Als hierzulande erstmals die Comic-Reihe „Stuck Rubber Baby“ erschienen ist, wurde sie vom zuständigen Verlag noch als „Comic-Roman“ bezeichnet. Man wollte damit die Ernsthaftigkeit dieses Werks herausstellen. In Zeiten der Graphic Novels, wo reihenweise literarisch-anspruchsvolle Geschichten erscheinen, ist so etwas natürlich nicht mehr nötig. Nötig allerdings erscheint es die Geschichte von Howard Cruse auch für alle Nachzügler verfügbar zu machen. Diesem Unterfangen hat sich jetzt der „Cross Cult“-Verlag angenommen. In der Geschichte dreht sich alles um das „Coming Out…“ eines gewissen Toland Pork. Da die Geschichte Anfang der 60er Jahre spielt, werden in diesem Zusammenhang aber auch zahlreiche zeitgeschichtliche Momente aufgegriffen, so dass man ein differenziertes Bild der damaligen Verhältnisse präsentiert bekommt. Toland Pork selbst schließt sich im Jahr 1963, kurz nach der Ermordung von Präsident Kennedy, einer Gruppe von Künstlern an, die sich für ein Amerika ohne Rassentrennung und Bigotterie engagieren. Jeder von ihnen hat sein eigenes Motiv sich zu engagieren und hätte es damals schon die Streitschrift „Empört euch!“ von Stéphane Hessel gegeben, sie hätten sich wohl alle in seinen Worten wieder gefunden. Aufgrund der tiefsinnigen Charaktere ist „Stuck Rubber Baby“ ein episches Unterfangen geworden, dass einen Schritt für Schritt in einen Sog der Emotionen reißt. Die schwarz-weißen Zeichnungen offerieren einem als Leser ein detailliertes Bild des damaligen Geschehens / der damaligen Missstände. Die Vorurteile der damaligen Zeit scheinen sich in den Gesichtern der Protagonisten wieder zu spiegeln. Kein Wunder, dass Schöpfer Howard Cruse nach der Vollendung dieses Lebenswerks erstmal keinen Stift mehr zur Hand nehmen wollte. „Stuck Robber Baby“ hat ihm alles abverlangt, was in ihm steckte. Es wird wohl auf ewig sein größtes Werk bleiben, auch wenn seine weiteren Geschichten, wie „Am Rande des Himmels“ oder „The Advocate“ durchaus auf positive Resonanz in Kritikerkreisen stießen. „Stuck Rubber Baby“ spielt heute in einer Liga mit einem Klassiker wie „Maus“ von Art Spiegelmann und wurde völlig zu recht mit einem Eisner- und einem Harvey-Award ausgezeichnet. Wer auf anspruchsvolle, zeitgeschichtlich relevante Comic-Unterhaltung steht, sollte sich dieses Werk auf keinen Fall entgehen lassen.
Eine bemerkenswerte Geschichte über einen kleinen Jungen, der sich mit dem Mörder seiner Eltern anfreundet, ist in diesen Tagen im „Schreiber & Leser“-Verlag erschienen. „Der Mörder weinte“ umreißt das schwierige Verhältnis der beiden, vom Schicksal aneinander gebundenen Existenzen. Die Graphic Novel von Thierry Murat ist eine Adaption des Romans Anne-Laure Bondoux. Im Rahmen des Comics selbst wird in diesem Zusammenhang kaum gesprochen. Der Autor beschränkt sich vorwiegend auf seine vielschichtigen Motive, die den Leser auf eine Reise mitnehmen. Zwischenzeitlich werden immer wieder Textpassagen zwischen geschoben, welche die Handlung voranschreiten lassen. Die düsteren Motive machen aufgrund ihrer Weitläufigkeit die Distanz der beiden Charaktere zu ihrer Umwelt deutlich. Alles in dieser Geschichte scheint von Einsamkeit zerfressen und die karge Natur bietet auch keinen echten Rückzugsraum mehr, um für die gescholtene Seele als Rettungsanker zu fungieren. „Der Mörder weinte“ fängt die ganze Hoffnungslosigkeit der Situation treffend ein und macht deutlich, wie gnadenlos das Leben manchmal voranschreitet, wenn selbst der Mörder der eigenen Eltern das Licht am Ende des Tunnels verkörpert. Ob sich das Duo am Ende mit dieser Situation arrangiert oder die Bruchstellen zum Riss des Bandes zwischen den beiden Charakteren führen, was sie letztlich nur noch weiter in Richtung Isolation schubsen würde: am Besten du findest es selbst heraus. Es lohnt sich.
Wer sich schon immer mal gewünscht hat, Matt Groening möchte doch bitte seine beiden größten Errungenschaften namens The Simpsons und Futurama in einer gemeinsamen Geschichte vereinen, der sollte sich jetzt mal schnell in die Comic-Abteilung einer nahe gelegenen Buchhandlung begeben. Da steht nämlich seit kurzem ein monströses Album namens „Die Simpsons / Futurama Crossover Krise“ in den Regalen und macht auf 200 Seiten eine äußerst gute Figur. Hin und wieder neigen solchen Generationstreffen ja durchaus dazu, über den A-Ha-Effekt hinaus, nichts wirklich Spannendes in der Hinterhand zu haben. Im Falle dieses Crossovers aber haben Groening und sein Partner (und Zeichner) Bill Morrison ganze Arbeit geleistet. Direkt nach dem Öffnen des Hochglanz-Pakets kommt man aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Im Rückumschlag steckt doch tatsächlich ein Nachdruck der allerersten, deutschen Simpsons-Ausgabe, was schon allein den Kauf dieses Werks rechtfertigen sollte (Selbige wurde übrigens im Jahre 1993 mit einem Eisner Award ausgezeichnet). Wenn dann Fry und seine Kumpels gleich zu Beginn auch noch mithilfe eines Comics im Comic in die Welt der Simpsons geschleudert werden, nimmt der Wahnsinn seinen Lauf. Homer und Bender rotten sich zusammen und beginnen sich den trüben Tag ein bisschen schöner zu trinken. Fry und Bart hecken zusammen ein paar fiese Missetaten aus und Leela und Lisa halten der naiven Männerwelt den Spiegel vor. Darüber hinaus werden auch noch ein paar imposante Sidekicks in Richtung „Star Wars“ zwischen gestreut, wenn die Simpsons sich plötzlich aufgrund eines Risses im Raum-Zeit-Kontinuum im New York des 31. Jahrhunderts wieder finden. Dass in diesem Zusammenhang sowohl der eigenwillige Humor von Futurama, wie auch die gesellschaftskritischen Momente der Simpsons, nicht auf der Strecke bleiben, ist bemerkenswert. Gerade dann nämlich, wenn die Protagonisten aufeinander treffen, wächst dieser Comic-Band regelrecht über sich hinaus und bringt einen immer wieder dazu, lauthals loszulachen. Bleibt am Ende eigentlich nur zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen dazu entschließen, eine entsprechende Leinwand-Version dieses Crossovers aus dem Ärmel zu schütteln.
Wenn man eine Karriere als Journalist starten möchte, muss man erstmal etwas Eigeninitiative in die Wagschale werfen. So macht sich in der Graphic Novel „Die schwarze Seite“ eine junge Journalistin namens Kerry Stevens auf, ein Interview mit dem renommierten Autor Carson McNeal zu organisieren. Blöderweise ist eben jener dafür bekannt, in bester Pearl Jam-Manier alle Interviews gnadenlos abzulehnen. Es gibt keinerlei persönliche Informationen über den werten Herren und so scheint er Stevens der perfekte Kandidat, um ihren eigenen Namen in journalistischer Hinsicht etwas aufzuwerten. Sie schleicht also in dessen Redaktion herum und dabei fallen ihr doch tatsächlich die Aufzeichnungen seines neuen Romans in die Hände. Als ob das nicht genug wäre, täuscht sie darüber hinaus einen Unfall vor, wirft sich vor das Auto des Autors und erschleicht sich auf diese Weise schrittweise sein Vertrauen, um ihn anschließend so richtig auszuquetschen. Ob sie mit ihrem Täuschungsversuch durchkommt oder irgendwann von Gewissensbissen heimgesucht wird. Am Besten du findest es selbst heraus. „Die schwarze Seite“ ist nicht nur aufgrund seiner spannenden Geschichte ein äußert reizvolles Unterfangen. Die Geschichte von Frank Giroud und Denis Lapiére ist auch äußerst ansprechend umgesetzt. Dafür sind vor allem Zeichner Ralph Meyer und Koloristin Caroline Delabie verantwortlich. Die sorgen nämlich auch storytechnisch für Abwechslung, wenn sie parallel zur Geschichte auch noch die Story des unveröffentlichten Romans in Szene setzen.
Darf ich vorstellen, meine Damen und Herren, hier kommt „Canardo“. Seines Zeichens Enteninspektor auf gefährlicher Mission, von Zeichner Benoit Sokal treffend in Szene gesetzt. Der gebürtige Brüsseler Autor hat nicht nur ein Studium an einer Kunsthochschule in seiner Heimatstadt absolviert, er hat mit der Reihe Canardo auch ein ganzes Universum kreiert, das sich um den widerborstigen Enterich dreht. Viele sehen Canardo in diesem Zusammenhang als die französische Antwort auf Donald Duck. Politisch inkorrekt säuft und raucht der Protagonist, was das Zeug hält und schart auf diese Weise bereits seit 30 Jahren zahlreiche Fans um sich. Der eigenwillige Zeichenstil des Comics, der treffend den damaligen Zeitgeist wieder spiegelt und die rotzfreche Schnauze des Anti-Helden erinnern so ein bisschen an die Serie „Columbo“, was sich auch in der kauzigen Dialogen widerspiegelt. In diesem Zusammenhang wirkt Canardo zwar ein wenig aus der Zeit gefallen, aber genau das ist gleichzeitig der größte Trumpf des Comics. Beschleicht einen doch als Leser sofort ein wohliges Nostalgiegefühl, das über die volle Distanz erhalten bleibt. Wer bisher noch nicht viel von Canardo mitbekommen hat, wird nun vom „Schreiber & Leser“-Verlag mit den ersten Abenteuern des Inspektors in Form eines gelungenen Sammelbands beglückt. Die Geschichten, die sich um einen ollen Hundesoldaten, eine Zarenerbin und eine entführte Sängerin drehen, sind ursprünglich für eine französische Zeitung als Lückenfüller konzipiert worden. Sie haben aber bis heute nichts von ihrem Charme verloren.
Ein weiterer Klassiker im Comic-Format wurde in der Zwischenzeit im renommierten „Knesebeck“-Verlag veröffentlicht. „Dantes göttliche Komödie“ wurde diesbezüglich von niemand Geringerem als Seymour Chwast in eine 130seituge, schwarz-weiße Bildergeschichte transformiert. Der renommierte Zeichner versucht in diesem Zusammenhang die hochkomplexe Dramaturgie von Dante Alighieris Original in allgemein verständliche Bahnen zu lenken. Er macht das, indem er sich zumindest in inhaltlicher Hinsicht auf das Wesentliche beschränkt. So richtig leichte Kost lässt sich aus dem Original allerdings dann doch nicht generieren, noch dazu schmerzt so manche Lücke, welche der Autor offen lässt, was immer wieder dazu führt, dass man so manche Seite mehrmals in Augenschein nehmen möchte, bisweilen sogar zu Sekundär-Litertatur greifen sollte, um handlungstechnisch auf dem Laufenden zu bleiben. Mit seinen minimalistischen Zeichnungen sorgt Chwast unabhängig davon allerdings für zahlreiche witzige Momente, so dass man als Leser nach einer gewissen Eingewöhnungsphase doch noch Gefallen an Dantes göttlicher Geschichte findet. Die wiederum thematisiert die Reise des Autors selbst durch die drei Welten des Jenseits. Diesbezüglich bekommt Dante zwei Begleiter zur Seite gestellt, so dass er sich unter anderem mit dem römischen Dichter Vergil und seiner langjährigen Freundin Beatrice auseinandersetzen darf. Am Ende überzeugt nicht nur Chawst augenzwinkernde Darstellung von Dante als rauchender Detektiv, welcher ein ausgeprägtes Faible für Figuren des Film Noir-Genres beim Schöpfer erahnen lässt. „Dantes göttliche Komödie“ macht darüber hinaus auch Lust darauf, sich mal ans hochkomplexe Original heranzuwagen.
Einen echten Klassiker hat auch der „Eckart Schott Verlag“ in diesen Tagen wieder aus der Kiste gekramt. „The Spirit“ von Will Eisner zählt zu den Klassikern der Comic-Literatur. Vergessen Sie in diesem Zusammenhang bitte ganz schnell wieder die blutleere Verfilmung, die noch vor kurzem über die Leinwände der ansässigen Kinos flimmerte. Die ursprünglichen Comics haben mit diesem „Schmarrn“ nur wenig gemein. „Die besten Geschichten von The Spirit“ versammelt vielmehr die gelungensten Strips des Meisters, der von „USA Today“ bereits als „der Citizen Kane des Comics“ bezeichnet wurde. Die Kurzgeschichten um „The Spirit“ sind darüber hinaus allesamt in so genannten „Supplements“ veröffentlicht worden (so nannte man früher die Beilagen von Tageszeitungen in welchen sich immer wieder Comic-Strips fanden). Im Zentrum der Geschichte steht ein gewisser Denny Colt, der sich hinter seinem Superhelden-Alter Ego „The Spirit“ versteckt, weil er im echten Leben bereits für tot erklärt wurde. Er wird als einsamer Ehrenmann stilisiert, der sich für das Gute einsetzt. In bester „Dick Tracy“-Manier löst er Kriminalfälle (meist zur Zufriedenheit aller Beteiligten) und entspricht so dem typischen Heldenbild der 40er bis 60er Jahre. Man sollte allerdings in diesem Zusammenhang wissen, dass sich The Spirit nach und nach von diesem Konzept emanzipierte. Eisners Charaktere wurden schrittweise tiefsinniger und es ist vor allem das humorvolle Auftreten des Helden, das ihn von vielen Superhelden-Mitstreitern der damaligen Zeit abhebt. Umso schöner, dass alle Neueinsteiger in Sachen „The Spirit“ nun einen äußert kostengünstigen Rundumschlag von „Salleck Publications“ vor den Latz geknallt bekommen. Darüber hinaus findet sich in „Die besten Geschichten von The Spirit“ auch eine spannende Einleitung von Science Ficition-Autor Neil Gaiman, welche den Einfluss und seine Liebe zu diesen Comics äußerst treffend transportiert.
Der Name Art Spiegelman dürfte allen Graphic Novel-Fans bereits seit geraumer Zeit ein Begriff sein. Nicht wenige dürften durch sein Meisterstück „Maus“ überhaupt erst Gefallen an anspruchsvollen Comics gefunden haben. Im „Fischer“-Verlag ist bereits vor geraumer Zeit ein weiteres seiner Werke entschieden, das bislang eher ein Nischendasein fristete. Die Geschichte „Die wilde Party“ ist fast ausschließlich in Versform verfasst. Die Zeichnungen ergänzen die poetischen Passagen und verschaffen dem Leser auf diese Weise einen gelungenen Eindruck von dem, was geschieht. Die 75 Zeichnungen dieses Bandes möchte man sich bisweilen am Liebsten einrahmen und ins Wohnzimmer hängen. Eine solche Brillanz und Liebe zum Detail ist mir persönlich schon lange nicht mehr untergekommen. Man hat bisweilen das Gefühl durch ein großes Gemälde zu schreiten und wird von den ästhetischen Versen Joseph Moncure Marchs in einen Bann geschlagen. Die Geschichte selbst spielt in den 20er Jahren und dreht sich um eine Nacht in einem Jazz-Club, welche ein tragisches Ende nehmen wird. Die Erzählung illustriert darüber hinaus das herabwertende Frauenbild der damaligen Zeit, darüber hinaus auch den schroffen Umgangston, welcher immer wieder in Handgreiflichkeiten gipfelte. „Die wilde Party“ ist ein ausuferndes Werk, aber dennoch eine glaubwürdige Geschichte, die schonungslos die dunkle Seite der menschlichen Psyche ausleuchtet. Wer auf anspruchsvolle Unterhaltung steht, aber auf ein bisschen Tohuwabohu nicht verzichten möchte, sollte unbedingt mal reinschnuppern.
Nach diesem Rundumschlag in Sachen gehobener Comic-Literatur wollen wir zum Abschluss noch einen kurzen Blick auf das breite Schaffens von Jiro Taniguchi werfen. Im Verlag „Schreiber & Leser“ wurden bereits einige seiner größten Meisterwerke veröffentlicht. So auch die wunderbare Geschichte „Die Stadt und das Mädchen“, die sich mit einem verschwunden Mädel namens Megumi auseinander setzt. Deren Mutter, welche bereits seit Jahren im Einklang mit der Natur lebt, bittet einen alten Freund ihres bereits verstorbenen Mannes, ihr bei der Suche nach der verschwundenen Tochter zu helfen. Shiga, so der Name des Freundes, macht sich schnurstracks auf die Socken und landet im Rahmen seiner Nachforschungen in Tokio, wo er sich mit einer völlig fremden Umgebung konfrontiert sieht. Ein Gewirr aus Straßen, Lichtern und Menschenmassen tut sich vor ihm auf und es ist bisweilen herzerwärmend dem ehemaligen Extremsportler dabei zuzusehen, wie er sich Schritt für Schritt seinen Weg durch den Großstadtdschungel bahnt. In diesem Zusammenhang greift Taniguchi nicht nur das von ihm oftmals bemühte Motiv des Bergsteigens auf, indem er die Metropole zum Klettergerüst verklärt. Durch das Agieren seines Protagonisten macht er aber auch die Diskrepanz zwischen Stadt und Land / arm und reich deutlich und führt seinen Lesern gekonnt vor Augen, welche gesellschaftlichen Herausforderungen es noch zu bewältigen gilt. Die Kinderarmut, die Prostitution, all das wird in diesem Werk eher beiläufig thematisiert, bleibt aber dennoch auf der Netzhaut des Lesers haften. Darüber hinaus spitzt sich die Geschichte in bester Thriller-Manier schon nach wenigen Seiten dermaßen zu, dass man die knapp 350 Seiten nahezu in einem Rutsch verschlingt. In diesem Zusammenhang… viel Vergnügen und vor allem… spannende Unterhaltung… bis zum nächsten Strichcode.
UND WAS NUN?