Heute wollen wir mal auf eine illustre Vampir-Reihe aufmerksam machen, die den blutleeren Biss-Romanen schon bald den Rang ablaufen könnte. Inzwischen ist die Serie „True Blood“ nämlich nicht mehr länger DVD- und Pay-TV-Guckern vorenthalten, sie läuft jetzt auch regulär im deutschen Fernsehen. Bemerkenswert an der Reihe ist, dass sie sich, ähnlich wie „Buffy“, mit zunehmender Lauflänge daran wagt, den Protagonisten eine gehörige Portion Tiefsinn einzuhauchen. Das famose Staffelfinale der dritten Season macht deutlich, warum sich der renommierte Sender „HBO“ an die Umsetzung der Romane gewagt hat. Waren die Charaktere in den ersten beiden Staffeln noch zweidimensional gezeichnet, scheint nun alles möglich. Genau hier schließt nun die Story des vierten Bandes an, der wie auch die Bände fünf bis zehn im „Deutschen Taschenbuch Verlag“ erschienen ist. Vampir Bill (die Große Liebe von Protagonistin Sookie Stackhouse) und Vampir Eric (Bills „Vorgesetzter“, der ebenfalls gerne an Sookies Haut knabbern möchte) wurden von Sookie aus ihrem Leben verbannt, weil sie am Ende des dritten Romans herausfindet, dass Bill sie betrogen hat. Natürlich kreuzen sich ihre Wege dennoch im vierten Band („Der Vampir, der mich liebte“). Die liebe Sookie muss nämlich nicht nur erfahren, dass sich ihr (ehemals) geliebter Bill ins Ausland absetzen möchte, sie schnappt sich auch noch den werten Eric, welcher gerade halbnackt durch die Straßen torkelt und nimmt ihn mit all seinen plötzlich vorhandenen Gedächtnislücken bei sich auf. Das wiederum ruft eine Horde wild gewordener Hexen auf den Plan, die aus Eric noch ein bisschen Schutzgeld herauspressen möchten. Um an dieser Stelle noch nicht zu viel zu verraten, sparen wir uns mal den weiteren Verlauf der Handlungsstränge. Nur so viel sei gesagt. Der Roman schafft es mit links an das hohe Niveau der Vorläufer anzuknüpfen, was dazu führt, dass man auch die folgenden Bände verschlingt, wie Seemannsknoten. Die folgenden Bücher „Vampire bevorzugt“, „Ball der Vampire“, „Vampire schlafen fest“ und „Ein Vampir für alle Fälle“ schaffen es, trotz der einfältigen Titel und des gewöhnungsbedürftigen Artworks, glaubhafte Geschichten zu erzählen, die sich mit einer blutrünstigen Parallelgesellschaft auseinandersetzen. Das Ganze ist zwar nicht komplett frei von kitschigen Momenten, die überraschenden Wendungen und seelischen Abgründe der Charaktere sorgen aber immer wieder dafür, dass man sich als Leser ein äußerst differenziertes Bild von einer Blutsauger-Gesellschaft bilden kann. Schöpferin Charlaine Harris bastelt sich Schritt für Schritt ihr eigenes, kleines Universum zusammen und lässt anfangs geliebte/verhasste Figuren fortwährend in einem anderen Licht erscheinen. Jedem Engel klopft eben doch immer ein kleiner Satansbraten auf die Schulter. Was dazu führt, dass sich das Geschehen in den beiden aktuellen Bänden „Vampirgeflüster“ und „Vor Vampiren wird gewarnt“ noch mal immens zuspitzt. Dabei ist es imposant, dass das Ganze niemals unglaubwürdig anmutet. Wenn man bedenkt, dass die Reihe davon lebt, dass immer wieder überraschende Twists in die Handlung eingeflochten werden, ist es schon bemerkenswert, dass man die Figuren auch nach zehn bisher veröffentlichten Bänden noch als glaubwürdig einstuft. Am Besten also einfach mal vorbei schauen in der Welt von Sookie Stackhouse. Es lohnt sich (nicht nur für Vampirfans). Für alle, die sowieso schon zum Fan geworden sind, sei außerdem angemerkt, dass erst vor kurzem ein elftes Buch erschienen ist. „Dead Reckoning“ heißt es und wird hoffentlich bald auf Deutsch erscheinen. Unser (bisheriges) Fazit lautet demnach: Macht schlichtweg süchtig, die Geschichte. Und für alle, die es jetzt schon nicht mehr erwarten können: Grabt doch mal im Archiv des „dtv“-Verlags und holt euch den Schmöker „Happy Bissday – Vampirgeschichten“ nach Hause. Die Kurzgeschichtensammlung mit Beiträgen von Jim Butcher, Tanya Huff, Kelley Armstrong, Elaine Viets und vielen Anderen, welche von Charlaine Harris und Toni L.P. Kelner zusammengestellt wurde, ist ein netter Zeitvertreib für gruslige Vollmondnächte und sollte die Zeit bis zum nächsten Sookie Stackhouse-Release in Windeseile verstreichen lassen.
Einen Klassiker der „Beat-Literatur“ kann man sich in diesen Tagen noch mal in seiner ursprünglichen Form zu Gemüte führen. „Naked Lunch“ von William S. Burroughs beeinflusste nicht nur Pop Musiker wie Kurt Cobain und Lou Reed, es zählt auch zu den wichtigsten Werken des vergangenen Jahrhunderts. Die Geschichte selbst dreht sich um einen homosexuellen Drogenabhängigen. Wobei der Roman vor allem deshalb so eingeschlagen haben dürfte, weil hier keine zusammenhängende Geschichte erzählt wird. Alles scheint irgendwie aus dem Gefüge gerissen, einen roten Faden gibt es nicht. Stattdessen lässt man sich als Leser von dem Strudel der Emotionen mitreißen, bis es kein Entkommen mehr gibt. Immer wieder blinzelt einem ein Hauch von Gesellschaftskritik entgegen: „Und dann diese öde Dumpfheit in den USA, die einen umgibt wie nirgendwo sonst in der Welt, schlimmer als hoch oben in den Bergstädten der Anden, wo der kalte Wind von den Postkartengipfeln weht, die dünne Luft kratzt wie der Tod in der Kehle, die Städte an den Flüssen Ecuadors, grau von Malaria wie Junk unter schwarzen Stetsons…“ Sätze, die ins Endlose driften. Das ist kein Roman, das ist die pure Poesie. Man möchte die Welt in einen Pappkarton packen und einmal kurz durchschütteln. Kein Stein darf auf dem Anderen bleiben. Immer wieder taumelt Burroughs´ Tonfall dabei ins Satirische, was dem geneigten Leser den einen oder anderen Lacher abringt. Selbige allerdings bleiben einem immer wieder im Halse stecken, denn die Themen, die der Autor hier streift (picken wir uns mal die Überwachungsgesellschaft heraus), sind heutzutage aktueller denn je. Dementsprechend kann man diesen Roman hier auch als Aufruf verstehen, die Welt zum Besseren zu verändern. Für William S. Burroughs scheint die Realität ein großes Puzzle zu sein, dessen Teile man nach Lust und Laune vertauschen kann. Auch deshalb ist „Naked Lunch“ ein visionäres Werk.
Gary Shteyngart läutet seinen aktuellen Roman „Super Sad True Love Story“ mit einem Tagebuch-Eintrag ein: darin heißt es, der Protagonist habe beschlossen, er würde niemals sterben. Womit bereits klar sein dürfte, dass hier jemand das Ein mal Eins des menschlichen Daseins noch mal aufs Neue aufrollen möchte. Blöd nur, dass die Themen „Liebe“ und „Leben“ bereits anhand zahlloser, literarischer Abhandlungen durchdekliniert wurden, was dem Leser ein hohes Maß an Geduld abverlangt. Bemerkenswert allerdings, dass es dem Leningrader Autoren und studierten Politikwissenschaftler gelingt, etwas Eigenständiges aus diesem alten Hut zu kreieren, was dazu führt, dass man seiner „Love Story“ nur allzu bereitwillig beim Entfalten zuschaut. Die Geschichte dreht sich in diesem Zusammenhang um einen gewissen Lenny Abramov, Sohn eines Hausmeisters, der nicht nur einen ausgeprägten Fimmel für Literatur mitbekommen hat, sondern auch für ein koreanisches Herzblatt namens Eunice Park, ihres Zeichens 24 und Studentin, die gerade in Rom um die Häuser zieht. Die junge Dame nimmt den weltfremden Bücherwurm also bei der Hand und erklärt ihm das Leben. Das wiederum führt dazu, dass ihr Lenny die Liebe / Schrägstrich / die menschlichen Aspekte unserer Existenz vor Augen führt. Das Ganze wiederum gerät zum Spektakel, weil ich schon lange keine so melankomische Geschichte mehr gelesen habe wie diese. Für Gary Shteyngart scheint das ganze Leben eine Realsatire zu sein, was auch dadurch deutlich wird, dass der Autor seine illustre Geschichte bereits einige Jahre vor dem gegenwärtig drohenden Kollaps des Wirtschaftssystems getextet hat. Um es deshalb in Noahs Worten auszudrücken: „Wir streamen diese Emotionen live“ – man muss nur die Gotze anschalten und sich die gegenwärtige Situation in den USA vor Augen führen, spätestens dann merkt man, dass die Realität diese fiktive Zukunftsvision bereits eingeholt hat. Wenn du herausfinden möchtest, was im Angesicht eines kollabierenden Finanzsystems noch in Sachen Menschlichkeit übrig bleiben könnte: Lies dieses Buch.
Wer sich derweil schon immer mal gefragt hat, was ein literarisches Meisterwerk von einem Groschenroman unterscheidet, der sollte sich mal den gelungenen Schmöker „Die Kunst des Erzählens“ zu Gemüte führen. Autor und Harvard-Absolvent James Wood richtet den Blick auf die Details, die einen als Laie den Unterschied erkennen lassen. Er schnappt sich in diesem Zusammenhang die Lyrik der Größten ihrer Zeit (ich sage nur: David Wallace Foster, auf dessen Roman „Unendlicher Spaß und das famose „Schrecklich amüsant“ wir in diesem Zusammenhang noch mal hinweisen möchten) und erläutert seinen Lesern, was er an deren Schaffen so besonders findet. Hierbei wird deutlich, dass Wood selbst ein begnadeter Texter ist. Nicht umsonst hat ihn das Magazin „Newsweek“ als einen der „besten Kritiker unserer Zeit“ bezeichnet. Das liegt unter anderem daran, dass er seine lyrischen Ergüsse mit einer gehörigen Portion Enthusiasmus durchsetzt. Man kann regelrecht fühlen, wie er brennt für das, was er tut. Weshalb es sich Daniel Kehlmann auch nicht nehmen lässt, im Vorwort die Werbetrommel für den langjährigen Chefkritiker des „Guardian“ zu rühren. Alles in allem ist „Die Kunst des Erzählens“ ein gefundenes Fressen für all jene, die gerne mal einen Blick hinter die Kulissen wagen. Das wirklich Bemerkenswerte an James Woods Geschichte ist allerdings, dass der Zauber auch, nachdem das Geheimnis gelüftet ist, nicht verfliegt.
Zum Abschluss haben wir dann noch einen kleinen Bonbon für alle Fans des überflüssigen Wissens im Gepäck. Das „Handbuch des nutzlosen Wissens“ von Hanswilhelm Haefs versammelt zahlreiche Infos über schwarzen Schnee, der in Schweden vom Himmel purzelt und rote Meere, das eigentlich blau sind. Wussten sie zum Beispiel, dass in Zitronen mehr Zucker ist, als in Erdbeeren. Oder das die Verpackung von Cornflakes nährstoffhaltiger ist, als die Cornflakes selbst. Hanswilhelm Haefs, der Verantwortliche für diesen schicken Almanach und ehemaliger Chefredakteur des „Archivs der Gegenwart“, hat sich reichlich Mühe gegeben, die Menschheit auf ihre Absurditäten abzuklopfen. Mit diesem Schinken wirst du zum Publikumsmagnet auf jeder WG-Party. Darüber hinaus macht es tierisch Spaß, das Ganze hinterher noch übers Web auf seinen Wahrheitsgehalt abzuklopfen. Soll heißen: auch unnützes Wissen bildet. Und wir verziehen uns jetzt erstmal zur Strandpromenade. Genießt die Ferien. Wir „lesen“ uns demnächst mal wieder.
// verfasst von Alexander Nickel-Hopfengart
UND WAS NUN?