Von Stephen King höchstpersönlich bekommen wir derweil nicht nur gruselige Weihnachtsromane um die Ohren gehauen, sondern auch einen imposanten Bildband. Zusammen mit Scott Snyder (Storyboard) und Rafael Albuquerque (Illustrationen) macht er sich daran, den American Vampire auf Hochglanz in Szene zu setzen. Eines möchte ich vorweg schicken. Das Ding ist nichts für Schwache nerven. Allein die Vampir-Zeichnungen jagen einem eine Gänsehaut nach der Nächsten über den Rücken. Man merkt einfach, dass hier ein echter Meister am Werk ist. Storytechnisch dreht sich der erste Teil der Reihe um eine neue Gattung von Vampir, einen amerikanischen (jetzt bitte nicht gleich zu gähnen anfangen… weiter lesen), die Geschichte von „Sweet“ nimmt ihren Ausgang im Scheinwerferlicht Hollywoods. Pearl Jones, eine Nachwuchshoffnung in der Traumfabrik ist enttäuscht, denn das errettende Licht am Ende des Tunnels scheint nach einem kurzen Höhenflug gerade ausgeknipst worden zu sein, da kommt ihr ein Vampir zu Hilfe und gibt der jungen Dame die Möglichkeit, sich für das Unrecht zu revanchieren. Dieser Comic ist ein Frontalangriff auf alle Hochglanz-Magazine. Zeichnerisch dürfte er für Freunde der „Umbrella Academy“ ein gefundenes Fressen sein. Die zynischen Passagen sind eine augenzwinkernde Abrechnung mit dem hemmungslosen Blitzlichtgewitter, das im Zentrum des Massengeschmacks auf einen einprasselt. Hollywood saugt dich aus. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Weil Tageslicht evolutionstechnisch auch kein Problem mehr ist, darf sich am Ende keiner mehr sicher fühlen. Trotz des großen Werbeaufwands mit viel Name-Dropping bekommt man hier keinen blutleeren Comic untergeschoben, sondern eine wirklich gruselige Geschichte, die hoffentlich ein paar Bücherwürmer ins Comic-Regal greifen lässt. Es lohnt sich. Und wir freuen uns jetzt schon auf die Fortsetzung.
Chew wiederum nennt sich ein gewisser „Bulle mit Biss!“, der uns vom schicken Frontcover der neusten Versuchung aus dem Hause „Cross Cult“ zuzwinkert. Der erste Band der Reihe ist ein ausgesprochen hirnrissiges Satire-Spektakel. Chew ist kein normaler Polizist und zugegeben: auf die Idee muss man erstmal kommen ihn als Geschmacksknospen-Telepath oder besser „Cibopath“ zu kreieren, schon allein dieser Umstand verdient einen Bonus-Button mit Grinse-Gesicht oben drauf. Chew futtert sich also im Laufe des Bandes durch allerhand Essensreste um den Bösewichten auf die Spur zu kommen und tritt in „Leichenschmaus“ erstmals als Ermittler für die Nahrungsmittelbehörde auf, als welcher er sich sofort in Herz der Leser schleicht. John Laymans und Rob Guillorys satirische Antwort auf die ganzen Sci-Fi-Krimis im TV lässt gekonnt die Frage offen, ob das Comic jetzt eine Hommage oder eine Abrechnung mit dem gängigen Klischees auf der Mattscheibe ist. Chew wandelt auf dem schmalen Grad zwischen Gesellschaftskritik und Komik und ist dabei immer genau so verrückt, dass das Ganze nicht ins Lächerliche abdriftet. Kein Wunder also, dass die Reihe erst im letzten Jahr zur „Besten Neuen Comic-Serie 2010“ gekürt wurde. Freunde von abgedrehten Kriminal-Parodien sollten unbedingt mal rein spitzen.
Elias Hauck und Dominik Bauer, kurz Hauck & Bauer, begeistern derweil seit Jahren alle Leser von „Titanic“ bis „FAS“ mit ihren gekonnten Illustrationen, die sich inhaltlich mit aktuellen, gesellschaftlichen Themen auseinander setzen. Hat man bei vielen Comic-Strips, die in regelmäßigen Abständen in Zeitungen oder Zeitschriften erscheinen, das Gefühl, die Geschichten würden mit zunehmender Lebensdauer ihre Spritzigkeit verlieren, schaffen es Hauck und Bauer immer wieder, ihre Unbekümmertheit aufs weiße Papier zu überführen. Den beiden scheinen einfach nie die Ideen auszugehen. Stefan Niggermeier bringt es in seinem Vorwort treffend auf den Punkt. Die Comics der beiden sind einfach „total lustig“. Man muss sich nicht etwa ein sanftes Schmunzeln abringen, man lacht lauthals los, wenn sie mal wieder das wirkliche Leben in Bildergeschichten-Quartette übersetzen. Normalerweise zitiere ich hier gerne einzelne Passagen des Bandes, in diesem Fall allerdings ist das bisweilen unmöglich, denn der Witz funktioniert nur, wenn Zeichnungen und Worte miteinander ringelreih tanzen. Eben deshalb möchte ich „Hier entsteht für Sie eine neue Sackgasse“ auch all jenen ans Herz legen, die sich bei den zahlreichen Karikaturen in diversen Tageszeitungen schon immer gefragt haben, wo da jetzt eigentlich der Witz versteckt sein soll. Hauck & Bauer sind anders. Sie präsentieren Gesellschaftskritik humorvoll verpackt. Soll heißen: unbedingt mal austesten, diesen Band.
Der „Schreiber & Leser“-Verlag hat ein gutes Händchen für Kriminalgeschichten mit psychologischem Tiefgang. Nachdem wir uns erst vor kurzem begeistert in die „Packard Gang“ vertieften, erscheint nun unter dem Namen Umsonst ist der Tod schon wieder ein neuer Comic, der einen hinterhältigen Mord thematisiert. Marie Furillo, Frau eines Staatsanwalts, wurde ermordet, das blöde daran ist: die Ermittlungen geraten ins Stocken. Der Roman führt gekonnt vor Augen, wie das kriminelle und gesellschaftliche Leben in der Stadt miteinander verwoben sind. Der spanischen Jungspund Sergi Álvarez (Autor) und Sagar Forniés (Zeichner) entwerfen einen spannenden „Noir“-Roman – und ich sage deshalb Roman, weil hier von Álvarez immer wieder Textpassagen eingestreut sind, die sich mit der Geschichte der Protagonisten auseinander setzen. Dazu liefert Forniés skizzenhafte Zeichnungen, die den Roman eine Rasanz verleihen, die man anfangs gar nicht vermutet hätte. Aufgrund der düsteren Grundstimmung erinnert „Umsonst ist der Tod“ bisweilen auch an Millers Sin City, das macht den Comic-Band zu einem echten Erlebnis. Darüber hinaus beschränkt sich die Geschichte nie darauf, in Kategorien wie gut und böse zu unterteilen, alles ist wie es ist, die Geschehnisse zu bewerten bleibt dem Beobachter selbst überlassen. Ähnlich wie in der Serie „The Wire“ findet eine gleichberechtigte Darstellung der einzelnen Personen statt, so dass die Entscheidungen der Protagonisten besser nachvollzogen werden können. Aufgrund des großen Erfolgs von „Umsonst ist der Tod“ in Spanien, ist es kein Wunder, dass die beiden Schöpfer bereits an einer Fortsetzung arbeiten. Wir halten euch auf jeden Fall auf dem Laufenden.
Wer derweil beim Lesen etwas lernen möchte, der sollte sich mal an dem Mammut-Werk Logicomix versuchen, das eben erst im „Atrium Verlag“ erschienen ist. In dem Buch um einen gewissen Bertrand Russel, der Ende des 18. Jahrhunderts auf unserem hiesigen Planeten darüber nachdachte, wie man ein logisches Fundament der gesamten Mathematik errichtet, dreht sich alles um die Auseinandersetzungen mit Gleichgesinnten, unter anderem seinem eigenen Schüler, den berühmten Philosophen Ludwig Wittgenstein. Was anfangs noch knochentrocken anmutet, entfaltet mit zunehmender Lesedauer einen ganz besonderen Charme, der neugierig stimmt. „Die epische Suche nach der Wahrheit“ wird zum gleichsam lehrreichen, wie spannenden Trip, der jedem Fan von „A Beautiful Mind“ mit breiten Grinsebacken zurücklässt. Nachdem man die knapp 350 Seiten durchgeschmökert hat ist man nicht nur gut unterhalten worden, man fühlt sich auch als Nicht-Mathe-Profi um einiges schlauer als zuvor. Wie das Buch diesen Drahtseilakt zwischen leichtfüßiger Story und trockener Mathematik meistert, ist bemerkenswert und in diesem Zusammenhang nicht nut Studenten der mathematischen Künste aufs Wärmste zu empfehlen. Die beiden Erzähler Apostolos Doxiadis und Christos H Papadimitriou und die Grafiker Alecos Papadatos und Annie Di Donna haben ganze Arbeit geleistet. Alles in allem ein beeindruckendes Werk, wobei es mich nicht wundern würde, wenn es so mancher Professor demnächst als Leselektüre auf die Literatur-Liste kritzelt.
Wer auf großformatige Comics im klassischen Antlitz steht, muss auf futuristische Geschichten dennoch nicht verzichten. Metronom aus dem Splitter-Verlag führt vor Augen, wie man eine Vermisstengeschichte in fantastische Welten transformiert. Storytechnisch geht’s kurz gesagt darum, dass eine gewisse Lynn Forester ihren Liebsten sucht, der auf merkwürdige Art und Weise verschwunden ist. Sie bekommt dabei Unterstützung von einem systemkritischen Journalisten (Big Brother lässt grüßen), was dem ersten Band der Reihe von Grun / Corbeyran auch eine gewisse politische Dimension verleiht. „Null Toleranz“ lebt zudem von der Diskrepanz zwischen den klassischen Zeichnungen, die man eher in einem historischen Comic-Roman verorten würde und der spannenden Kriminalgeschichte, die einen als Leser immer wieder an der Nase herumführt. Wer auf Enthüllungsromane steht, sollte mal in das „Metronom“ reinspitzen. Es könnte sich als lohnenswert erweisen.
Im dritten Band der bereits im letzten Strichcode gefeierten Comic-Reihe Locke & Key dreht sich alles um „Die Schattenkrone“. Der Band ist wesentlich abgedrehter als die beiden Vorgänger, läuft dabei allerdings nie Gefahr storytechnisch aus dem Ruder zu laufen. Nach dem Genuss des Vorwortes von Fernsehautor Brian K. Vaughan ergötzt man sich an den brillant ausgearbeiteten Charakteren der Geschichte. Nachdem die Figuren in den ersten beiden Bänden detailliert eingeführt wurden, fiebert man regelrecht mit, wenn sich die Kids gegen ihr Schicksal wehren. Die beiden Schöpfer Joe Hill & Gabriel Rodriguez spielen ein brillantes Psycho-Spiel mit ihren Lesern und öffnen Türen, welche die Protagonisten mit ihren inneren Dämonen konfrontieren. Neben „The Walking Dead“ gibt es derzeit wohl keine Comic-Reihe, die bei aller Fantasterei so tiefsinnig anmutet, wie dieses Werk. Also schnapp dir den Schlüssel und tritt ein. Alle Fans von bildgewaltigen Psychospielen, sollten sich diesen Brain-Fuck auf keinen Fall entgehen lassen.
Wer auf Endzeit-Punk steht, sollte sich mal das grafische Pulverfass Freak Angels zu Gemüte führen. Die Welt ist am Arsch, kurz gesagt untergegangen, und die menschlichen Überbleibsel versuchen ihr post-apokalyptisches Dasein irgendwie auf die Reihe zu kriegen. Die grafische Umsetzung ist atemberaubend, die Story dreht sich um elf hochbegabte 23-jährige und einen Abtrünnigen, der ihnen das Leben zur Hölle macht. Im ersten Band der Reihe verwenden die beiden Schöpfern Warren Ellis und Paul Duffield viel Zeit darauf, die Protagonisten einzuführen und sorgt auf diese Weise dafür, dass die Figuren eine bemerkenswerte Tiefe ausstrahlen. Die telepathischen Fähigkeiten der Hauptpersonen tun ihr übriges, um den Eindruck zu vermitteln, dass „Freak Angels“ von Beginn an als äußerst langlebiges Steampunk-Erlebnis angelegt worden ist. Wer bei einer Drama-Serie von HBO bereits nach drei Folgen abschaltet, weil da in Sachen Storyline nichts voran geht, der sollte lieber die Finger davon lassen. Wer schnelle Action sucht, ist bei „Freak Angels“ definitiv an der falschen Adresse. Dieser Comic setzt auf Langlebigkeit und nimmt sich dementsprechend viel Zeit, um dem Leser die kleine Exoten-Gemeinde nahe zu bringen. Die Dialogdichte von Band 1 ist entsprechend immens und großes Tohuwabohu kommt erst gegen Ende auf. All das macht den Leser, der durchhält, massiv neugierig, wie es weitergeht. Wir halten euch auf jeden Fall auf dem Laufenden.
Nachdem Mangas in unserer Rubrik bisher etwas kurz gekommen sind, möchten wir in zum Abschluss mal darauf hinweisen, dass es in diesem Zusammenhang auch für die erwachsenen Leser einiges zu entdecken gibt. Sun Village von Inio Asano zum Beispiel ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man existenzielle Fragen mit einer mitreißenden Geschichte vermengt. Der Roman dreht sich um einen Stadtteil namens Sun Village, das Bemerkenswerte an der Geschichte ist aber, dass hier zwar eine desillusionierte Gesellschaft nachgezeichnet wird, der Roman aber trotzdem nicht mit humorvollen Momenten geizt, obwohl sich die Protagonisten dessen völlig bewusst sind. Noch dazu bekommt man ständig Gedankenfetzen vor den Latz geknallt, was dazu führt, dass die Geschichte niemals ins Oberflächliche abdriftet. Die trügerische Idylle des „sonnigen Viertels“ sorgt zudem dafür, dass sich die Menschen mit ihren inneren Dämonen konfrontiert sehen und weil sie damit nicht klarkommen, schnellt die Selbstmordrate dort, wo man sich doch eigentlich dem Himmel am Nächsten gewähnt hatte, nur umso erbarmungsloser in die Höhe. „Sun Village“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man der trügerischen Idylle die Maske aus dem Gesicht kratzt. In diesem Sinne: nicht nur für Manga-Fans zu empfehlen. Wir wünschen euch deshalb jetzt schon viel Spaß beim schmökern. Bis zum nächsten Strichcode.
UND WAS NUN?