mit neuen Büchern von Benjamin Stein, Christoph Braun, Ernest Cline, David Monteagudo und Péter Nádas.
// Wer sich an Filmen der Marke „Strange Days“ oder „Matrix“ erfreut, der dürfte auch an dem aktuellen Roman von Benjamin Stein Gefallen finden. In „Replay“ erzählt er von den Folgen der Digitalisierung, wie sie in nicht allzu ferner Zukunft uns alle ereilen könnten. Der Protagonist des Werkes ist ein gewisser Ed Rosen – ein ehemaliger Software-Entwickler eines Implantats, das eine gewisse Form der Gleichzeitigkeit schafft. Mit Hilfe dieses Chips kann er die Sinneswahrnehmungen von Menschen so protokollieren, dass sie in sogenannten „Replays“ unendlich oft wiederholbar werden. Doch nicht nur das: die eigene Vergangenheit ist auch veränderbar, was das Implantat zu einem äußerst begehrten Tool für einige gierige Individuen macht. Nach der „Installation“ kann sich der Nutzer aber nicht nur in die Vergangenheit zurückversetzen, er steht in diesem Zusammenhang auch komplett unter der Kontrolle des Herstellers. Womit der Autor die Frage aufwirft: Wie viel Privatsphäre sind wir bereit aufzugeben, um unser Leben reizvoller und einfacher gestalten zu können.
Sind wir tatsächlich bereit uns von Mega-Konzernen in den Kopf sehen zu lassen, um die Vorzüge einer bestimmten technischen Neuerung zu nutzen? Schaut man sich die steigenden User-Zahlen diverser sozialer Netzwerke an, kann einem schon mal angst und bange werden bei dieser Frage. Und so gelingt es dem Berliner Autor und Tukan-Preisträger der Stadt München, den Leser selbst mit der zunehmenden Transparenz seiner Tätigkeiten (und Wunschvorstellungen) zu konfrontieren. „Replay“ ist ein außerordentlich verstörender Zukunftsroman. Er zeigt auf, was passiert, wenn die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sich auflösen. Er macht deutlich, welche Macht wir den Herstellern zukunftsweisender Technologien in die Hände legen. Er erzählt die Geschichte von Selbstbestimmung und Kontrolle. Er wirft schlicht und ergreifend die Frage auf: wie wollen wir leben… frei oder fremdbestimmt?
// Um Landarbeit und Popkultur dreht sich der Blog hacken.spex.de, welcher im Jahr 2009 von Christoph Braun ins Leben gerufen wurde. In seinem Buch „Hacken“ geht’s ums digitale Hacken, aber auch ums reale Hacken. Das Werk dreht sich um einen jungen Menschen, der von Berlin aufs Land zieht und dort zunehmend vom Zauber des Landlebens übermannt wird. Christoph Braun landet schließlich in einem 1320-Seelen-Dorf namens Evessen im Landkreis Wolfenbüttel. Er hat das Ziel, das digitale Landleben zu erforschen. Seine anfangs sehr distanzierte, beinahe überhebliche Haltung gegenüber dem Leben auf dem Dorf, weicht zunehmend einer gewissen Faszination für das, was er dort erlebt. Selbst in den Prozess des Lebens einzugreifen, erscheint ihm plötzlich ebenso naheliegend, wie als Computerexperte fremde Websites zu hacken. „Das erste Hacken also löste einen Enthusiasmus in mir aus. Die neuartige Arbeit vermag ein Hochgefühl in mir zu erzeugen und die Müdigkeit, die meinen Körper hinterher befällt, gehört zu dieser Erfahrung dazu“, schreibt der Autor im Abschnitt „Die Höfe von Eilum“. Und setzt das Ganze immer in einen Kontext zur zunehmenden Digitalisierung. „Schreiben ermüdet nur den Geist, hinterlässt jedoch einen trägen, sedierten Körper. Die Arbeitsschritte im Garten dagegen lassen jeden Arbeitsschritt nachwirken, noch in jedem winzigen Muskel in der Hand und im Pochen der Schläfen. (…) Der Körper, das ganz System glüht nach.“ Christoph Braun gelingt es in diesem Werk Zusammenhänge zu entdecken, die man auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. Eben deshalb ist es ein absolutes Vergnügen – nicht nur für Landeier und Computer-Nerds – sich dieses Werk zu Gemüte zu führen.
// „Zurück in die Zukunft“-Fans aufgepasst. Der texanische DeLorean-Besitzer und „Fanboys“-Drehbuchautor Ernest Cline hat seinen ersten Roman veröffentlicht. „Ready Player One“ spult den Leser ins Jahr 2044 und skizziert das trostlose Bild einer Gesellschaft, die am Ende angelangt ist. Die Ölvorräte sind abgepumpt und die Klimakatastrophe eingetreten. Statt sich aber mit den Konsequenzen ihres Handelns auseinander zu setzen, flüchten sich die Menschen zunehmend in eine Scheinwelt namens OASIS. Selbige ist ein virtuelles Wunderland, in dem sich ein geheimnisvoller Schatz befindet. Er beinhaltet den Schlüssel zum Reichtum des verstorbenen Erfinders dieses virtuellen Universums: James Halliday. Um allerdings an das Objekt der Begierde zu kommen, müssen zuvor zahlreiche Rätsel gelöst werden. Blöderweise hat noch nicht ein einiziger Mensch das erste Level überstanden, außer ein Typ namens Wade, an dessen Spuren sich fortan zahlreiche Verfolger heften. Der einzige Ausweg für den wagemutigen Kerl ist es, das Spiel zu Ende zu bringen. In diesem Zusammenhang muss er sich selbst irgendwann mit der Frage auseinander setzen, wie viel er für das Erreichen des Ziels aufs Spiel zu setzen bereit ist. Denn des Rätsels Lösung bedroht seine eigene Existenz in OASIS. Dem Autor gelingt es eine rasante Achterbahnfahrt an überraschenden Wendungen aus dem Ärmel zu schütteln und den Leser gleichzeitig mit einigen existenziellen Fragestellungen zu konfrontieren. Außerdem bekommt man eine gehörige Portion Gesellschaftskritik vor den Latz geknallt. All das macht „Ready Player One“ zu einem fantastischen Vergnügen, das mit zahlreichen Seitenhieben auf 80er-Kult-Streifen der Marke Goonies, Ghostbusters, Clockwork Orange oder Zurück in die Zukunft (was auch sonst?!) gespickt ist. Ein bemerkenswertes, äußerst rasantes Buch.
// In klassischer Horrorfilm-Dramaturgie schreitet der spanische Überraschungsbestseller „Ende“ aus der Feder von David Monteagudo voran. Die Geschichte dreht sich um neun Personen, die sich für ein entspanntes Wochenende auf einer Berghütte verabreden. Einst waren diese Menschen mal sehr gut befreundet, aber in den letzten Jahren haben sie sich irgendwie aus den Augen verloren. Schlag Mitternacht überschlagen sich plötzlich die Ereignisse. Der Strom ist weg, die Handys haben keinen Empfang mehr und die Autos lassen sich nicht mehr starten. Plötzlich ertrinkt die ganze Szenerie in einer seltsamen Stille, die allen Anwesenden zunehmend Angst einflößt. Während einige Gäste zu Beginn noch versuchen, die sonderbaren Ereignisse mit Scherzen zu überspielen werden anderen zunehmend panisch. Dann verschwindet auch noch einer aus der Gruppe und beim Fußmarsch in Richtung Tal kommen weitere Gruppenmitglieder abhanden. Es scheint fast so, als würden sich die Menschen in Luft auflösen. Noch besser: als würden sie vom „Nichts“ verschluckt. David Monteagudo gelingt es mit simplen Mitteln eine irrwitzige Spannung aufzubauen. Er spielt mit dem Nichtwissen seiner Leser und so bricht sich im Kopf des Beobachters eine Flut von Theorien Bahn, die einen nach dem Weglegen des Werkes noch stundenlang beschäftigen. In gewisser Weise lässt sich der Roman deshalb auch als Parabel auf die zunehmende Übersättigung an Sinneseindrücken lesen, welcher wir im digitalen Zeitalter ausgesetzt sind. Der Autor wirft mit seiner Geschichte die Frage auf, was da wohl alles im Verborgenen haust, wenn plötzlich das Licht ausgeht. Ein irritierendes, äußerst beängstigendes Werk, das einen nicht mehr loslässt.
// Ein echtes Mammut-Werk namens „Parallelgeschichten“ ist zuletzt im „Rowohlt“-Verlag –endlich auch hierzulande – erschienen. Sechs Jahre hat die Übersetzung des ungarischen Werkes in Anspruch genommen und die Arbeit hat sich gelohnt. Ein solch vielschichtiges und berauschendes Werk hat man schon seit geraumer Zeit nicht mehr präsentiert bekommen. Passend dazu erscheint ebenfalls bei „Rowohlt“ der Begleitband „Lesen“ und präsentiert uns eine 230seitige „Einführung in den Gedankenkosmos eines der größten Schriftsteller unserer Zeit“. Das Begleitwerk zu von Péter Nádas´ Roman (welches eigentlich gar keines sein soll) regt in diesem Zusammenhang dazu an, noch tiefer in den „Parallelgeschichten“ einzutauchen. Man erfährt zahlreiche Hintergründe zu den einzelnen Episoden, stößt auf Postkarten und Fotos, die den Autor zu einzelnen Passagen inspirierten und bekommt darüber hinaus zahlreiche Interpretationsansätze für die vertrackte Geschichte präsentiert. Ebenfalls interessant zu lesen sind die Anekdoten zum langwierigen Übersetzungsprozess von Nádas Geschichte. „Lesen“ ist in diesem Zusammenhang weit mehr als nur ein Buch über ein Buch. Es liefert zahlreiche ergänzende Passagen, die zum Verstehen der ursprünglichen, sehr komplexen Erzählung beitragen und schafft ein gewisses Verständnis für die Intention des Autors. Wer rundum in das Universum der „Parallelgeschichten“ eintauchen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Also viel Spaß beim „Lesen“. Bis zur nächsten Leserunde.
UND WAS NUN?