John Niven hat mit „Kill Your Friends“ den ultimativen Abgesang auf das Lotterleben der Musikproduzenten geschrieben. Das Buch ist dermaßen fies getextet, dass der Nachfolge-Roman „Coma“ die hohen Erwartungen leider nur bedingt erfüllen konnte. Niven outete sich hier zwar als versierter Kenner des Golfsports, die popkulturellen Seitenhiebe des Erstlings blieben aber leider über weite Strecken außen vor. Nach diesem Nischenroman (was ich hier ausdrücklich nicht negativ meine) hat sich John Niven nun daran gesetzt, unsere komplette Gesellschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern. In “Gott bewahre“ wirft er die Frage auf: Was bitteschön würde passieren, wenn Gott uns nochmal seinen Sohn schicken würde, um mit all dem Unrat auf Erden so richtig aufzuräumen. Keine Bürgerkriege mehr, die Umweltzerstörung beenden, sogar Krankheiten könnten geheilt werden. Wobei die größte Stärke Nivens darin besteht, dass er mit gängigen Schemata bricht. So geht es ihm als Autor zunehmend auf den Sack, dass sich die Konservativen scheinbar des Allmächtigen ermächtigt haben und in seinem Namen gegen Schwulen-Ehe und Abtreibung hetzen. Also fährt er augenzwinkernd allerhand gängige Rechtfertigungsmuster der politischen Rechten gegen die Wand. JC (alias Jesus Christus) hat stattdessen nur eine simple Botschaft am Start: „Seid lieb“ zueinander. Und so findet er sich plötzlich mitten in New York wieder, wo er sich den Drogensüchtigen und Heimatlosen annimmt. So richtig in Fahrt kommt seine Kampagne allerdings erst, als er sich entschließt in einer Casting-Show aufzutreten. Wie Niven in diesem Zusammenhang unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält, ist ein literarisches Meisterstück, das vor Heimtücke nur so strotzt. Umso mehr freut es uns, dass er am 5. Oktober zusammen mit Ex-Muff Potter-Sänger Nagel im Jugendkulturhaus Cairo in Würzburg zu Gast ist. Hingehen, bitte.
Der 27jährige Leif Randt wurde nicht nur mit dem „Ernst Willner Preis 2011“ ausgezeichnet, er hat auch ein imposantes Gedankenexperiment am Start. „Schimmernder Dunst über Coby County“ erzählt die Geschichte eines jungen Menschen, der in einer wohl behüteten Oase aufwächst. Alles, was er zum Leben braucht, wird ihm auf dem Präsentierteller serviert. Einziges Ziel ist es, sich selbst bestmöglich zu entfalten. Was allerdings passiert, wenn jemand sich plötzlich dafür entscheidet, eine solche Welt der illustren Rundum-Versorgung zu verlassen, das lässt sich hier nachspüren. Die watteweiche Welt kann einem nämlich ganz schön auf die Nerven fallen. Woran bitteschön soll man sich denn noch die Hörner abstoßen, wenn alle Bedürfnisse fortwährend erfüllt werden? Wofür das Ganze, wenn da doch nichts mehr ist, für das es sich zu Kämpfen lohnt? Durch seine unbeteiligte Schreibe sorgt der Autor schrittweise dafür, dass ein subtiler Schrecken einkehrt. Das Monster namens Langeweile klopft an die Tür und sorgt dafür, dass alles Menschliche verkümmert. Das eigene Leben wird zu einer Art Reality-Soap zurechtgestützt, wo jedes Gefühl direkt mit dem gängigen Muster des Normalbürgers abgeglichen wird. Am Ende dreht sich alles nur noch um diese oder jene Option. Nicht mal ein nahender Sturm, der den ganzen Ort in Schutt und Asche zu legen droht, führt mehr dazu, dass der Protagonist dieses Romans auch nur den Hauch einer echten Emotion zulässt. Selbiger ist vor allem aufgrund seiner abgeklärten Haltung bemerkenswert und skizziert schemenhaft, wie unser Leben aussehen könnte, wenn Menschen von allen Pflichten befreit sind und zu viel Zeit dafür haben, ihr eigenes Dasein zu reflektieren. Das Ergebnis ist erschreckend. Der Sex und auch der anschließende Verlust der Freundin wird anhand einer Art Emotionspalette abgehandelt, die aus einem Sammelsurium von bereits gemachten Erfahrungen diverser Menschen besteht. Eben deshalb sollte man sich dieses literarische Ereignis auf keinen Fall entgehen lassen. Dieser Roman trifft den Nerv einer Generation, die sich im Postmaterialismus suhlt.
Es gibt Roman, die ziehen einen schon nach wenigen Sekunden in ihren Bann. Tom Rachman, ein studierter Journalist und ehemaliger Auslandskorrespondent der „Associated Press“ trifft mit seinem Buch „Die Unperfekten“ exakt den Nerv einer Generation, die sich irgendwie durchzuschlagen versucht. Seine Leserschaft geleitet er nach Rom, das Hauptaugenmerk seines Buches aber richtet der gebürtige Londoner auf das Innenleben seiner Charaktere, die allesamt vor der Entlassung stehen. Die Tageszeitung, für welche sie tätig sind, steht nämlich kurz vor der Einstellung. Den Chef selbst, einen nichtsnutzigen Erben, schert das allerdings nur bedingt – die Texterin Ruby, die Chefredakteurin Kathleen und den Korrespondenten Lloyd allerdings umso mehr und so dient der Umbruch in ihrem Leben den einzelnen Protagonisten dazu, das eigene Privatleben ein bisschen auf den Kopf zu stellen. Ziel des ganzen Unterfangens ist es: irgendwie über die Runden zu kommen und dabei das „Leben“ selbst nicht außer Acht zu lassen. Rachman gelingt es in diesem Zusammenhang ganz vortrefflich seinen Lesern die unterschiedlichen Charaktere näher zu bringen, was dazu führt, dass er ihnen jeweils eines seiner Kapitel schenkt, um am Ende dann nochmal alles auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Irgendwie sind wir doch alle mit einer Gabe namens „Fehlbarkeit“ ausgestattet, was immer wieder dazu führt, dass man sich dabei ertappt fühlt, regelrecht mitzufiebern, wenn sich plötzlich wieder ein Missgeschick zum groß angelegten Drama auswächst. So werden hier unter anderem Quellenangaben gefälscht oder ellenlange Nachrufe auf ein Minimum zusammengestrichen, außerdem wird sich für die Entlassung von einer gewissen „Miss Buchhaltung“ mit fiesen Verführungskünsten revanchiert. All das immer zum Leidwesen derer, die es verbrochen oder verbockt haben. Dass Rachman das alltäglich Treiben mit einer gehörigen Portion Humor kontert, sorgt am Ende allerdings dafür, dass man immer wieder ins Schmunzeln gerät und so manches Desaster sich ins Gegenteil verkehrt. Am Ende geht es nämlich immer irgendwie weiter. Muss ja. Was will man denn auch sonst machen? Ein perfekter Roman über die weniger perfekten Momente im Leben, die Selbiges erst so richtig l(i)ebenswert machen.
Mit dem Buch „Der letzte Mad Man – Bekenntnisse eines Werbers“ verhält es sich ähnlich wie mit einem zweiten Teil eines großen Kassenschlagers. Die ausgesprochen unterhaltsame und durchaus anspruchsvolle amerikanische Serie, welche auch schon im deutschen Fernsehen (ZDFneo) gezeigt wurde, zeigt die glamouröse Welt der jungen (männlichen) Werber der Madison Avenue im New York der 1960er Jahre. Sie wurde 2008, 2009 und 2010 jeweils mit dem „Golden Globe“ als beste Drama-Serie ausgezeichnet. Jerry della Femina (*1936) ist einer der legendärsten Werber Amerikas und erzählt über seine Zeit in diversen Werbeagenturen und den damit verbundenen dekadenten Lebenswandel der einzelnen Protagonisten. In den 1970er war das Buch ein Bestseller und wurde nun noch einmal auf Neue veröffentlicht. Für den Leser, der gerne mehr über das alltägliche Leben der Werber erfahren möchte belässt es der Autor leider bei Andeutungen oder Darstellungen, die später auch noch dementiert werden. So antwortete Jerry auf die Frage, ob die Serie das alltägliche Leben der damaligen Zeit treffend widerspiegelt, mit „viel zu harmlos. Es war alles noch viel wilder“. Interessant dürfte das Buch dennoch für diejenigen sein, die Interesse an der Entwicklung von großen amerikanischen Werbe-Agenturen haben. Auf diesem Gebiet ist Jerry Della Femina wirklich ein Experte und gibt tatsächlich brauchbare Auskünfte. (K. Reschke)
Wer derweil mal wieder wissen möchte, wie es sich so anfühlt, wenn alles in einem drin verrückt spielt, während man einer bestimmten Person in die Augen blickt, der sollte sich mal die Kurzgeschichtensammlung „Heartcore – Liebe ist ein Aufstand“ zu Gemüte führen. Die Texte von Johanna Merhof versprühen eine gewisse Aufbruchsstimmung. Die Kasseler Literatin versteht es die Irrungen und Wirrungen unseres Liebeslebens in hübsche, kleine Geschichten aus der Großstadt zu verpacken. Den einzelnen Textpassagen werden herzallerliebste Popsongs vorangestellt, so dass das Ganze auch noch dazu einlädt den passenden Soundtrack dazu in die Stereoanlage zu schubsen. Bloc Party, Tocotronic und Ryan Adams geben die Richtung vor und sorgen dafür, dass der „Seiltanz zwischen Himmel und Hölle“ zum gelungenen Unterfangen gerät. Der enthusiastische Überschwang mit welchem die Autorin hier textet, schraubt die Fallhöhe zwar ziemlich weit nach oben, ihr gelingt der Drahtseilakt aber über weite Strecken ausgesprochen gut. Für Sätze wie „Der Himmel weint mit mir um die Wette. Und ich liege eindeutig in Führung“ möchte man sie entnervt verfluchen und knuddeln zugleich. Man muss sich einfach einlassen auf dieses Werk. Wer dazu bereit ist, wird aus dem Grinsen nicht mehr herauskommen. Und damit genug für heute. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
UND WAS NUN?