Mit Locke & Key bescheren uns die beiden Schöpfer Joe Hill & Gabriel Rodriguez ein imposantes Werk über zauberhafte Türen, die einen verwandeln, wenn man durch sie hindurch tritt. Am Anfang hat man das Gefühl, dass da in Sachen zeichnerischer Raffinesse vielleicht ein bisschen mehr gehen könnte, der Comic nimmt einen dann aber schon nach wenigen Seiten vollends gefangen. Ein kleiner Kerl namens Bode und dessen Geschwister ziehen im ersten Band „Willkommen in Lovecraft“ mit ihrer Mutter in ein verlassenes Anwesen, der Vater wurde umgebracht, der Mörder ist der Familie auf den Fersen. Bode scheint noch dazu den Bezug zur Realität zu verlieren, Bruder Kinsey zieht sich zurück, der andere, Tyler, wird von Schuldgefühlen gequält, die Mutter ist alkoholabhängig. Alle schlittern sie schrittweise ins Verderben und hier wird es interessant, es taucht ein Schlüssel auf, der das Tor zu ihrem Unterbewusstsein öffnet. So kommt es im zweiten Band zunehmend zu „Psychospiele(n)“. Schöpfer Joe Hill, der mit vollem Namen „King“ heißt und der mit einem recht prominenten Namensvetter direkt verwandt ist, was sein Faible für diese Art von Gruselgeschichten erklären dürfte – für ihn persönlich ist es natürlich Ehrensache, dass „Locke & Key“ in Sachen Grusel-Atmosphäre den Büchern von Stephen King in nichts nachsteht. Womit wir auch schon wieder bei dem kindlich anmutenden Zeichenstil wären. Die Diskrepanz zwischen der Psycho-Geschichte und den Zeichnungen ist mit zunehmender Dauer so frappierend, dass am Ende alles nur umso verstörender anmutet. Dazu ist die Geschichte psychologisch untermauert, was dazu führt, dass auch nach dem zweiten Band noch viele Fragen offen bleiben, weshalb wir uns jetzt schon freuen, wenn endlich Band drei in den Läden steht. Wir halten euch auf jeden Fall auf dem Laufenden.
Und sind traurig, dass manche Geschichten einfach viel zu schnell zu Ende. Die kaltblütige Kriminalgeschichte „Whiteout“ zum Beispiel. Der Antarktis-Plot, der inzwischen auch mit Kate Beckinsale in der Hauptrolle verfilmt wurde (muss ich mir demnächst mal reinziehen), sorgt für atemlose Spannung im ewigen Eis. Dass sich die beiden Schöpfer Greg Rucka und Steven Lieber auf schwarz-weiße Zeichnungen beschränken, scheint nahe liegend, weil so die Atmosphäre auf dem kalten Kontinent vollends beim Leser ankommt. Fans von „Fargo“ werden sich ins Fäustchen lachen. Der Plot sieht vor, dass sich US Marshal Carrie Stetko ziemlich ins Zeug legen muss, um einen Mörder zu finden, bevor eine lange Nacht anbricht („30 Days Of Night“ lässt grüßen). Noch dazu schwirrt eine britische Kollegin um sie herum, die sich ebenfalls daran macht, den Fall um die Eis-Leiche zu lösen. Stilistisch gesehen dürften Fans von „Walking Dead“ sehr schnell mit den beiden Bänden warm werden, auch wenn Rucka und Lieber im Crime-Noir-Genre wildern und ihren Figuren etwas weniger ausgefeilt wirken, ja bisweilen sogar skizzenhaft anmuten. Die beiden Schöpfer finden eine eigene Sprache, der man sich schon nach wenigen Seiten nicht mehr zu entziehen vermag. Dazu geschehen fortwährend weitere Morde, was die Spannung in die Höhe treibt und zum Mitraten einlädt. Im zweiten Band „Melt“ dreht sich dann alles um 14 tote Polarforscher und gestohlene Atomwaffen. Die Geschichte mag in diesem Zusammenhang zwar nicht ganz so sehr zu fesseln, wie der erste Band, was bisweilen daran liegt, dass es inhaltlich einfach drunter und drüber geht. Trotzdem hätte man am Ende gerne noch ein bisschen weitergeschmökert. Alles in allem aber dennoch ein gefundenes Fressen für alle Fans von Kriminalgeschichten im Stile der Sin City…
… der wir uns nun auch zuwenden möchten. Im dritten Band von Frank Miller´s Comic-Reihe dreht sich alles um enttäuschte Liebe und die daraus resultierenden Konsequenzen. „Das grosse Sterben“ wurde bereits im gleichnamigen Kinofilm thematisiert, es lohnt sich aber dennoch, sich die Vorlage etwas genauer anzusehen. Wie schon in den beiden Bänden zuvor, schafft es Miller ein dynamisches Werk zu kreieren, indem er einerseits das Tempo durch wortgewaltige, bisweilen mit poetischen Sätzen durchtränkte Passagen verschleppt, dann aber wieder das Gaspedal durchdrückt, um die blutrünstige Geschichte voranzutreiben. Sin City, und das kommt im Comic wesentlich besser rüber, als auf Leinwand, ist nämlich vor allem ein Werk, das seine Kraft daraus zieht, den Leser von einen Gemütszustand in den nächsten zu stoßen. Die Gewaltexzesse werden immer ganz bewusst kontextualisiert, was sie nur umso erbitterter erscheinen lässt. Am Ende mündet alles, wie bereits zu Beginn angekündigt, in einem Blutbad. Hoffnungslos verschreibt man sich der „Lust am Gemetzel“. Und ein Licht am Ende des Tunnels ist auch im vierten Band („Dieser Feige Bastard“) nur bedingt absehbar. Protagonist Hartigan ist aufs Übelste verarscht worden. Der aufrechte Bulle wollte ein kleines Mädchen retten. Stattdessen wird er angeklagt, sie entführt und vergewaltigt zu haben. Nach ein paar Jahren hinter schwedischen Gardinen macht er sich auf in die Freiheit, doch der Sohn des Senators, den er anfangs übel zugerichtet hat, sinnt auf Rache. Die Situation spitzt sich zu. Und Miller wagt sich daran, die Farbpalette zu erweitern bringt neben schwarz/weiß ein grelles Gelb ins Spiel. Eine abstoßende Farbe, die all die Hoffnung kontrastieren soll, die aufzukeimen scheint durch das innige Band, das Hartigan und die Errettete auf ewig zusammenschweißt.. Gerade deshalb stellt dieser vierte Band sicher den bisher eindrucksvollsten der Sin City-Reihe dar. Lass ihn dir nicht entgehen.
Die großformatige Comic-Reihe „Der Schimpansenkomplex“ von Marazano / Ponzio geht derweil in die nächste Runde. Band 2 namens „Die Söhne von Ares“ setzt sich thematisch mit der Reise von Protagonistin Helen Freeman auseinander, die als erste Frau überhaupt den Mars betreten soll. Auf der Erde gibt ihre Tochter derweil die letzte Hoffnung auf, dass ihre Mutter jemals wieder zurückkehren könnte. Schon im ersten Band wurde das schwierige Verhältnis der Beiden ausgesprochen intensiv thematisiert, was letztlich damit endet, dass Helens Boss ihrer Tochter verspricht, er werde sie nach der Mission aus dem Dienst entlassen. Auch Missionstechnisch wird es zunehmend komplexer, anscheinend sind die Russen parallel zu den Amerikanern 1969 ebenfalls zu einer Weltraum-Mission aufgebrochen, wobei dann aber etwas schief gelaufen ist. Eigentlich war der Mars das Ziel, aber wenn sie den erreicht hätten, warum versuchte man die Mission dann unter den Teppich zu kehren? Auf dem Mars jedenfalls befindet sich eine russische Station und ein alter Bekannter läuft Helen & Co über den Weg: Juri Gagarin (der berühmte Kosmonaut, nach dem sich inzwischen auch eine Band aus dem Stall „Audiolith“ benannt hat, das nur so nebenbei). Wie das möglich ist, so viel sei gesagt: wird erläutert, man sollte allerdings schon ein gewissen Faible für Quantenphysik mitbringen. Im finalen Buch der Reihe, genannt „Zivilisation“, nimmt die Saga dann noch einmal Fahrt auf, ich möchte nicht zu viel verraten, aber wie hier der Spannungsboden bis zum äußersten ausgereizt wird, spült den „Schimpansenkomplex“ direkt in eine Liga mit Genre-Klassikern, wie „Alien“ oder „2001“. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Reihe gewissen Lücken im System offen lässt, weshalb der Leser auch noch Tage später darüber grübelt, wie jetzt eigentlich das schlüssige Gesamtbild aussieht. Als krönenden Abschluss bekommt man dann auch noch ein sehr schönes „Making Of“ am Ende des dritten Teils mitgeliefert, das deutlich macht, welch endlose Arbeit wohl in diesem Dreiteiler steckte. Wer sich in der Vorweihnachtszeit gerne in ferne Welten versetzen lässt, sollte sich diese drei Comic-Alben auf beiden Fortsetzungen auf keinen Fall entgehen lassen.
Ebenfalls tiefsinnig geht es im „House Of Mystery“ zu. Wer in Band 1 das „Zimmer ohne Ausweg“ betritt, sollte auf der Hut sein, denn er wird da nicht unbedingt wieder raus gelassen. Die Geschichte basiert auf einer alten Comicreihe, die bis Anfang der 80er erschienen ist und wurde eben deshalb mit zahlreichen Seitenhieben auf die Protagonisten der damaligen Reihe bestückt. Wer im Haus gefangen ist, vertreibt sich derweil mit seinen Leidensgenossen die Zeit mit Geschichtenerzählen (was gleichzeitig das einzige Zahlungsmittel im Haus ist), weshalb auch immer wieder andere Zeichenstile vorherrschen, ein Umstand, der einem als Leser ziemlich viel Abwechslung beschert. Die drei Macher Matthew Sturges (Texte), Bill Willingham (Texte) und Luca Rossi (Zeichnungen) werden im „House Of Mystery“ von zahlreichen Illustratoren unterstützt, so dass alle Zeichnungen sehr detailliert und versiert anmuten. Dazu gesellt sich ein tiefschwarzer Humor, bei dem einem als Leser immer wieder das Lachen im Halse stecken bleibt. Man muss natürlich ein gewisses Faible für skurrile Geschichten mitbringen, um diesen ersten Band ins Herz zu schließen. Wer aber bereit ist, sich auf die Geschichte(n) einzulassen, der wird sehr viel Freude an diesem mysteriösen Häuschen hier haben.
Wieder in Fahrt kam auch unsere bisherige „Strichcode“-Lieblingsreihe „The Walking Dead“ zum Ende des sechsten Bandes. Im siebten Buch „Vor dem Sturm“ spielt die Reihe gekonnt mit der Angst der Gefängnisbewohner, sie könnten von den Bewohnern des nahe liegenden Ortes entdeckt werden. Es wird immer deutlicher, dass nicht die Zombies das Problem sind. Die Menschen sind es. Ein Untoter lässt sich kontrollieren. Ein Mensch bleibt unberechenbar. Verhaltenskodexe haben sich zunehmend aufgelöst. Jeder ist sich selbst am Nächsten. Und Rick, selbst gezeichnet, nachdem seine Hand abgetrennt wurde, muss sich zunehmend nicht nur um die lieben Nachbarn und Toten vor den Toren des Gefängnisses sorgen, sondern auch um das Leben seiner schwangeren Frau. In Band 8 heißt es dann „Auge um Auge“. Das Gefängnis wird belagert. Alles eskaliert. Man möchte noch nicht zu viel verraten, aber die Bände acht und neun sind mit Sicherheit Meilensteine. Was ist nur aus der Menschheit geworden? „The Walking Dead“ wirft die bange Frage auf, was eigentlich übrig bleibt, wenn wir nicht mehr an einem gesellschaftlichen System nuckeln, das uns das Leben versüßt. Was, wenn wir plötzlich auf uns allein gestellt sind. In Band 9 findet sich Rick dann „Im finsteren Tal“ wieder, er schlägt sich mit den letzten Überlebenden durch die Wildnis und das Buch wirft die Frage auf: Wozu lohnt es sich eigentlich noch zu leben? Was ist möglich, wenn plötzlich in jedem Augenblick alles möglich ist? Und wenn der Tod allgegenwärtig ist, wie verändert das letztlich unser Denken? The Walking Dead wirft konsequent existenzielle Fragen auf und kann in dieser Hinsicht durchaus mit literarischen Bestsellern konkurrieren, wie zum Beispiel Janne Tellers kürzlich veröffentlichten Roman „Nichts – was von Bedeutung wäre“.
Wer sich schon jetzt die Finger nach neuen Bänden der Reihe „Hack/Slash“ leckt, der sollte mal beim Comic-Regal des „Panini“-Verlags aufkreuzen und sich die Reihe „Wonderland“ zu Gemüte führen. Im ersten Band „Rückkehr ins Wunderland“ entführt uns die Protagonistin „Calie“ in eine Welt des Wahnsinns. Die Seitenhiebe auf „Alice im Wunderland“ sind unübersehbar, die Story wird sogar fortgeschrieben, denn Calie Liddle ist Alices Tochter und sucht im „Wunderland“ nach dem Ursprung des Wahnsinns, der ihre Mutter übermannte, die sich vor kurzem umbringen wollte. Dort angekommen merkt sie allerdings sehr schnell, dass es ziemlich gefährlich ist, sich mit ein paar dämonischen Dreckskerlen herumschlagen zu müssen, also lautet ihr einziges Ziel: möglichst schnell wieder raus hier. Falls euch die stark sexualisierte, bisweilen überzeichnete Protagonistin aus „Hack/Slash“ ein Graus ist, solltet ihr lieber die Finger von „Wonderland“ lassen. Der Sex und Gewalt-Faktor ist relativ hoch, trotzdem kommen alle Fans, die auf hübsch illustrierte Seitenhiebe aufs Fantasy-Genre stehen, vollends auf ihre Kosten. Darüber hinaus ist „Wonderland“ auch allen Fans von Tim Burton wärmstens zu empfehlen. Band 2 („Jenseits des Wunderlands“) setzt sich dann mit den Folgen von Calies Erlebnissen auseinander. Sie versucht einen Neustart, doch die Grenzen zwischen Realität und Wunderland verschwimmen immer mehr (ganz zur Freude der Horror-Fraktion). Die Geschichte in die Realität zu verlagern, führt bisweilen zwar dazu, dass der zeichnerischen Fantasie (gerade zu Beginn) erst mal enge Grenzen gesetzt sind, je weiter allerdings die Handlung voran schreitet, umso mehr ziehen einen Raven Gregory, Daniel Leister und Nei Ruffino mit ihrer phantasievollen Szenerie in einen Strudel der obskuren Glückseligkeit. Am Ende geht’s dann wieder drunter und rüber – wie sich das eben so gehört, bei einer Horror-Geschichte. Da kann man auch mal Abstriche in Sachen Handlung in Kauf nehmen, wenn die Schockeffekte sitzen.
Wer derweil auf krude Vampir-Unterhaltung steht, der sollte sich die bereits vor geraumer Zeit im „Cross Cult“-Verlag erschienene Dreier-Reihe „Vampire Boy“ zu Gemüte führen. Die durchweg lässig getextete Kriminalgeschichte ist bestückt mit zahlreichen Horror-, Porn- und Action-Elementen. Durch das schicke Kleinformat nimmt die rasante Geschichte zweier Vampir-Rival(innen) noch ein bisschen mehr Fahrt auf. Man überfliegt die Bände regelrecht und kann sich gar nicht vorstellen, dass das ganze Tohuwabohu nach drei Ausgaben schon wieder zu Ende sein soll. Storytechnisch kreisen die Geschehnisse um einen 5000jährigen, der im Körper eines 10jährigen festsitzt und sich mit einer blutrünstigen Rivalin ein Katz- und Mausspiel liefert. Die beiden Schöpfer Carlos Trillo und Eduardo Risso sorgen in diesem Zusammenhang zwei Bände lang für atemlose Spannung, der Twist in Buch 3 (ohne hier zu viel verraten zu wollen) scheint dann aber doch etwas aus der Luft gezogen. Die anfängliche Skepsis nach dem fulminanten Finish in Band 2 („Der Fluch“) wird allerdings schnell ausgebremst, weil es die Macher gekonnt verstehen, weitere Fragen aufzuwerfen, den Blickwinkel statt auf unseren namenlosen Protagonisten eher auf seine Rivalin Ahmansi legen, den psychologischen Aspekt der beiden zudem weiter in den Vordergrund rücken, wodurch es dann nach dem Durchschmökern des dritten Bandes („Die Erlösung“) noch schwerer fällt, sich damit abzufinden, dass da nichts mehr nachkommt in Sachen Vampire Boy. Trotz allem ist diese Trilogie ein gefundenes Fressen für all diejenigen, die Vampirgeschichten nicht immer als tot-ernste Angelegenheit ansehen. Da kommt es den Bänden sogar zu gute, dass die Zeichnungen auch bei Manga-Fans für Begeisterung sorgen werden. Also viel Spaß beim durchschmökern. Bis zum nächsten Strichcode.
UND WAS NUN?