrumente selbst einzuspielen und scheint vorab noch von einer Muse geküsst worden zu sein. Was die letzten Alben von Travis bereits andeuteten, löst „Wreckorder“ ein. Healy schnappt sich niemand Geringeren als Paul McCartney und Sam Dixon, der bereits bei Duffy Hand anlegte, und schreibt ein Album, dass trotz aller Melancholie immer ein Augenzwinkern zwischen den Zeilen versteckt. Alles in allem: vor allem für nostalgische Brit-Popper interessant.
Ebo Taylor aus Ghana haut uns derweil seinen Standpunkt zum Thema Afro-Beat und Jazz-Funk um die Ohren und es macht Spaß, sich in den acht Tunes von „Love And Death“ zu verlieren, weil das alles so herzlich groovt, dass man sich schon nach wenigen Minuten aufs Sofa flaggt. Zur Unterstützung hat sich der renommierte Künstler eine Funk-Crew aus Germany ins Bot geholt, die immer wieder improvisierte Solos einstreut. Alles in allem ein imposanter Rundumschlag eines Mannes, der schon Usher und Ludacris Beats zur Verfügung stellte, um deren Chart-Hits aufzupumpen. Nach dem Genuss dieses Tonträgers muss ich sagen: Ich bleibe dann gleich beim Original.
Ashley Hicklin dürfte derweil den Besuchern der letzten Tour von „Ich + Ich“ ein Begriff sein. Da stand er nämlich als Support auf der Bühne. Leider schafft es das britische Multi-Talent auf seinem aktuellen Album „Parrysland“ nicht sich von dem gleichförmigen Pop-Geschunkel im Formatradio abzuheben. Da hilft auch kein Hochglanz-Cover mit Fernsehsender-Logo. Schade eigentlich, wenn man bedenkt, dass Hicklin schon im Umfeld von renommierten Acts wie Skunk Anansie oder Amy Winehouse gesichtet wurde. Seinem Soloalbum fehlt am Ende leider der letzte Pfiff, der ihn als Künstler in die erste Reihe pusht.
Marnie Stern lässt dem Hörer derweil nicht viel Zeit, sich in ihrer Musik zu Recht zu finden. Von der ersten Sekunde an drückt ihr gleichnamiges, drittes Album gnadenlos auf die Tube und kriegt trotzdem die Kurve in Richtung Hörerherzen. Selten klangen verzerrte Gitarren so schräg, wie auf diesen zehn Tracks, so dass selbst Hendrix-Anhänger auf Knien Richtung Konzertbühne robben, um sich für dieses inspirierende Gitarren-Gewitter erkenntlich zu zeigen. Wer mal wieder gute Rocksongs hören möchte, die sich jeglichen Klischees verschließen, sollte sich dieses Pulverfass von Album unbedingt ins Regal stellen.
Milo Cordell von The Big Pink macht derweil das, was er am Liebsten macht und veröffentlicht im Rahmen der „Tapes“-Reihe aus dem Hause „!K7“ ein Mixtape seiner selbst. Nach dem perfekten Tape sucht der warte Herr schon seit Kindheitstagen und es gelingt ihm ein Sammelsurium an interessantes Acts zu versammeln, von denen man nur die wenigsten vorab auf dem Schirm hatte. Gang Gang Dance, jj und The xx sorgen zwischenzeitlich zwar dafür, dass sich auch der eine oder andere Aha-Effekt einstellt, aber sonst macht es einfach nur derbe viel Spaß, den Musiker dabei zu beobachten, wie er hier eine illustre Riege an Elektronikern mit der Gitarrenhalsfraktion konfrontiert. Also dann. Wir lesen uns. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?