mit den Bänden „Castro“, „Sandman“, „Gott höchstselbst“, „Barfuß durch Hiroshima“, „Logicomix“, „Genesis“, „Gemma Bovery“, „Wilson“, „Fräulein Else“ & „Ein neues Land“.
// Lange hat es gedauert, aber jetzt ist es endlich soweit. Die „Süddeutsche Zeitung“ setzt ihre „Graphic Novels“-Bibliothek fort und so kommt der geneigte Bildgeschichten-Fan jetzt erneut in den Genuss von zahlreichen Comic-Klassikern im edlen Gewand. Den Auftakt besorgt der renommierte Grafikdesigner Reinhard Kleist. Der präsentiert eine Geschichte über den Freiheitskämpfer Fidel Castro, welche sich mit dessen Aufbegehren gegen das diktatorische Batista-Regime auseinander setzt. Der Clou der Kleist-Geschichte ist, dass sie sich nicht etwa die Eckdaten aus Castros Leben schnappt und in schwarz-weiße Zeichnungen transferiert, sondern den Leser in die Position des Beobachters schubst, indem das Buch die Perspektive eines Journalisten einnimmt, welcher nach Kuba geschickt wird, um dort für einen Artikel über Castros Leben zu recherchieren.
Auf diese Weise wird man regelrecht hineingesogen in den Lauf der Geschichte, wodurch im Rahmen der Handlung zwar eine gewisse Subjektivität vorherrscht, die Geschehnisse in diesem Zusammenhang aber nur umso unmittelbarer beim Leser ankommen. Kleist gelingt es nach seiner Comic-Reportage „Havanna“ und der Biografie über die Country-Legende Johnny Cash zum dritten Mal die Realität in eine Bildgeschichte zu überführen, ohne dass es irgendwie bemüht anmuten würde. Seine schwarzweißen Zeichnungen orientieren sich eng an der Realität und fangen die Atmosphäre in Castros Heimat gekonnt ein. Das liegt auch daran, dass Kleist selbst vor drei Jahren nach Kuba gereist ist, um sich ein Bild von dem Leben vor Ort zu machen.
// Die Geschichte „Sandman“ von dem britischen Künstler Neil Gaiman beschränkt sich im Gegensatz zu „Castro“ lediglich auf die Welt der Phantasie. Im Rahmen des 224-seitigen Buches dreht sich alles um einen gleichnamigen Herrscher, der sich im Land der Träume herumtreibt. In der vorliegenden Geschichte „Die Zeit des Nebels“ sieht sich Selbiger mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, einen geeigneten Nachfolger für den amtsmüden Engel Luzifer zu finden. Der hat sich nämlich dazu entschlossen, fortan auf der faulen Haut zu liegen und seinen Job als Beflügelter an den Nagel zu hängen. Dem „Sandman“ wiederum kommt die Aufgabe zu, sich mit den heißesten Anwärtern auf seinen Thron auseinander zu setzen. In diesem Zusammenhang gelingt es dem Autor auf bemerkenswerte Weise ein differenziertes Bild der unterschiedlichen Interessengruppen zu kreieren. Es lohnt sich schon allein deshalb in die fantastische Welt von Neil Gaiman einzutauchen, weil zahlreiche „Sandman“-Geschichten problemlos auf das reale Leben übertragbar sind. Klammert man mal die fantastischen Passagen des Buches aus, wird hier vor allem die konfliktbelastete Geschichte der Menschheit durchdekliniert. All das macht die Comic-Reihe zu einem interpretationsfähigen Epos, welches nicht nur Fantasy-Fans in ungläubiges Staunen versetzen sollte. Für alle, die nach dem Genuss der Graphic Novel auf den Geschmack gekommen sind, möchten wir anmerken: „Die Zeit des Nebels“ stellt bereits das vierte Buch der renommierten „Sandman“-Saga dar, aber keine Angst: die Geschichte funktioniert auch ohne, dass man die weiteren Bände kennt.
// Und weil wir sowieso schon in übermenschlichen Sphären herumschwirren, widmen wir uns gleich noch „Gott höchstselbst“. Der französische Comic Zeichner Marc-Antoine Mathieu arbeitet sich allerdings nicht an der Vergangenheit des Allmächtigen ab, sondern spinnt die Geschichte von Gott einfach mal weiter. Seine gleichnamige Graphic Novel beschäftigt sich mit der spannenden Frage: Was würde wohl passieren, wenn Gott höchstpersönlich auf die Erde zurückkommen würde, um die Menschheit in eine bessere Zukunft zu führen. Im Rahmen der Graphic Novel sorgt dieser Umstand als Allererstes mal für ungläubiges Staunen bei den Anwesenden. Nachdem allerdings kein Zweifel mehr daran besteht, dass es sich bei dem vollbärtigen Typen um den Allmächtigen handelt, beginnen die Menschen sich an seine Fersen zu heften. Nach und nach allerdings schleicht sich eine gewisse Skepsis bei den Menschen ein, die vor allem mit den großen Erwartungen an Gottes Person verknüpft ist. Warum bitteschön gibt es nach wie vor so viel Leid auf der Welt, wenn doch alles von „Gott höchstselbst“ verändert werden könnte. Eine gute Frage eigentlich, die im Rahmen des Buches dazu führt, dass am Ende Gott selbst auf der Anklagebank landet. Marc-Antoine Mathieu bringt einen mit seinem Werk auch deshalb ins Grübeln, weil es die Frage aufwirft, inwieweit wir alle selbst für unsere Handlungen verantwortlich sind. Der Autor führt seinen Lesern treffsicher vor Augen, wie simpel es ist, sich anhand eines Sündenbocks von der eigenen Schuld freizukaufen. Das wiederum macht seine Graphic Novel zu einer ebenso spannenden, wie intelligenten Angelegenheit, die ihr euch sich auf keinen Fall entgehen lassen solltet.
// Der japanische Zeichner Keiji Nakazawa setzt sich in seiner preisgekrönten Graphic Novel „Barfuß durch Hirsoshima“ mit dem Abwurf der Atombombe auseinander. Er beschreibt schonungslos den Terror des Regimes, die kriegerischen Absichten der Mächtigen und das Leiden der Bevölkerung, welche unter den folgenschweren Entscheidungen ihrer Befehlshaber zu leiden haben. Für seinen Manga wurde Nakazawa völlig zu Recht mit dem „Max und Moritz-Preis“ ausgezeichnet. Im Rahmen seines Werkes wird die Geschichte der Familie Nakaoka erzählt. Der Vater des sechsjährigen Protagonisten ist ein überzeugter Pazifist, der sich mit Händen und Füßen gegen die Schreckensherrschaft des Militärs wehrt. In Folge dessen wird seine Familie tyrannisiert und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Um die Ehre seiner Familie wiederherzustellen, meldet sich der Sohn Koji beim Militär, um den Ruf der Familie wieder rein zu waschen. Kurz darauf kommt es zum Abwurf der Atombombe über Hiroshima. Zahlreiche Familienmitglieder sterben und diejenigen, die überleben, versuchen sich irgendwie vor den Strahlen zu retten. Der Autor zeigt in diesem Zusammenhang schonungslos auf, welches Leid durch das kriegerisches Treiben über die Bevölkerung herein bricht. Es läuft einem immer wieder kalt den Rücken runter, wenn man in die Augen der Gesichter blickt und ihre Hoffnungslosigkeit sieht. Es quält einen regelrecht hinzusehen, aber genau das macht diese Geschichte so bemerkenswert. Wer noch einen Beweis dafür benötigt, dass Krieg nicht die Lösung für unsere Probleme ist: hier hat er ihn.
// Wer beim Lesen etwas lernen möchte, der sollte sich mal mit dem Mammut-Werk Logicomix auseinander setzen, welches ebenfalls im Rahmen der „SZ-Bibliothek“ erschienen ist. In dem Buch dreht sich alles um einen gewissen Bertrand Russel, der Ende des 18. Jahrhunderts darüber nachdachte, wie man ein logisches Fundament der gesamten Mathematik errichtet. „Logicomix“ handelt von seinen Auseinandersetzungen mit einigen Gleichgesinnten – unter anderem seinem eigenen Schüler, den berühmten Philosophen Ludwig Wittgenstein -, mit denen er sich im Rahmen der Handlung zahlreiche Schlagabtäusche auf höchstem Niveau liefert. Was auf den ersten Blick knochentrocken anmutet, entfaltet mit zunehmender Lesedauer einen ganz eigenen Charme. „Die epische Suche nach der Wahrheit“ wird zum gleichsam lehrreichen, wie spannenden Trip, der jedem Fan von „A Beautiful Mind“ mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurücklässt. Während man die knapp 350 Seiten durchblättert, fühlt man sich nicht nur gut unterhalten, man ist nach dem Schließen des Buchrückens auch um einiges schlauer als zuvor. Wie das Werk den Drahtseilakt zwischen leichtfüßiger Story und trockener Mathematik hinkriegt, ist bemerkenswert und in diesem Zusammenhang nicht nur Studenten der mathematischen Künste aufs Wärmste zu empfehlen. Die beiden Erzähler Apostolos Doxiadis und und die beiden Grafiker Alecos Papadatos und Annie Di Donna haben ganze Arbeit geleistet. Alles in allem ist „Logicomix“ ein äußerst beeindruckendes Comic-Album. Und es würde mich nicht wundern, wenn einige Professoren es bereits in Kürze in ihre Liste für „ergänzende Literatur“ aufnehmen.
// Ich muss derweil zugeben, dass ich nie ein großer Freund des Schaffens von Robert Crumb gewesen bin. Daran hat auch der dokumentarische Streifen „Crumb“ nichts geändert, der vor kurzem im Rahmen eines Comic-Festivals im Hofgarten der Orangerie in der Würzburger Residenz gezeigt wurde. Der Künstler hat mit „Fritz The Cat“ einen Charakter für die Ewigkeit entworfen und sein weiteres künstlerisches Dasein war ebenfalls davon geprägt, dass er sich konsequent an den unterschiedlichsten Tabu-Brüchen abarbeitete. Nun erscheint eines seiner gewagtesten Werke namens „Genesis“ im neuen Licht. Darin macht sich Crumb daran die Schöpfungsgeschichte in schwarzweiße Zeichnungen zu überführen. Er zeigt auf, wie Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben werden und erzählt die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern. In diesem Zusammenhang verzichtet er größtenteils darauf, irgendwelche Schockmomente einzustreuen, sondern orientiert sich eng am Original. In Interviews gibt er zu Protokoll: „Es ist unglaublich, dass Millionen von Menschen diesen Text so ernst nehmen, aber die Menschheit ist eben verrückt“, so der Autor gegenüber dem Kunstmagazin „art“. Und wahrscheinlich liegt es auch daran, dass er die Geschichte so verrückt findet, dass er sich im Großen und Ganzen dazu entschlossen hat, nicht allzu viel daran zu verändern. Persönlich würde er sich noch am Ehesten mit Jakob identifizieren, was vor allem daran liege, dass der immer von den Frauen so „untergebuttert wird“. Crumb wird also auch in diesem Zusammenhang nicht müde, die alten Klischees über sich selbst zu bedienen und lässt seine Eva dementsprechend auch mit prallen Brüsten auf die Comicbühne treten. Soll heißen: wer bei „Fritz The Cat“ ins Schmunzeln geraten ist, kann hier mal reingucken…
// …wir persönlich widmen uns lieber der Geschichte „Gemma Bovery“, die ebenfalls im Rahmen der „SZ-Bibliothek“ erschienen ist. Die britische Comic-Zeichnerin Posy Simmonds studierte in London und Paris Grafikdesign und ist seit den 70er Jahren als Cartoon-Zeichnerin beim britischen Blatt „The Guardian“ aktiv. Darüber hinaus hat sie sich auch einen Namen als gefeierte Kinderbuchautorin gemacht. Mit ihrem Buch „Gemma Bovery“ widmet sie sich einer jungen Illustratorin namens Gemma. Die ist vor allem schrecklich gelangweilt ist von ihrem Leben in London. Also flieht sie mit ihrem Ehemann zusammen in ein kleines französisches Dorf. Aber auch dort schleicht sich schnell die Langeweile in ihre Leben. Also beginnt sie mit einem Adelssohn anzubandeln, der in den Sommerferien im Schloss der Familie zu Gast ist. Die Protagonistin ist ruhelos, weil ihr das Leben einfach nicht genügen zu scheint. So stürzt sie sich immer wieder in neue Abenteuer, um ihren Traum von einer erfüllten Existenz zu verwirklichen. Ob sie noch rechtzeitig merkt, dass sie damit ihre ganze Welt zu Bruch schlägt? Posy Simmonds widmet sich diesem Thema auch in psychologischer Hinsicht und bringt den Leser immer wieder dadurch zum Nachdenken, dass sie ihm seine eigene Zerrissenheit bezüglich wegweisender Lebensentscheidungen vor den Latz knallt. Wie das Ganze am Ende ausgeht? Am besten du findest es selbst heraus. Es lohnt sich.
// Unser persönlicher Favorit der zweiten Graphic Novel-Sammlung aus dem Verlag der „Süddeutschen Zeitung“ hört diesmal auf den Namen „Wilson“. Der amerikanische Autor Daniel Cloves hat bereits mit „Ghost World“ (im Jahre 2001 auf zauberhafte Weise verfilmt) einen Comic-Klassiker geschaffen, den man unbedingt gelesen haben sollte. Er zählt zu den Ikonen des Independent-Comic-Bereichs und hat ein gutes Gespür für schräge Charaktere und verrückte Situationen. In „Wilson“ dreht sich alles um einen gleichnamigen Sonderling, der sehr gut darin ist, andere Menschen vor den Kopf zu stoßen. Er ist äußerst ich-bezogen und kann dem Rest der Menschheit nicht allzu viel abgewinnen. Lediglich sein Hund ist ihm irgendwie ans Herz gewachsen. Der Rest der Welt ist ihm irgendwie fremd (geworden) und so schlendert er einsam durchs Leben und fängt immer wieder an, unbekannte Menschen aufs Übelste zu beschimpfen und zu beleidigen. „Wilson“ ist ein echtes Arschloch. Hin und wieder kommt es sogar vor, dass er seinen „Feinden“ ein Päckchen mit Hundekacke schickt. Als allerdings sein alter Herr das Zeitliche segnet, beschließt er sich auf die Suche nach seiner Ex-Frau zu begeben. Zu seiner eigenen Überraschung muss er feststellen, dass er inzwischen eine Tochter hat und die sich große Mühe gibt, die zerrüttete Familie wieder zusammen zu bringen. Wie das Ganze am Ende ausgeht, wollten wir natürlich noch nicht verraten. Alle Fans von schrägen Streifen der Marke „Juno“ und „Adventureland“ sollten aber unbedingt mal ein Blick in das Buch werfen. Es macht einfach nur Spaß.
// Der Architekturstudent Manuele Fior erzählt uns derweil die Geschichte einer jungen Frau aus Wien, die sich in einer inneren Zwangslage befindet. Ihr eigener Vater hat Papiere unterschlagen, was Selbigem eine Gefängnisstrafe einbringen könnte. Seine Tochter Elke muss sich entscheiden, ob sie ein unmoralisches Angebot eines reichen Herren annimmt, um dem Vater das Geld zu besorgen. Hier kommt dann der Kunsthändler Dorsday ins Spiel. Er könnte dem Vater den Betrag leihen, den er benötigt, er stellt allerdings eine Bedingung: er möchte Elke fünfzehn Minuten lang nackt sehen. Fior beschreibt wie dieses Angebot die junge Frau im Innersten erschüttert. Er zeigt wie sie mit sich hadert und die Konsequenzen ihres Tuns für alle Beteiligten abwägt. „Fräulein Else“ ist eine zutiefst moralische Adaption eines gleichnamigen Buches von Arthur Schnitzler. Eine äußerst gelungene Umsetzung wohlgemerkt, die das Grauen in düsteren Motiven voranschreiten lässt und sich auf diese Weise, vor allem gegen Ende, von den detaillierten Schilderungen des Originals distanziert und die Bilder für sich selbst sprechen lässt.
// Der Kinderbuch Autor Shaun Tan war unter anderem für die visuelle Konzeption der Animationsfilme „Wall:E“ und „Horton hört ein Hu!“ zuständig. Für seine Graphic-Novel „Ein neues Land“ hat er beim Internationalen Comic-Festival in Angoulême den Preis für das „Beste Album“ abgestaubt. Selbiges Buch beschließt nun die zweite Ausgabe der „SZ-Graphic Novels-Bibliothek“ und umreißt die Geschichte eines Mannes, der alles zurücklässt, um ein besseres Leben zu führen. Die Not treibt ihn in die Klauen der Großstadt, wo er ums Überleben kämpft. Ziel des Protagonisten ist es, irgendwann seine Frau und seine Tochter zu sich zu holen, um den Beiden ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Shaun Taus Novelle kommt in diesem Zusammenhang komplett ohne Worte aus und zeigt auf faszinierende Weise, wie fremd sich die Hauptfigur im Großstadtdschungel fühlt. „Ein neues Land“ ist in diesem Zusammenhang ein würdiger Abschluss unseres heutigen „SZ-Bibliothek“-Spezials. Wir wünschen unseren Lesern viel Spaß beim Schmökern und sagen tschüss. Bis zum nächsten „Strichcode“.
UND WAS NUN?