// aufgelesen vol. (5)82 – „wild wuchern“

mit dem Werk „Wild wuchern“ von Katharina Köller. // Katharina Köllers „Wild wuchern“ ist ein Roman, der mich – im besten Sinne – überrumpelt hat. Nicht leise, nicht vorsichtig, sondern mit einem Aufruhr von Sprache, Emotion und Natur, der sich wie ein Sturm durch den Kopf und das Herz zieht. Ein Buch, das nicht fragt, […]

mit dem Werk „Wild wuchern“ von Katharina Köller.

// Katharina Köllers „Wild wuchern“ ist ein Roman, der mich – im besten Sinne – überrumpelt hat. Nicht leise, nicht vorsichtig, sondern mit einem Aufruhr von Sprache, Emotion und Natur, der sich wie ein Sturm durch den Kopf und das Herz zieht. Ein Buch, das nicht fragt, ob es bleiben darf – es bleibt einfach. Mit Erde unter den Fingernägeln, mit Wind im Haar, mit all der Wucht einer weiblichen Selbsterkenntnis, die endlich keine Kompromisse mehr eingeht. Ich habe „Wild wuchern“ in einem Zug gelesen – und dabei das Gefühl gehabt, selbst diesen Berg hinaufzurennen, mit Marie, die aus einer Welt flieht, die sie zu einer hübschen Hülle degradiert hat. Einer Welt aus Champagner, Designerstoffen und falschem Lächeln. Der erste Atemzug auf der Alm, bei Cousine Johanna, hat sich auch für mich wie ein Aufatmen angefühlt. Aber kein sanftes, sondern eines, das brennt in der Lunge. Die Luft dort oben ist schneidend klar – und die Wahrheit, der Marie sich stellen muss, genauso. Johanna ist eine dieser Figuren, die man nicht vergisst. Eine Frau wie ein Fels. Und gleichzeitig ein verletztes, wildes Tier. Sie hat die Sprache verloren – zumindest die Sprache, wie wir sie kennen.

Aber jede Geste, jeder Blick, jedes Schweigen ist lauter als Worte. Sie steht für eine Rückverbindung mit der Natur, aber nicht auf die kitschige Art. Kein Instagram-mäßiger Selbstfindungs-Trip, sondern archaisch, roh, echt. Und Marie, die anfangs wie ein kaputtes Glasobjekt wirkt, beginnt sich zu reiben, zu hinterfragen – und schließlich aufzubrechen. Aus dieser Reibung zwischen den beiden entsteht etwas Gewaltiges: eine Transformation, die weh tut, aber die Leben rettet. Katharina Köllers Sprache ist ein Erlebnis für sich. Sie schreibt mit einem poetischen Furor, der mich sofort in den Bann gezogen hat. Jeder Satz sitzt – nicht glatt poliert, sondern lebendig, rau, manchmal wie ein Ast, an dem man sich kratzt. Und gerade deshalb so intensiv. Es ist ein schmaler Roman, ja – gerade einmal etwas mehr als Seiten hat er – aber er hat mehr Dichte, mehr Gehalt, mehr Wucht als mancher 500-Seiten-Wälzer. Es ist eine Sprache, die nicht nur erzählt, sondern fühlt. Thematisch ist „Wild wuchern“ vielschichtig und hochaktuell. Es geht um Selbstbestimmung, um weibliche Wut, um die Enge gesellschaftlicher Rollenbilder, um Zivilisationskritik, um das Verhältnis zur Natur, um Sprachverlust und Wiederaneignung. Und trotz dieser Komplexität wirkt der Roman nie überladen. Im Gegenteil – Köller gelingt es, mit erstaunlicher Leichtigkeit und literarischem Feingefühl einen Raum zu öffnen, in dem sich Märchenhaftes und Politisches, Intimes und Universelles begegnen. Ich habe mich immer wieder dabei ertappt, wie ich dachte: „Ja. Genau so fühlt sich das an.“ Was mich besonders berührt hat, ist die tiefe, oft unausgesprochene Verbindung zwischen den beiden Frauen. Es ist keine klassische Versöhnungsgeschichte, keine „Wir-sind-so-unterschiedlich-und-dann-doch-BFFs“-Story. Es ist ein Kampf, ein Ringen – um Anerkennung, um Verständnis, um Würde. Und gerade darin liegt ihre Kraft. Diese zwei Frauen, beide auf ihre Weise beschädigt, reißen sich gegenseitig aus ihren Festungen. Und das ist manchmal hart, manchmal wunderschön – und immer wahrhaftig. Am Ende von „Wild wuchern“ war ich tief bewegt. Ich habe das Buch zugeklappt und erst mal durchgeatmet – so, wie man es tut, wenn man sich lange in einer anderen Welt aufgehalten hat und wieder zurückkehrt. Es ist eines dieser Bücher, die nachhallen. Die dich noch Tage später begleiten, wie ein leises Summen im Hintergrund. Und es ist eines dieser Bücher, das ich sofort weiterempfehlen möchte – an Freundinnen, an Mütter, an Töchter, an jeden Menschen, der spürt, dass etwas in ihm „wuchern“ will. „Wild wuchern“ ist ein mutiger, intensiver, sprachlich brillanter Roman über Freiheit, über das Loslassen und Wiederfinden. Eine Naturgewalt von Buch, das nicht gefallen will – sondern erwecken. Unbedingt lesen. Und danach barfuß durch nasses Gras laufen.