Die Sache mit dem Provinzkaff, das es hinter sich zu lassen gilt, die wurde ja schon vielfach durchdekliniert. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich Philipp Meyer an seinem Roman „Rost“ nicht verhebt / die Story nicht ins Klischeehafte abdriftet. Sein Werk dreht sich um einen gewissen Isaac, der eine Luftveränderung benötigt, nachdem seine Mutter Selbstmord begangen hat. Isaac möchte daraufhin nicht weiter unter dem Regime seines tyrannischen Vaters leben. Er schnappt sich also seinen besten Kumpel Poe und packt zusammen, raus aus der Perspektivlosigkeit / rein ins Leben. Leider entwickelt sich seine Reise etwas anders als erwartet. Ein Mord geschieht, versehentlich, aber was passiert ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Man schlägt sich also weiter durch. Doch Poe wird gefasst. Und Isaac befindet sich plötzlich auf der Flucht. Seine Suche nach dem Glück wird immer mehr zum hoffnungslosen Unterfangen, schließlich muss er damit leben, dass sein Freund (für Isaacs Mord) im Knast landen wird. In Bezug auf seine Story ist „Rost“ dabei, wie schon gesagt, eher konventionell gestrickt, der Autor nimmt damit aber (unabsichtlich) direkten Bezug auf das alltägliche Leben hierzulande. Wenn nämlich die Industrie aus eher mittelgroßen Orten verschwindet, dann hinterlässt sie oft ein Trümmerfeld. Alles droht zu verrotten. Das Leben gerät aus dem Tritt. Die Gegend vereinsamt und der „Rost“ ist das Sinnbild dieses Niedergangs. So ist Isaacs Flucht im übertragenen Sinne auch eine Folge der Perspektivlosigkeit, die ihn in seiner Heimatstadt erwartet. Eben deshalb rüttelt „Rost“ an einem. Und punktet noch dazu mit einer spannenden Coming Of Age-Geschichte der Marke Salinger, die all die Trostlosigkeit treffend in Szene setzt.
Graham Greenes Romane erstrahlen derweil durch den Erfolg des Kinofilms zu „Brighton Rock“ auch hierzulande noch einmal im neuen Glanz. In diesen Tagen wurde zum Beispiel das grandiose Machwerk „Der menschliche Faktor“ im dtv-Verlag neu veröffentlicht. Die Geschichte dreht sich ums Spionieren, wobei hier natürlich auch die Liebe ihre Finger im Spiel hat. Der britische Agent Maurice Castle entschließt sich vor allem deshalb, sein als „geheim“ deklariertes Wissen an den sowjetischen Geheimdienst weiterzugeben, weil seiner großen Liebe ein kommunistischer Bekannter bei der Flucht nach England geholfen hat. Kurz nachdem der Geheimdienst allerdings spitz gekriegt hat, dass einer ihrer Agenten der Spionage verdächtig ist, muss sein Kollege Davis den Preis dafür zahlen. Doch auch Mister Castle ist dadurch keineswegs aus dem Schneider. Er soll der Gegenseite noch einen letzten Dienst erweisen. Ob das gut geht? Am Besten du findest es selbst heraus. Dieses Geflecht aus Intrigen macht deutlich, dass sich das Menschliche niemals eliminieren lässt. Es bleibt immer ein Restrisiko, ganz gleich wie sicher wir uns auch fühlen. Dass das gut so ist, ist keine Frage. Graham Greene führt es uns in seinem Roman deshalb noch einmal mit ironisch-gewitzten, bisweilen auch erschütternden Passagen vor Augen. Ein großartiges Werk.
In „Amberville“ dreht sich derweil alles um Stofftiere. Das Buch von Tim Davys (der Name ist ein Pseudonym, wer dahinter steckt, konnte bisher leider noch nicht geklärt werden, es ist lediglich klar, dass es sich um einen schwedischen Autor / eine schwedische Autorin handelt) ist ein gefundenes Fressen für alle Schafskrimi-Freunde, handelt es sich doch im Grunde genommen um einen Kriminalroman, der lediglich im Kontext einer fiktiven Stofftier-Gesellschaft angelegt worden ist. Jedenfalls dreht sich das Buch um die Suche nach einer Todesliste, die ein gewisser Eric (Bär) für den Casino-Kopf Nicholas (Taube) auftreiben soll. Der Bär (der im Buch ein Spießerdasein als Werbe-Angestellter fristet und mit einem Kaninchen verheiratet ist) begibt sich also mit drei seiner Kumpels auf die Suche. Zusammen haben sie das Ziel vor Augen, diesen ominösen Wisch zu finden, der die nächstmöglichen Anwärter für den „Friedhof der Kuscheltiere“ beinhaltet. Dabei orientiert sich Davys am klassischen Kriminalroman. Soll heißen: alle sind verdächtig, was „Amberville“ zum gelungenen Mitrate-Krimi macht, der die Spannung bis zum Ende aufrechterhält. Noch dazu zeichnet sich Davys Werk durch ein hohes Maß an Gesellschaftskritik aus. So nutzt er die Stofftiergesellschaft, um auch mal auf Missstände hinzuweisen, die in der realen Welt nicht zufrieden stellend bewältig wurden (unter anderem einen Vorort in Form einer Müllhalde für Stofftiere mit Fabrikationsfehler am Stadtrand). Alles in allem also ein äußerst gelungenes „Debüt“ eines Autors, dessen literarische Maskierung am Ende auch noch dazu einlädt, sich den Kopf zu zerbrechen, wer denn nun wirklich hinter dem Geschriebenen stecken könnte.
Dennis Gastmann kämpft sich derweil in seinem gleichnamigen Roman „Mit 80.000 Fragen um die Welt“. Im Stil von Borat spielt er den Idioten, um auf diese Weise den Ku-Klux-Klan-Boss nach seinen schwarzen Freunden oder einen Swingerclub-Besitzer über sein Verhältnis zu Paris und über die Liebe auszuquetschen. Der Autor tritt ganz bewusst in alle nur erdenklichen Fettnäpfchen, um eine Diskussion anzustoßen. Das Artwork des Buches ist dabei nicht ganz zufällig im Stil eines „Indiana Jones“-Streifens gestaltet, man merkt Dennis Gastmann an, dass er auf der Suche nach einem Abenteuer gewesen ist. In diesem Zusammenhang scheint ihm auch keine Frage zu blöd zu sein. Mit seiner lockeren Schreibe sorgt er aber dafür, dass sein Konzept über 300 Seiten (zumindest weitestgehend) aufgeht. „Mit 80.000 Fragen um die Welt“ ist sehr humorvoll und selbstironisch getextet, zudem erfährt man interessante Dinge über solch exotische Eskapaden wie das Erwerben eines „Elefantenführerscheins“. Wer sich also mal wieder auf literarische Abenteuerreise begeben möchte oder noch eine unterhaltsame Lektüre für die nächsten Ferien sucht, darf gerne mal reinschnuppern. Er wird sehr viel Freude mit diesem Weltenbummler-Roman haben. Und ganz nebenbei auch das eine oder andere Klischee widerlegt bekommen.
Der Fotograf und Filmdesigner Andi Rogenhagen macht sich derweil daran, das Leben eines durchschnittlichen Akademikerkindes zu durchleuchten, das wegen einiger Schwächen im Fach „Französisch“ eine unbeabsichtigte Ehrenrunde in der Schule absolvieren darf. Die Schuld trägt in diesem Zusammenhang natürlich (wie immer) der Lehrer, der im Unterricht nur Geschichten von seinem Großvater und einem ominösen Denkmal aus seiner Heimatstadt erzählt, was natürlich dazu führen musste, dass Philipp (seiner eigenen bescheidenen Meinung nach) das Klassenziel gar nicht erst erreichen konnte, genauso wie sein Kumpel Borawksi – zusammen schmieden sie also in ihrem jugendlichen Leichtsinn einen ausgefeilten Racheplan und machen sich mitsamt Soldatenkopf in die Heimatstadt des Lehrers auf, um dessen geliebtes Denkmal ein wenig umzugestalten. Der Autor umreißt in „Heldensommer“ dabei vor allem die Reise der beiden Jungs durch die Provinz. Die rasante Erzählweise sorgt dafür, dass einen der Roman sofort bei der Hand nimmt. Die humorvolle Schreibe Rogenhagens tut ihr übriges, um die Geschehnisse möglichst lebensnah zu skizzieren. Der Rest wiederum sollte klar sein. Die beiden Freunde verändern sich durch die Reise. Ihr Weltbild wird auf den Kopf gestellt. Und am Ende sind die Beiden nicht mehr die Gleichen wie zuvor. Das alles hat sich Rogenhagen bei diversen Schmökern der Marke „Tschick“ und „Fänger im Roggen“ abgebauscht, er schafft es aber trotzdem seine Leser bis zum Ende bei der Stange zu halten. Womit wir dann auch schon wieder am Ende wären für heute. Also lasst es euch gut gehen. Bis zur nächsten Leserunde.
UND WAS NUN?