Einer „der interessantesten Comics des Jahres“ nennt die angesagte, britische Gazette „Wired“ das neueste Werk von Mike Carey und Peter Gross. „The Unwritten“ ist ein nahezu atemberaubender Augenschmaus. Besonders phantasievoll ist in diesem Zusammenhang vor allem die ambitionierte Geschichte der Graphic Novel, die das Leben eines gewissen Tommy Taylor in den Mittelpunkt rückt. Der werte Herr ist der Sohn eines überaus talentierter und erfolgreicher Romanautors von (na was glaubt ihr…) Fantasy-Geschichten und seit geraumer Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Dazu kommt, dass Tommy auch noch von seinem Vater als Projektionsfläche für seine Geschichten benutzt wird, weshalb sein literarisches Alter-Ego inzwischen so ungefähr den Status eines weitläufig bekannten Zauberlehrlings innehat. Tom hat also damit zu kämpfen, dass ihn die Fans der Bücher seines Vaters als lebendige Fantasiefigur verehren. Noch dazu gerät sein Leben zunehmend aus den Fugen, als er feststellt, dass sich bisweilen wirklich unerklärliche Dinge in seiner direkten Umgebung abspielen. Sind Daddys Geschichten vielleicht doch mehr wert, als das Papier, auf welchem sie gedruckt wurden? Und was passiert, wenn die Grenze zwischen Realität und Fiktion sich zunehmend auflöst? Ist das Leben am Ende nur ein weiterer böser Traum oder steckt da noch mehr dahinter? Es sind die existenziellen Fragen, die im Rahmen der Erzählung thematisiert werden. Womit „The Unwritten“ letztlich nicht nur ein gefundenes Fressen für Fans von Harry Potter sein sollte, sondern darüber hinaus auch zweifelsfrei zu den bisher außergewöhnlichsten Comic-Reihen des Jahres zählt. Mehr davon, bitte…
Episodisch geht derweil die Graphic Novel „Die besten Zeiten“ vor, die sich auf glaubwürdige Weise mit dem Leben in der Großstadt auseinander setzt. Und so verknüpft Autor Andreas Dierßen auf sympathische Weise die unterschiedlichen Lebensläufe eines betrogenen Entführers, eines klauenden Rentners und eines lügenden Mädchens miteinander, ohne dass es am Ende allzu gewollt anmuten würde. Vielmehr ergänzen sich die einzelnen Erzählstränge zunehmend zu einem großen Ganzen, was dazu führt, dass man die Erzählung in einem Rutsch durchschmökern möchte. Aufgrund der kruden Charakterzüge, mit welchen Dierßen seine Protagonisten auszeichnet, werden immer wieder schöne Erinnerungen an die Geschichten Woody Allens wach. Der Band hier lebt von seiner Situationscomic und zeigt, dass dem Autor auch nach jahrelanger Abstinenz im Comic-Bereich sein Talent nicht abhanden gekommen ist. Auch wenn mancher Erzählstrang in Sachen Glaubwürdigkeit nur schwer nachzuvollziehen ist, erliegt man mit zunehmender Dauer dem Charme dieser Geschichte. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass der Autor es schafft, das Absurde an unserem Dasein in simple Bilder zu transformieren, so dass dem Leser abschließend immer wieder ein Grinsen übers Gesicht huscht. Am Ende steckt nämlich der hoffnungsvolle Gedanke in diesem Buch, dass eben doch jeder seine gerechte Strafe bekommt. „Die besten Zeiten“ ist ein durch und durch außergewöhnliches Werk.
Und mit etwas Verspätung möchten wir im Rahmen des Strichcodes nun auch endlich mal auf eine ganze Reihe von Graphic Novel-Veröffentlichungen hinweisen, welche uns der Verlag der „Süddeutschen Zeitung“ derzeit auf dem Silbertablett serviert. Die einzelnen Bände sind ein gefundenes Fressen für Neueinsteiger in Sachen gehobener Comickunst. Als Leser wird man auf diese Weise mit hochwertigen Geschichten zu einem verhältnismäßig geringen Eintrittsgeld versorgt. Die Anschaffung von Alison Bechdels „Fun Home“ lohnt sich darüber hinaus schon allein deshalb, weil ihre autobiografische Familiengeschichte an der makellosen Fassade unseres Daseins kratzt. Die junge Protagonistin sieht sich jedenfalls damit konfrontiert, dass ihr Vater homosexuell ist. Das Blöde an der ganzen Geschichte ist nur, dass der werte Herr Vater trotzdem ein normales Familienleben führen möchte, was schließlich zu allerhand explosiven Situationen führt. Das Unterdrücken der eigenen Gefühle führt dazu, dass Alisons Vater immer wieder dazu neigt, seine Tochter zu tyrannisieren, selbige andererseits leidet unter den ständigen Stimmungsschwankungen von Bruce (so dessen Name) und geht deshalb bei ihrer grafischen Vergangenheitsbewältigung nur umso schonungsloser vor. „Fun Home“ ist in diesem Zusammenhang aber keine hasserfüllte Abrechnung mit all den Dingen, die in der Vergangenheit schief gelaufen sind, vielmehr wird immer wieder die Liebe der Tochter zu ihrem Vater spürbar. Die kritische Haltung gegenüber den gesellschaftlichen Zwängen, welche das ganze Drama auslösen, sorgt dafür, dass man Alison Bechdels Buch auch als Anklage an das konservative Wertesystem vielerorts verstehen darf. Die blassen Zeichnung spiegeln darüber hinaus perfekt das distanzierte Verhältnis zwischen Vater und Tochter wieder und machen deutlich, wie viele Möglichkeiten den beiden noch offen gestanden hätten, wäre Alisons Vater nicht aus dem Leben gerissen worden, nachdem ihn ein LKW erfasste.
Womit wir dann auch schon bei Reinhard Kleists Comic-Adaption des Lebens von Johnny Cash angelangt wären. All jene, die sich schon bei „Walk The Line“ schluchzend in die Arme der Begleiterin/des Begleiters sinken ließen, sollten sich „Cash – I See A Darkness“ romantisch am heimischen Kaminfeuer zu Gemüte führen. Natürlich haben biografischen Erzählungen immer so ein bisschen mit dem Problem zu kämpfen, dass aus dem Alltag des Protagonisten ein entsprechender Spannungsbogen generiert werden muss. In diesem Zusammenhang gibt es nur wenige gelungene Ausnahmen (der Streifen „I´m Not There“ über das Dasein Bob Dylans sei hier lobend erwähnt). Reinhard Kleist allerdings hält sich im Gegensatz dazu eng an die biografischen Vorgaben von Cashs Leben, was dazu führt, dass man am Ende nicht nur eine spannende Geschichte lesen darf, sondern sich auch gut informiert fühlt über das irdische Dasein des Meisters. Neben seinem ersten Gehversuchen als Musiker, dem legendären Knastauftritt im „Folsom Prison“ wird darüber hinaus auch das späte Leben des Künstlers in schwarzweißen, bisweilen skizzenhaften Bildern eingefangen. Der ganze Band strahlt darüber hinaus eine solch bedrückende Atmosphäre aus, dass man sich regelrecht in einen Rausch liest. Es lohnt sich durchaus, sich parallel zur Graphic Novel die Gesamtedition der „American Recordings“ zu Gemüte zu führen. Die Aufnahmen mit Produzent Rick Rubin haben Cash nicht nur einen zweiten Frühling in seiner Karriere beschert, sie kehren auch völlig neue Facetten seines Innenlebens nach außen, obwohl er sich diesbezüglich fast ausschließlich auf Cover-Versionen beschränkt. „I See A Darkness“ bleibt damit seinem düsteren Titel treu und breitet auch die Schattenseiten des Künstlerdaseins offen vor einem aus. Gerade im Antlitz des drohenden Endes wächst Cash in musikalischer Hinsicht noch ein letztes Mal über sich hinaus. Trent Reznors Worte dringen aus seinem Mund: „Everyone I Know Goes Away In The End“… soll heißen: alles ist vergänglich, nur diese Songs, die werden bleiben.
Genauso wie das Schaffen des renommierten Zeichners Jiro Taniguchi, der uns schon zahlreiche, wirklich gelungene Geschichten aus dem Bereich der gehobenen Manga-Unterhaltung präsentierte. Im Vorwort seines bis dato vielleicht größten Werks „Vertraute Fremde“, welches ebenfalls im Rahmen der „Süddeutsche Zeitung Bibliothek“ erschienen ist, spricht Autor Klaus Schikowski in diesem Zusammenhang von einer „Poesie des Alltags“ und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Im Rahmen seiner Erzählung entführt uns Taniguchi in die 60er Jahre. In Japan kommt die Wirtschaft so langsam in die Gänge und sorgt dafür, dass sich die Menschen zunehmend mit dem technologischen Fortschritt auseinander setzen müssen. In „Vertraute Fremde“ geht es darum, sich zurechtzufinden mit veränderten Bedingungen. Es geht um das Leben selbst und den gesellschaftlichen Wandel, welchem wir als Menschen unterworfen sind. Es geht darum nach vorne zu blicken und sich den unterschiedlichen Herausforderungen des Alltags zu stellen. In gewisser Weise ist „Vertraute Fremde“ damit eine Heldengeschichte im klassischen Sinne, nur dass es hier keine Monster oder Gespenster zu besiegen gilt. Taniguchi hat sich dazu entschlossen das echte Leben zum Schauplatz seiner Geschichte zu machen, was dazu führt, dass man schon nach wenigen Seiten eine gewisse Verbundenheit zur Hauptfigur, einem gewissen Hiroshi Nakahara, verspürt. Der 48jährige Architekt fällt am Grab seiner Mutter in eine tiefe Ohnmacht und wacht plötzlich als 14jähriger wieder auf. Fortan möchte er mit der Weisheit, welche ihm das Leben schenkte, herausfinden, warum sein Vater damals seine Familie und ihn selbst hinter sich ließ und seitdem nie wieder auftauchte. „Vertraute Fremde“ behandelt diesbezüglich also nicht nur den gesellschaftlichen Wandel der japanischen Gesellschaft, es verknüpft ihn auch mit einer persönlichen Tragödie, was immer wieder für emotionale Momente beim Leser sorgt. Ob sich am Ende doch noch alles zum Guten wendet und Hirsoshi Nakahara seinen inneren Frieden findet? Am Besten du findest es selbst heraus. Es lohnt sich.
Die ambitionierte Manga-Reihe „Pluto“ geht derweil in die nächste Runde und erzählt uns von einer fernen Zukunft, in der Mensch und Maschine in friedlicher Ko-Existenz ihr Dasein auf Erden fristen. Blöd nur, dass das gute Verhältnis der beiden Lebensformen durch eine Mordserie auf angesehen Roboter auf eine harte Probe gestellt wird. So gilt es für unseren Protagonisten, einen gewissen Inspektor Gesicht, erst einmal herauszufinden, wer hinter den mysteriösen Anschlägen steckt. Im Stil von grafischen Meisterleistungen wie Akira und Watchmen geleiten einen die beiden Schöpfer Naoki Urasawa und Takashi Nagasaki durch ihre düstere Zukunftsversion und dürften diesbezüglich vor allem bei Fans der Reihe „Astro Boy“ für Freudensprünge sorgen. Wie das kindlich anmutende Original in ein Comic für Erwachsene überführt wird, verdient Respekt. Drei Eisner-Award-Nominierungen und eine für den „Preis der Comicläden“ in Frankreich konnte das Duo bereits einheimsen und es könnten durchaus noch mehr werden, wenn sie es schaffen, das hohe Niveau der Bücher fünf und sechs über die volle Distanz dieser auf acht Bände angelegten Reihe zu halten. In Band fünf spitzt sich die Situation weiter zu. Um den Roboter Adolf zu schützen bringt ihn Pluto an einen sicheren Ort, im Laufe des Buches wird er außerdem von seltsamen Gefühlen übermannt, die er nicht so recht einzuordnen weiß. Roboter sind nämlich, so viel sollte man wissen, nicht darauf programmiert, eigene Gefühle zu entwickeln. Und so hat es Gesicht nicht mehr allein mit seinem unbekannten Gegenspieler zu tun, sondern ringt auch zunehmend mit sich selbst. Die Geschichte selbst wird diesbezüglich erstmals ein wenig in den Hintergrund gerückt, um dem Protagonisten mehr Tiefgang einzuhauchen. Das gefällt und sorgt dafür, dass Pluto im sechsten Band endlich dem Drahtzieher auf die Spur kommt. Wer es ist, wird hier natürlich noch nicht verraten. Und die Geschichte ist mit dem Lüften der Identität auch noch nicht zu Ende. Das Morden geht nämlich weiter. Doch die Polizei klebt an den Fersen des Täters. Stellt sich nur die Frage, ob sie den Verantwortlichen auch schnappen können…? Wir jedenfalls sind gespannt und freuen uns auf ein fulminantes Abschlussfeuerwerk.
Und nach einer scheinbar endlosen Wartezeit für nimmersatte Fans wie mich erscheint in diesen Tagen auch endlich mal wieder ein neuer Band der sympathischen Slacker-Reihe Scott Pilgrim. Getreu dem Motto: „Das Schicksal ist ein Arsch“ macht sich Scott aufs Neue daran, das Herz seiner Angebeteten zu erobern. Doch Ramonas Liebe – so der Name der Auserwählten – kann Scott nur für sich gewinnen, wenn er vorher ihre sieben Ex-Freunde besiegt. Und so muss er sich auch diesmal wieder mit allerhand Verrückten herumschlagen, um sein großes Ziel zu erreichen. In „Scott Pilgrim gegen das Universum“ bekommt er es sogar mit Zwillingen zu tun, wobei die Kämpfe selbst zwar nett anzuschauen sind, das eigentliche Spektakel aber hinter den Kulissen stattfindet, wo sich Scott und Ramona langsam aber sicher immer näher kommen. Schöpfer Bryan Lee O´Malley bleibt diesbezüglich seinem Zeichenstil treu und beginnt auch die Figur der Ramona mit mehr Tiefgang auszustatten. Als sie herausfindet, dass Scott bisweilen noch ein anderes Mädchen datet, muss Selbiger plötzlich zwei brenzlige Situationen auf einmal meistern. Ob er aus der ganzen Geschichte am Ende heil herauskommt und es doch noch ein Happy End gibt? Warten wir es ab. Unabhängig davon ist Scott Pilgrim genau der Comic von dem man sich in nicht allzu ferner Zukunft wünschen würde, Kevin Smith würde sich seiner noch einmal in Serien-Form annehmen und die zahlreichen popkulturellen Seitenhiebe stärker in den Mittelpunkt rücken.
Hauck & Bauer aus dem unterfränkischen Alzenau (jetzt wohnhaft in Berlin und Frankfurt), bekannt aus der „FAS“ („Am Rande der Gesellschaft“), „Titanic“ oder „Spiegel online“, haben sich für ihren neuesten Ratgeber „Bin ich Jesus?“ noch einen weiteren Co-Autoren geleistet: Michael Tetzlaff aus Thüringen gibt zusammen mit den Beiden auf 95 Seiten hilfreiche Tipps wie man auf Fragen antworten kann, wenn man faktisch nichts zu sagen hat. Nach der „Lektüre“ ist man nicht mehr der sprachlose Hinz und Kunz, sondern antwortet, wenn man für die Beantwortung der Frage Zeit gewinnen möchte, im Stile eines Politikers mit „Das muss ich erstmal sacken lassen.“ oder „Hach, schwierig.“. Des Weiteren geben die Herren auch Ratschläge für Situationen in denen Sie „überhaupt nicht wissen, wie Sie reagieren sollen“ und führen an praktischen Beispielen vor Augen, wie sich ein nerviges Gespräch sofort beenden lässt. Dabei bedienen Sie sich nicht nur der „Plattitüden“ von Fettes Brot („Jein“), Aristoteles („Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“) oder Louis de Funes („Ah, oh, ah!“), sondern auch bei Beckenbauer, Kerner, Einstein und vielen Weiteren. Fazit: ein nettes kleines Büchlein mit praktischen rhetorischen Kniffen für das alltägliche Leben. (verfasst von K. Reschke)
Womit wir dann auch schon beim aktuellen Band von „Locke & Key“ angelangt wären, der nach langer Wartezeit nun beim „Panini-Verlag“ erschienen ist. „Schlüssel zum Königreich“ treibt den Spannungspegel weiter in bester Stephen King-Manier auf die Spitze und ringt den einzelnen Charakteren der Familie Locke zunehmend neue Facetten ab. Selbige wiederum streunen immer noch auf dem Anwesen ihres Onkels Duncan herum und bemächtigen sich einiger magischer. Parallel dazu versucht ein gewisser Zack Wells den Schlüssel zu einer so genannten „Schwarzen Tür“ zu finden, weshalb er sich fortwährend daran macht, die Familienmitglieder zu observieren. Autor Joe Hill und Zeichner Gabriel Rodriguez gelingt es das mysteriöse Treiben weiter spannend zu halten ohne sich vollends in höllischen Szenarien zu verlieren. Stattdessen sind für den Leser nach dem äußerst düsteren, dritten Band auch wieder einzelne Lichtblicke am Ende des Tunnels zu erhaschen, zudem schreitet die Handlung schneller voran. Dass sich der Zeichenstil zu Beginn des Bandes vollkommen verändert, sorgt darüber hinaus für Abwechslung. Es spricht für das talentierte Duo, dass sich am Ende dann doch wieder alles zu einem homogenen Gesamteindruck zusammenfügt. Wer auf spannende und hochwertige Comic-Unterhaltung steht, kommt an dieser Reihe nicht vorbei. Und wir sind erstmal raus für heute. Bis zum nächsten Strichcode.
UND WAS NUN?