Während draußen die Festivals gestürmt werden, kann sich der melancholisch veranlagte Musikfan mit Martha Wainwright in die eigenen vier Wände zurückziehen und sich zu ihrem neuen Album gemütlich einen guten Wein genehmigen. „I Know You´re Married But I´ve Got Feelings Too“ (7) ist wie geschaffen für die kleinen Momente. Die Künstlerin verliert sich in musikalischen Zwischenwelten. Wenn Tag und Nacht sich die Hand reichen, schlägt ihre große Stunde. Dann spricht einem die Musik direkt aus dem Herzen und erzeugt Gänsehaut. Das liegt unter anderem an Marthas betörender Keller-Bar-Stimme, die stetig zwischen Amy Winehouse und Regina Spektor hin und herpendelt. Wie ein Schleier absorbiert sie die Hektik unserer Zeit, als wäre das Ticken der Uhr nur ein fremdartiges Geräusch abseits unserer Wahrnehmungsfähigkeiten. Schade nur, dass Catharina Boutari uns anschließend wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Deren Musik fehlt einfach der Mut zum Ausbruch aus gängigen Songstrukturen. Fast alles, was einem auf „Tanzschule Boutari“ (5) vor den Latz geknallt wird, hat man von mia. schon mal in ähnlicher Form gehört. Man muss der Künstlerin allerdings zu Gute halten, dass sie sich vor allem textlich von den üblichen Verdächtigen in den Charts abgrenzt. Um mich in Euphorie zu versetzen, reicht das allerdings nicht. Da schwelge ich dann doch lieber mit Alexis Le-Tan & Jess in minimalen Klangwelten. Die Musik klingt, als würde man in der Badewanne untertauchen, Blubberblasen fabrizieren und anschließend mir geballter Faust aus der Wanne hüpfen. „Space Oddities“ (7) beeindruckt dabei vor allem aufgrund seines Abwechslungsreichtums. Elektronische Soundschnipsel geben sich mit sphärischen Klängen die Klinke in die Hand und es entsteht ein interessanter Mix aus funkigen und poppigen Disco-Sounds. Plötzlich fühlt man sich, als würde man aus der Gegenwart direkt ins Lichtermeer des Clubs gespült, um dann endgültig im Rausch der Musik zu verschwinden. Schade nur, dass Plemo And Rampue dieses Niveau auf „Love Hate Peace Fuck“ (5) nicht so ganz halten möchten. Die verwursten lieber allerhand Peinliches a la 2 Unlimited mit durchaus Ansprechendem der Marke Beastie Boys. Das Ganze wirkt dann auch auf den ersten Blick recht charmant, weil es einfach ohne Ende knallt. Nur kann man leider nicht 24 Stunden täglich im Club abhängen. Und so verliert der Hörer im heimischen Wohnzimmer schnell die Geduld mit den oftmals gleichförmig vor sich hinlaufenden Tracks. Im direkten Vergleich mit den Labelmates von Bratze haben also Letztere auch weiterhin die Nase vor. Wer sich trotzdem mal wieder so richtig das Hirn wegballern will, sollte das Ganze aber trotzdem mal antesten. Von Robert Carl Banks sollte er sich allerdings weit möglichst fern halten. Auf „Soul Circus“ (3) versucht er der sich an Songwriterklängen der Marke Damien Rice & John Mayer. Und löst damit schlimme Erinnerungen an das alltägliche Geträller aus dem Formatradio aus. Die wenigen gelungenen Momente genügen da am Ende leider nicht, um den Hörer bei der Stange zu halten. Ganz im Gegensatz dazu zaubern uns Panteón Rococo (6) mit ihrem gleichnamigen Album anschließend ein paar schicke Sonnenblumen-Tattoos auf die sonnengebräunten Wangen. Mit ihrem hymnischen Ska-Punk-Mix verwandeln sie öde Wüstenlandschaften in Baggerseeoasen. Und machen nicht den Fehler, wie manche Kollegen, zu sehr in Richtung Stadionrock zu schielen. Stattdessen wird einfach beschwingt dahingerockt, als wäre der Hosenträger nie erfunden worden. Das ist die perfekte Platte, um beim Grillen mit einer Handvoll Steaks zu jonglieren. Oder einfach mal wieder freudetrunken auszurasten. Wer dazu noch in guten alten Zeiten schwelgen möchte, als Emo noch nicht zum musikalischen PokEMOn mutierte, kann sich an dem neuesten After-Auflösungs-Release von Hot Water Music erfreuen. Schon der erste Song „Kill The Night“ wischt alle Zweifel beiseite. „Till The Wheels Fall Off“ (7) ist kein lauwarmer Aufguss von verschollenen Überbleibseln aus dem Backkatalog. Hier wird gerockt, bis die Stimme versagt. Der verrauchte Gesang, die hymnischen Melodien. Hier kriegt der gescholtene Fan alles, wofür man diese Band schon immer tief ins Herz geschlossen hat. Da kann sich manch Nachzügler in Sachen Intensität ruhig mal ne Scheibe abschneiden. Womit es dann auch langsam an der Zeit ist, etwas runterzukommen. Den perfekten Soundtrack zum Abhängen unter Palmen liefern Ladytron. Die haben sich auf „Velocifero“ (7) endgültig von luftigen Arrangements befreit. Das tut der Freude allerdings keinen Abbruch. Songs, wie „Black Cat“ oder „Ghosts“ fallen eher unter den Banner: „Liebe auf den fünften Blick“. Ein ebenso langlebiges, wie spannendes, zudem atmosphärisch dichtes Album hat man zuletzt höchstens noch von The Knife gehört. Selbst nach unzähligen Durchläufen überraschen einen die vielseitigen Songs immer wieder aufs Neue. Man kann sich kaum vorstellen, dass das die gleiche Band ist, die bei „Witching Hour“ noch in der Perfektion ihrer poppigen Arrangements badete. Nein, dieses Album entlässt einen soundmäßig geradewegs in Richtung ungewisse Zukunft. Und erzeugt einen mysteriöse Anziehungskraft, deren Geheimnis wohl darin liegt, dass die Band Pop immer wieder mit Unterkühlung kontert. Vielleicht sollten Ladytron demnächst mal darüber nachdenken unter die Filmmusiker zu gehen. Im Horror-Movie-Genre würden sie sicher mit offenen Armen empfangen. Womit hier zum Schluss noch kurz auf „Echte Musik“ (5) hingewiesen sei. Die aktuelle Scheibe von Jonesmann ist leider nicht der große Wurf geworden, den man erwarten konnte. Nun gut: Xavier Naidoo zu featuren scheint sich ja inzwischen als durchaus konsensfähig durchgesetzt zu haben. Trotzdem klingt das neue Album des „etablierten Künstlers“ genau so, wie erwartet: nämlich „etabliert“. Die großen Überraschungen fehlen auf „Echte Musik“. Die Features von Olli Banjo und Azad bewegen sich zwar allesamt auf hohem Niveau, aber eine Revolution lostreten wird man damit kaum. Zudem ist deutschsprachiger Soul-Gesang seit jeher eher mit Vorsicht zu genießen, was die Frage aufwirft, warum Jonesmann nicht öfter mal in seiner Funktion als Rapper ans Mikrofon tritt. Das steht ihm nämlich gar nicht mal schlecht. Also dann. Das wars für heute. Wir lesen uns. Bis zum nächsten Zuckerbeat.
// von Alexander Nickel-Hopfengart
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