Wer mal wieder so richtig abgrundtief der dunklen Seite ins Gesicht glotzen möchte, der sollte sich unbedingt die aktuelle Kurzgeschichtensammlung von Joyce Carol Oates zu Gemüte führen. „Die Lästigen“ begibt sich dorthin, wo es weh tut. Dieses Buch versucht das Unaussprechliche zu artikulieren. Es versucht das Unerklärbare greifbar zu machen. Es nähert sich den Menschen, die jeden Tag aufs Neue am Alltäglichen verzweifeln. Neunzehn Stories der Literatur-Professorin aus Princeton wurden zusammengekratzt und erzählen davon, dass Ordnungssysteme zusammenbrechen. Die Menschen in den Geschichten verlieren den Halt unter ihren Füßen, wobei es besonders bemerkenswert ist, dass sich die Autorin dabei nicht irgendwelchen Außenseiter oder Querdenkern widmet, sondern Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Es sind traurige Geschichten über das Scheitern. Geschichten von Menschen, deren Leben aus dem Tritt geraten ist. Geschichten, welche die Frage aufwerfen, ob die Illusion von Sicherheit nicht zunehmend als Wahnvorstellung entlarvt werden muss. Es gibt so viel in diesem Sammelband, das einen nach dem Lesen wieder einholt. Es begleitet ein und schneidet Risse in die Atmosphäre. Stellt sich nur die Frage, wie lange der Großteil unserer Gesellschaft ihnen noch auszuweichen vermag. „Die Lästigen“ ist ein Roman, der einen zum Nachdenken bringt. Ein „gewalt“iges Werk.
Anschließend drehen wir ein wenig am (Zahn)rad der Zeit und nehmen uns zwei empfehlenswerten Klassikern an, die in diesen Tagen vom „dtv“-Verlag neu aufgelegt werden. „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald entführt uns in diesem Zusammenhang zurück in die Goldenen 20er Jahre und dreht sich um einen Millionär namens Jay Gatsby, welcher das Leben in vollen Zügen genießt. Leider weiß der immerwährende Überfluss, der ihn umgibt, die innerliche Leere des Protagonisten nicht zu kompensieren. Vielmehr sehnt sich Mr. Gatsby nach Romantik, Wärme und Verständnis und all das sieht er vereint in seiner großen Liebe, einer gewissen Daisy, welcher er sein Herz zu Füßen schmeißt, die aber inzwischen mit einem Ex-Footballspieler und deren gemeinsamer Tochter zusammen lebt. Fitzgerald stellt mit seinem Buch nicht nur den Kapitalismus selbst in Frage, er schafft es in vollendeter Weise unseren Drang zum fortwährenden Konsum als haltloses Hirngespinst zu entlarven. Fitzgerald enthüllt die Oberflächlichkeit unseres Daseins. Sein Roman möchte anregen, die Prioritäten des Lebens neu zu überdenken. Sonst endet man vielleicht wie der Protagonist selbst, zum Ende hin wird’s nämlich ziemlich einsam um ihn. Wie es dazu kommt, solltest du dir aber am besten selbst zu Gemüte führen. Es lohnt sich sehr mit diesem Roman ein wenig unter den Deckmantel unseres gesellschaftlichen Strebens zu blicken.
Mit dem Roman „Am Abgrund des Lebens“ kann man sich darüber hinaus schon einmal auf den Kinostart des Filmes „Brighton Rock“ einstimmen. Der diente nämlich als Vorlage für die Geschichte zweier Gangs, die sich im englischen Seebad Brighton mit allen Mitteln gegenseitig bekämpfen. Autor Graham Greene zählt nicht nur zu den berühmtesten Schriftstellern des 20ten Jahrhunderts, sein Name dürfte auch allen Fans des Streifens „Donnie Darko“ ein Begriff sein, in welchem eine seiner Kurzgeschichten zum Anlass genommen wird, eine ganze Schule unter Wasser zu setzen. Die Geschichte aus dem Jahre 1938 dreht sich um einen Bandenboss namens Pinkie, der einen Mord in Auftrag gibt und einer gewissen Ida, die sich noch nicht so recht mit dem plötzlichen Ableben ihres Bekannten anfreunden möchte. Zwischen den beiden entspinnt sich fortwährend ein packendes Psychoduell, das vor allem deshalb so beeindruckt, weil hier die Grenzen zwischen Gut und Böse zu verschwimmen drohen. Pinke ist nämlich keineswegs der mordlustige Irre, als welchen man ihn anfangs verortet, noch dazu lebt der Roman von ausdruckstarken Passagen, die den Abgrund zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Gangleben sehr treffend umreißen. Gegen Ende spitzt sich das Katz- und Mausspiel immer weiter zu, wobei sich damit einhergehend auch die psychologischen Abhandlungen über die Beweggründe der Protagonisten steigern, was wiederum zu vereinzelten Längen führt. Alles in allem aber trotzdem ein lesenswertes Werk eines Autors, der Zeit seines Lebens immer wieder unter Beweis gestellt hat, zu welch literarischen Großtaten er imstande ist.
Elmore Leonard, seines Zeichens Drehbuchlieferant für so illustre Filme wie „Jackie Brown“ und „Out Of Sight“ erzählt in seinem Roman „Road Dogs“ die Geschichte eines Bankräubers, der sich von einer gewieften Anwältin nach drei Monaten wieder aus dem Knast rausboxen lässt, obwohl er eigentlich für 30 Jahre einsitzen sollte. Da ihm die Anwältin von einem Kollegen aus dem Knast vermittelt wurde, macht er sich fortan daran, seine Schuld zu begleichen und heftet sich an die Fersen der gewieften Braut seines ehemaligen Knastbruders. Nach und nach stellt sich heraus, dass die Herzallerliebste nicht länger vorzuhaben scheint, ihrem Göttergatten in innigster Liebe verbunden zu sein. Stattdessen spielt sie ihr eigenes Spiel, was unseren Protagonisten in einen Loyalitätskonflikt befördert. Was soll er tun? Und was zum Teufel ist eigentlich hierzulande los, dass dieser Autor nicht schon längst zu den größten seines Fachs zählt? „Road Dogs“ ist ein spannender Roman voller gewitzter und bisweilen auch absurder Dialoge, der einen sofort in einen Bann ziehen. Die Leichtigkeit, mit welcher dieser Roman zu punkten weiß, resultiert vor allem daraus, dass der Autor niemals eine wertende Position einnimmt. Dadurch ist „Road Dogs“ nicht nur ein gefundenes Fressen für Thriller Fans, sondern auch für all jene, die sich in den letzten Jahren an den vielschichtigen, kratzbürstigen, widersprüchlichen Charakteren diverser HBO-Qualitäts-Serien ergötzten.
Wer sich ein wenig intensiver mit „Bob Dylan“ auseinandersetzen möchte, der kann sich in diesen Tagen über Olaf Benzingers gleichnamige Textsammlung freuen, die sich allumfassend mit dem bisherigen Output des Musikers beschäftigt. „Die Geschichte seiner Musik“ wird in dem Band lückenlos aufgearbeitet und so erfährt man interessante Details zu jedem einzelnen Studioalbum. Da das Buch bereits anno 2006 erst-veröffentlicht wurde, ist es sehr schön, dass man sich im Nachwort die Mühe gemacht hat, auch noch die aktuellen Werke Dylans aufzuarbeiten. Diese gehören ja zum Besten, was der Musiker Zeit seines Lebens veröffentlicht hat (wer es nicht glaubt, sollte mal reinhören). Olaf Benziger nimmt sich die Werke Dylans darüber hinaus in strikt chronologischer Reihenfolge vor. Nichts wird ausgelassen und auch die unveröffentlichten Songs, Studio-Sessions und (einige) Bootlegs kommen zur Sprache. Wenn du also schon immer mal wissen wolltest, wer auf „Like A Rolling Stone“ Sologitarre spielte / Schrägstrich / hinter der Orgel Platz genommen hat, solltest du dir dieses detaillierte Werk auf keinen Fall entgehen lassen. Olaf Benzingers Buch taugt nämlich nicht nur zum Fachsimpeln. Der Leser erfährt darüber hinaus auch viel Persönliches über den Künstler, der sein Privatleben (und vor allem seine Beweggründe für die unterschiedlichsten Aktionen) konsequent aus den öffentlichen Debatten herausgehalten hat. Also schmökert mal rein. Und lasst es euch gut gehen. Bis zur nächsten Leserunde.
UND WAS NUN?