Im Pop ist es ja ein beliebtes Spiel, sich selbst als Charakter in ein anderes Licht zu rücken. In Zeiten ständiger Veränderung überlebt eben nur derjenige, der immer wieder im Stande ist, sich neu zu erfinden und gegenwärtige Trends zu erkennen. Dieser Umstand wäre an sich nicht sonderlich bemerkenswert, würde Jamie Lidell dieses Spiel nicht mit seinem Alter Ego „Jim“ (7/10) und dem gleichnamigen Album ad absurdum führen. Die Scheibe klingt, soweit man das als Spätgeborener beurteilen kann, wie ein verstaubtes Überbleibsel aus der Blütezeit des Soul. Und weil retro spätestens seit dem durchschlagenden Erfolg von Amy Winehouse, Joss Stone oder neuerdings auch Duffy in der Popwelt wieder für ein paar dicke Nullen auf den Gehaltsscheck der Künstler sorgt, dürfte Jamie´s niemals alternden Freund Jim auch hierzulande durchschlagenden Erfolg haben. Der Teufel allerdings steckt hier, wie so oft, im Detail. Nur wurde Selbiges leider, im Gegensatz zum Vorgänger „Multiply“, schlicht und ergreifend durch eine poppige Fassade ersetzt. Soll heißen. „Jim“ ist „Multiply“ ohne Lidells wunderbaren Hang zum Experiment geworden. Jamie Lidell macht sich anno 2008 nicht mehr nur einen Sound der Vergangenheit zu eigen, um daraus etwas Neues zu formen. Er wird mit „Jim“ vielmehr Teil der Vergangenheit. Und wirkt dadurch letztlich authentischer, denn je zuvor. Das schönste aber ist: Durch seinen fiktiven Charakter „Jim“ wirkt das Ganze nicht etwa aufgesetzt oder nostalgisch. Es führt den Hörer auch noch an der Nase herum. Denn „Jim“ ist lediglich Jamies Marionette. Eine fiktive Figur. Eine Blase. Ein Nichts. Was man letztlich wiederum als versteckte Kritik am heutigen Popgeschäft interpretieren kann. Vorausgesetzt natürlich man möchte das. Man kann die Platte nämlich auch einfach durchlaufen lassen und sich in den Arrangements erfreuen, die uns Lidell hier um die Ohren haut. Und sich an diesem wunderbaren. musikalischen Zaubertrick ergötzen, den uns der Musiker aus dem Berliner-Exil-Kollektiv um Gonzales und Peaches hier vorgaukelt. Weniger zauberhaft, aber umso ambitionierter präsentieren Booka Shade auf ihrem neuen Album „The Sun & The Neon Light“ (6/10) ein elektronisches Lichtermeer aus melancholischen Momenten. Glam-Rock-Versatzstücken und psychedelischen Entwürfen. Die Musik prasselt von der Decke des Raums. Schmiegt sich an den Körper, wie ein Meer aus bunten Lichtern. Die sparsam eingesetzten Vocal-Momente entlassen einen dabei kurzzeitig aus der hypnotischen Trance und sorgen gleichzeitig dafür, dass man bis zum Ende an der Musik kleben bleibt. Völlig losgelöst wirken derweil Ja, Panik auf ihrem aktuellen Werk „The Taste And The Money“ (7/10). Hier wird deutschsprachiger Indie-Pop einmal um die Ecke gedacht. Das Ganze ist in dieser Form so extrem und einzigartig, dass die Spex ihnen sogar die Albumkrone für den Monat Mai aufsetzte. Das größte Kapital der Band ist dabei ihre Unberechenbarkeit. Denn immer dann, wenn man es sich in einem Song gemütlich gemacht hat, packen Ja, Panik den Holzhammer aus und schreien sich sehnsuchtsvoll durch abgründige, menschliche Gemütszustände. Die Stücke werden unübersichtlich, verheddern sich aber niemals in den komplexen Strukturen. Letztere wirken vielmehr sogar zwingend notwendig, wenn man sich der Tiefe der Texte bewusst wird. Wenn dann mittendrin auch noch die Punkkeule rausgeholt wird, steht man plötzlich schreiend vor der Stereoanlage und singt „ist es wahr? es ist wahr! ist es wahr? es ist waaaaaaaaaaahr!“, nur um schließlich lächelnd zu Boden zu stürzen. Selbiges möchte man auch, wenn „Colossus“ (7/10) anrollt. Die neue Scheibe von Smoke Blow drückt dich nämlich in ein tiefes schwarzes Loch. Orientierungslos irrst du umher, während der gleichnamige Opener mit seinen tiefen Bässen auf dich zurollt. Anschließend geht dann alles ganz schnell. „Criminal“ klingt wie ein vergessener Song der Beatsteaks mit Raucherlunge. Und sogar die deutschsprachigen Stücke können zumindest mit charmanter „wir wolltens halt mal versuchen“-Attitüde punkten. Ich meine… Hey. Gabs in diesem Jahr schon einen cooleren Songtitel als „Zombie auf´m Klapprad“. Ich meine nicht. Und deswegen kommt am 26.4. bitte alle in den Stattbahnhof nach Schweinfurt. Da rocken Smoke Blow zusammen mit Captain Duff nämlich alles nieder, was sich nicht rechtzeitig in die hinteren Reihen verzeiht. Das wird ein Fest! Womit wir uns dann schon wieder poppigeren Gefilden zuwenden. Die Blutergüsse an Armen und Beinen müssen schließlich auskuriert werden. Dazu eignet sich bestens die Mitwippmucke von Paula. Auf deren neuem Album „So wie jetzt“ (5/10) macht sie eigentlich genau dort weiter, wo sie vor einem gefühlten halben Jahrzehnt aufgehört hat. Lieblicher, deutschsprachiger Pop ist das, der keinem weh tut. Der sich vielmehr irgendwo zwischen den Polen Klee und 2-Raumwohnung positioniert und damit durchkommt, weil sich die Melodien im Frühling so wunderbar beim auf der Wiese liegen zum Nachpfeifen eignen. Mit „So wie jetzt“ könnte dabei auch ein ganz passabler Hit rausspringen, der nebenbei die Platte ganz gut auf den Punkt bringt: „So wie jetzt kann es immer sein. Zum Glücklichsein brauche ich keinen, auf und ab und hin und her“. Selbiges exerziert dann der Rapper Guilty Simpson auf seinem, auf Stones Throw veröffentlichtem, Werk „Ode To the Ghetto“ (7/10). Die Musik orientiert sich an den famosen alten Songs von Mobb Deep oder dem Wu-Tang Clan, wirft aber auch ein Auge in Richtung Detroiter Gegenwart. Das Instrumental von „Pigs“ hätte auch auf der ersten Eminem-Scheibe für reichlich Kopfnicken gesorgt. Und die eingestreuten Soundentwürfe des famosen, inzwischen leider verstorbenen J Dilla wirken auch hier, wie Balsam auf der geschundenen Rapper-Seele. Kurz gesagt: Wer händeringend nach einer Alternative zu dem Chartsbrei der Gegenwart sucht… Guilty Simpson hat sie. Und damit Schluss für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von alexander nickel-hopfengart
UND WAS NUN?