// hinter den kulissen von „cabaret tschetchnenien“

Bevor die eigentliche Probenarbeit an einem Stück im Mainfranken Theater beginnt, heißt es zunächst für alle Beteiligten: Konzeptionsprobe. Gemeinsam an einem Tisch sitzen: Schauspieler, Dramaturg/in, Regisseur/in, Regieassistent/in, Bühnenbildner/in, Kostümbildner/in, Maske. Das Textbuch liegt griffbereit, alle sind gespannt. Zunächst liest jeder in seiner vorgesehenen Rolle laut vor. Der ein oder andere hat bereits erste Ideen und […]

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Bevor die eigentliche Probenarbeit an einem Stück im Mainfranken Theater beginnt, heißt es zunächst für alle Beteiligten: Konzeptionsprobe.
Gemeinsam an einem Tisch sitzen: Schauspieler, Dramaturg/in, Regisseur/in, Regieassistent/in, Bühnenbildner/in, Kostümbildner/in, Maske. Das Textbuch liegt griffbereit, alle sind gespannt. Zunächst liest jeder in seiner vorgesehenen Rolle laut vor. Der ein oder andere hat bereits erste Ideen und Vorschläge, die die Regieassistenz eifrig notiert. Nach der Leseprobe präsentieren die Bühnenbildner und Kostümbildner ihre Pläne. Außerdem erhält das Ensemble Materialien und Hinweise zum besseren Verständnis des Stücks. Die Regie teilt die ersten Probentermine und den Trainingsablauf mit und händigt eine Telefonliste mit den Kontaktdaten aller aus, um die Kommunikation untereinander zu ermöglichen, denn ab jetzt heißt es für alle: flexibel und abrufbar sein, denn ein kreativer Prozess hält sich nicht immer an feste Zeiten!

– Oder an feste Vorgaben!
Cabaret Tschetchnenien“ ist nämlich kein klassisches, festgeschriebenes Stück nach dem beständige Proben wie sonst geplant werden können. Es fand auch nicht, wie es bei einer gewöhnlichen Produktion üblich ist, eine Konzeptionsprobe statt, sondern insgesamt drei an der Zahl! Dies ergab sich aber aus einem anderen Umstand, den zu erklären jedoch den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde. Nur soviel: alle Texte entstanden aufgrund tagelanger Recherchearbeiten aus den Federn der Darsteller, Regie, Dramaturgie und in Zusammenarbeit mit der Autorin Lilith.
Am Ende hatte jeder von uns eine eigene kleine Bibliothek, bestehend aus Romanen, Statistiken, Filmen, Musikstücken, Zeitungsberichten, Dokumentationen, Internetlinks, etc. – über den Islam, Tschetschenien, Russland, Anna Politkovskaja, Kabarett, Selbstmordattentäter, Shahidinnen …
Die Regie (Anna, Daniela), das Ensemble (Christian, Maria, Katha, Flo, Milena, ich) sowie die Dramaturgin (Petra) und Autorin (Lilith) kämpften sich durch den riesigen Haufen an Material, in der Hoffnung eine Antwort zu finden, wie dieses schwierige, aktuelle Thema auf die Bühne gebracht werden kann. Immer wieder stießen wir auf neue Quellen. Es waren fast nur blutige, tragische Geschichten. Auf einer der Material-Sammlungs-CDs befand sich unter anderem ein besonders gekennzeichneter Ordner: WARNING!!!! – stand im Titel. Eine grausame Sammlung von Videos mit Hinrichtungen. Keiner von uns konnte sich das länger als ein paar Sekunden anschauen – doch es gehört auch zu dieser Geschichte.
Die pure Wahrheit war oft unerträglich und zwang uns immer wieder, uns selbst zu hinterfragen: für welche Seite beziehen wir Stellung? Was ist die Wahrheit? Und wie klären wir das Publikum am besten über all das auf? Christian, Maria und Katharina, die drei professionellen Schauspieler des Ensembles, trugen dabei die Hauptverantwortung, inklusive schlafloser, produktiver Nächte. Florian, Milena (außerdem zuständig für die musikalische Begleitung) und ich, die drei Laiendarsteller waren in diesen Schaffensprozess immer mit eingebunden und durften unsere Ideen und Anregungen äußern. Anna hatte die alles entscheidende Aufgabe: sie konzeptionierte das Stück als Ganzes in Rücksprache mit Petra.

Während mehreren Improvisationen kristallisierte sich heraus, dass wir nur mit Hilfe von Humor arbeiten können. Jede Art von realistischer Herangehensweise würde eine eindimensionale Botschaft vermitteln und uns auf eine Seite stellen – Humor hingegen vermag starre Ansichten und Meinungen zu lockern und kann zwei Dinge oder auch mehrere zu gleichen Anteilen nebeneinander stehen lassen. Denn eines stand fest: jede Information zum Thema Tschetschenien- und Russlandkonflikt musste mit Vorsicht bearbeitet werden – denn dahinter verbarg sich meist schon eine Schuld zuweisende Botschaft, die ihren Empfänger auf eine bestimmte Seite zu ziehen versuchte.
Nach und nach entstanden Szenen , Musikstücke, Choreografien – Sachen wurden wieder verworfen, an anderer Stelle eingefügt. Ein ständiger kreativer Entstehungs- und Veränderungsprozess begleitet das Stück und formt es bis heute.

Ein Probentag kurz vor der Premiere

Die erste Probeneinheit: 10 – 14 Uhr auf der Probebühne IV in der Oeggstraße.
Anna, unsere szenische Leiterin und zugleich Trainerin macht das Ensemble fit mit Aufwärmübungen wie den Sonnengruß, um Körper, Geist und Seele zu aktivieren. Es folgen Balance-, Reaktions- und Dehnübungen. Und diverse Arten von Lockerungseinheiten, bei denen eine Anweisung schon mal lauten kann: Wir rollen uns wie Babys auf dem Rücken, nehmen die großen Zehen unserer Füße in die Hand, quietschen vergnügt und grüßen die anderen Babys um uns, als wären wir eben erst geboren und erstaunt darüber, was es alles zu entdecken gibt.
Wichtig ist vor allem immer in Kontakt mit den Kollegen zu sein – erinnert uns Anna mit sanften Worten. Schnaubend und lachend kugeln wir sieben ausgewachsenen Babys auf dem Boden umher. Es kostet mich anfangs jedoch etwas Überwindung, bis ich die Hemmung verliere, doch als ich beginne loszulassen, bin auch ich freudig erregt und nach der Übung ziemlich entspannt 😀
Mit Stimmtraining geht es weiter. Zuerst werden Zunge und Kiefer gelockert und massiert. Anna führt uns mit ruhigen Anweisungen durch die verschiedenen Trainingseinheiten und erklärt nebenbei ihre Auswirkungen auf unseren Körper:
Blowing up the mouth” – eine Anwendung bei der man unter anderem lernt auf An- und Entspannung zu achten. Wir stehen im Kreis mit dicken aufgeblasenen Wangen und lösen die Spannungen mit platzenden Geräuschen und einem stimmlichen „Bahh“ – wir wiederholen das Ganze mehrere Male und gehen über in andere Laute: „Büü, Biii, Maaa, Moo..Miiiiaaaavaaabraniaaa“, usw. – bis zum gemeinsamen Einschwingen der Stimmen über eine kurze Melodie.
Aufgewärmt und entspannt beginnt die eigentliche Arbeit, im Probenkostüm. Ich schlüpfe in meine quietsche pinken Pumps, ein Kaliber Schuhe, die ich in meinen wildesten Träumen nie freiwillig gekauft hätte. Doch sie passen fabelhaft zu meiner Rolle als Belinda. Heute probieren wir uns an einer Choreografie für das Kriegsmedley. Daniela übernimmt die Vorgabe der Figuren, die wir dann gemeinsam nachtanzen. Ich tue mich sichtlich schwer damit, die Schritte zu behalten und improvisiere, um irgendwie durchzukommen. Auch Flo hat statt den rechten den linken Fuß gehoben – Daniela übersieht nichts! Immer wieder gehen wir die Schritte durch – Christian haut in die Tasten des Klaviers, Milena zupft die Saiten ihres über 300 Jahre alten Cellos, unermüdlich. „Und nochmal von vorn!“
Maria und Katha trösten: „Wir üben das bis es funktioniert – immer wieder!
Nach dem Tanzen gibt es erst einmal eine kurze Verschnaufpause. Der ein oder andere nutzt die Zeit um in die Theater-Kantine zu flitzen und sich etwas fürs leibliche Wohl zu besorgen. Manch einer packt seine gefüllten Döschen und Beutelchen aus und beginnt zu essen, es wird geraucht, Instantkaffee vom hauseigenen Automaten getrunken, sich ausgetauscht und erholt.
Danach geht es gestärkt weiter.
Wir steigen mitten ins Stück ein. Der letzte Stand führte uns an die Szene „Der Kommissar“ – worauf die kleine Szene „Kapitalistisches Glaubensbekenntnis“ folgt. Wir „bauen“ – so heißt es, die Szenen etappenweise. Es wird improvisiert und beobachtet, was „organisch“ verläuft, sprich, welcher Ablauf der Szene am besten funktioniert, sodass es das Publikum verstehen kann, das Passende ausgesagt wird und die Schauspieler sich in ihrer Rolle wohl fühlen.
Heute stellt sich zunächst die Frage, wie können wir von der einen Szene in die nächste übergehen. Wer übernimmt den Bruch und gibt an alle das Zeichen für den Wechsel? Und vor allem, was ist das Zeichen? Während dieser Phase kommt es immer wieder zu Veränderungen. Doch dieses Mal werden wir uns sehr schnell einig – Christian, unser Conférencier gibt das Zeichen. Er wird in Zukunft eine Gebetsglocke läuten. Die Regieassistentin bestellt umgehend diverse Gegenstände in der Requisite. Währenddessen heißt es erst einmal, so tun als ob sie schon da wäre: Er läutet, wir reagieren und stellen uns bereit zum Gebet in einer Reihe auf. Eine geklebte Begrenzungslinie zeigt uns übrigens, ob wir noch im Licht stehen oder von der Bühne gefallen sind.
An der Linie angekommen versuchen wir die richtige Haltung einzunehmen. Wir sollen kniend beten. Da wir zu fünft in einer Reihe stehen, können wir nicht sehen, wer sich als erstes hinkniet – „Es wirkt von außen komisch, wenn es nicht synchron geschieht„, bemerkt Anna. Also muss wieder ein Zeichen verabredet werden, das uns den entscheidenden Impuls zum Knien gibt. Wir beraten uns untereinander und beschließen: Unser Conférencier übernimmt nochmals die Aufgabe, das Zeichen ist ein hörbares Einatmen. Das gleiche Signal gilt nun auch für den Beginn des Gebetes. Wir proben bis alles sitzt: jedes Atmen, jede Tonabsenkung und jeder Zeilensprung im Text. Dann notieren sich alle ihre Aufgaben im Skript und es geht weiter.

Die zweite Probeneinheit: 18 bis 22 Uhr.
Da heute Abend und morgen Früh keine Vorstellungen in den Kammerspielen stattfinden, können wir dort unter Originalbedingungen proben. Als erstes heißt es wieder: Aufwärmtraining.
Dann beginnt die Arbeit am Stück – diesmal: musikalische Probe.
Christian sitzt am Klavier, Milena am Cello. Wir gehen jeden Song durch. Anna beobachtet und feilt an unseren Stimmen. Zum Glück stehen die Lieder bereits in ihrer Endfassung fest, das bedeutet, wir müssen heute lediglich wiederholen und Töne „säubern„.
Petra saß währenddessen aufmerksam im Publikum, in ihrer Tasche drei frisch geschriebene Szenen von Lilith, die sie uns nach dem Singen übergibt. Neugierig greift jeder danach und überfliegt rasch den Text. „Hab ich wohl auch einen Satz„, frage ich mich leise. „Tatsächlich!“ Wir lesen gemeinsam vor. Schon beim Lesen probiert der ein oder andere Stilmittel aus: Akzente setzen oder lassen, Stimmlagen hoch oder tief, Pausensetzung. Ich nehme mir vor lieber normal zu lesen, sonst verhasple ich mich. Maria fällt ein französischer Akzent ein – sie spricht ihn so gut, dass wir an uns halten müssen, um nicht ständig zu lachen. Danach werden Ideen zur szenischen Umsetzung besprochen und mögliche Veränderungen im Text vereinbart. Erst dann beginnt das „Bauen“ der Szenen.
Kurz vor zehn wird abgebrochen und alles notiert. Wir ziehen uns um – die Abend-Probe ist vorbei. Morgen um 10 Uhr treffen wir uns wieder.

Für mich persönlich, als Laiendarstellerin, war es eine große Ehre bei dieser professionellen Arbeit mitwirken zu dürfen. Es waren sehr erfahrungsgewaltige Zeiten, die ich nicht vergessen werde! Ich habe Freunde kennen gelernt und das Mainfranken Theater zum ersten Mal hinter den Kulissen erleben dürfen.

// linda

Wer das Stück noch gerne sehen möchte hat hierzu jeweils um 20 Uhr am 25.02./01.03./04.03./20.03./19.04 die Gelegenheit.